Wirtschaftswoche Ausgabe vom 13.10.2014 (Vorschau)
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
Und wir brauchen endlich eine funktionierende<br />
one-stop agency für Gründer.<br />
Den Berlin-Hype in allen Ehren, aber im<br />
Silicon Valley wird 25-mal mehr Geld investiert<br />
als hier. Wie soll sich das ändern?<br />
Heilemann: Wenn wir in Berlin Firmen<br />
aufbauen wollen, die ernsthaft in der Weltliga<br />
mitspielen können, brauchen wir<br />
zweierlei: Talente und Kapital. Beim Geld<br />
hat sich einiges zum Guten getan, gerade<br />
wenn es um die Startphase geht. Unser<br />
Problem ist der Schritt danach, das Wachstum.<br />
Eine halbe oder Dreiviertelmillion<br />
einzusammeln, ist nicht das Thema. Aber<br />
bei zwei bis drei Millionen wird es eng.<br />
Das müssen Sie erklären.<br />
Heilemann: Institutionelle Venture-Capital-player,<br />
die das Vermögen von Investoren<br />
verwalten, finden in Deutschland derzeit<br />
keine guten steuerlichen und rechtlichen<br />
Rahmenbedingungen. Wie werden<br />
die Erträge der Venture-Fonds selbst und<br />
die Gewinnbeteiligungen der Fonds-Manager<br />
besteuert? Das sind standortpolitisch<br />
gesehen sehr kritische Fragen. Das<br />
Gros des US-Venture-Capital kommt doch<br />
von Versicherern, Pensionsfonds und Banken,<br />
weil sie Anlage-Richtlinien haben, die<br />
ihnen zu einem gewissen Prozentsatz auch<br />
die Investition in alternative Asset-Klassen<br />
ermöglichen. In Deutschland ist das anders.<br />
Und das ist ein strukturelles Problem<br />
für unser digitales Ökosystem.<br />
Stöß: Langsam, Berlin muss selbst investieren.<br />
Dafür benötigen wir ebenfalls Geld.<br />
Deshalb können wir Ihnen und anderen<br />
bei Steuererleichterungen nicht allzu weit<br />
entgegenkommen. Ich setze eher auf Ausrufezeichen<br />
wie Rocket. Geld geben ist ja<br />
keine Staatsaufgabe.<br />
Heilemann: Da sind wir uns einig.<br />
Stöß: Danke. Sie sind doch ein gutes Beispiel<br />
für die Kraft von Traditionen: Ein junger<br />
Mann, der eine Vision hat, die er trotz<br />
aller Hürden durchzieht. 1847 hat nicht<br />
weit von hier ein Mann namens Werner<br />
von Siemens eine Telegrafen-Werkstatt<br />
aufgebaut. Gründen liegt einfach in der<br />
DNA dieser Stadt.<br />
Damit sind wir bei Talenten: Was fehlt der<br />
Humboldt-Universität, was Stanford hat?<br />
Heilemann: Da herrscht ein riesiger kultureller<br />
Unterschied. Die Helden dort heißen<br />
Mark Zuckerberg, Steve Jobs oder Larry<br />
Page. Das sind die Sterne am Firmament<br />
von Nordkalifornien. Jeder will der nächste<br />
sein, der da oben funkelt.<br />
Hier arbeiten die Leute lieber beim Staat.<br />
Heilemann: Nicht nur. Wir wollten mal mit<br />
der RWTH Aachen ein Projekt aufbauen.<br />
»In der Politik<br />
würde ich<br />
wahnsinnig«<br />
Fabian Heilemann<br />
Das scheiterte, weil deutsche Ingenieure –<br />
brillante Leute – eben nicht das Risiko der<br />
Selbstständigkeit lieben, sondern Siemens,<br />
Porsche oder Bosch.<br />
Und das heißt?<br />
Heilemann: In Deutschland gründen immer<br />
noch überwiegend BWLer. Schauen<br />
Sie sich die wichtigsten Köpfe des vergangenen<br />
Jahrzehnts doch mal an, da finden<br />
Sie immer wieder eine Uni in der Vita: die<br />
Business School WHU in Vallendar. Im Valley<br />
ist es genau andersrum: Da sind die<br />
Programmierer und Tech-Nerds die Stars.<br />
Manager kauft man sich eben ein, weil<br />
man sie braucht.<br />
Stöß: Sehen wir das doch positiv. Wir bieten<br />
andere Chancen. Hier können motivierte<br />
Leute in kleinen Unternehmen Großes<br />
bewegen. Das Leben ist noch günstig,<br />
es gibt keine Studiengebühren. Dabei soll<br />
es auch bleiben. Ich würde mir nur noch<br />
mehr Berliner Absolventen wünschen, die<br />
ihren ersten Job nicht woanders suchen.<br />
Häufig erlebt man unter Netzprofis Belustigung<br />
über digitale Analphabeten in der<br />
Politik. Empfinden Sie beide das auch so?<br />
Heilemann: Ich will Ihrer Analyse nicht<br />
widersprechen, aber ich persönlich sehe<br />
das anders. Ich habe selber in meiner Jugend<br />
Politik gemacht und habe Freunde,<br />
die heute Landtags- oder Bundestagsabgeordnete<br />
sind. Um Deutschland als Digital-<br />
»Gründen liegt<br />
einfach in der<br />
DNA der Stadt«<br />
Jan Stöß<br />
Standort zu stärken, investiere ich Zeit, in<br />
der ich Politikern meine Ansichten vermittele.<br />
Nur für mich selber wäre Politik<br />
nichts. Ständig Kompromisse schließen,<br />
diskutieren, kaum Ergebnisse – ich würde<br />
wahnsinnig werden.<br />
Stöß: Manchmal gibt es diese Verachtung,<br />
ja. Dagegen hilft nur miteinander sprechen.<br />
Der Graben darf nicht weiter aufreißen.<br />
Wenn wir für die Internet-Szene gute<br />
Politik machen sollen, dann brauchen wir<br />
ernsthaften Input.<br />
Ist hier unter Wowereit genug passiert?<br />
Stöß:Lassen Sie uns über die Zukunft sprechen<br />
und nicht über die Vergangenheit.<br />
Wenn ich Regierender Bürgermeister werde,<br />
dann wird die Internet-Wirtschaft einer<br />
meiner Schwerpunkte. Ich will einen nachhaltigen<br />
Aufschwung.<br />
Gutes Stichwort: Nicht alle Gründer legen<br />
auf ein nachhaltiges Geschäftsmodell<br />
Wert. Die suchen lieber den schnellen<br />
Exit, um mit ein paar Millionen aus dem<br />
Firmenverkauf das Leben zu genießen.<br />
Heilemann: Das sehe ich komplett anders.<br />
Mehr als 300 Millionen Euro fließen durchschnittlich<br />
jedes Jahr nach Berlin in Startups.<br />
Damit werden Unternehmenswerte<br />
geschaffen, die beim Zwei- bis Dreifachen<br />
der Investitionssumme liegen. Hier wird<br />
unterm Strich definitiv kein Geld vernichtet.<br />
Ich wehre mich auch gegen dieses Zerrbild<br />
von Gründern, die zu schnell zu reich<br />
geworden sind. Die große Mehrzahl gibt<br />
weiter Gas. Ich persönlich sitze nach wie<br />
vor jeden Morgen um neun am Ikea-<br />
Schreibtisch und arbeite oft bis in die<br />
Nacht, investiere und gründe neue Unternehmen.<br />
Mit all den Rückschlägen und<br />
Frustrationen, die das manchmal mit sich<br />
bringt. Das müsste ich nicht. Ich könnte<br />
auch auf Sylt oder an der Côte d’Azur rumhängen.<br />
Tue ich aber nicht.<br />
Herr Heilemann ist durch den Verkauf seiner<br />
Firma zum Millionär geworden. Ist das<br />
eigentlich eine Geschichte, die Ihr sozialdemokratisches<br />
Herz erwärmt, Herr Stöß?<br />
Stöß: (lacht) Wenn er jetzt noch einen Betriebsrat<br />
bekommt, dann ja!<br />
Heilemann: Wenn ich Ihnen im Gegenzug<br />
auch noch einen Rat geben darf: Herr Wowereit<br />
hat uns mit einem Ohr zugehört,<br />
aber mit mehr auch nicht. Wenn Sie sein<br />
Nachfolger werden, dann machen Sie die<br />
Internet-Wirtschaft wirklich zu Ihrem dominierenden<br />
Thema. Reden Sie nicht nur<br />
darüber. Werden Sie der Digital-Regierungschef<br />
Deutschlands! Nur so kann Berlin<br />
sich sanieren.<br />
n<br />
max.haerder@wiwo.de | Berlin<br />
FOTO: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
34 Nr. 42 <strong>13.10.2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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