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Interview mit Michael Wunder, Mitglied im Deutschen Ethikrat<br />

chotherapeutinnen und Psychotherapeuten,<br />

für die es offenbar naheliegender war<br />

als heute, sich mit psychologischen und<br />

gesellschaftlichen Aspekten zu befassen.<br />

Würden Sie sagen, da hat sich etwas verändert?<br />

MW: Es wäre tatsächlich zu überlegen, ob<br />

man Haltungen und Grundlagen, die in<br />

der Psychotherapeutenausbildung vermittelt<br />

werden, mit ethischen Fragen verknüpft<br />

und sie damit durchaus generalisiert<br />

und wieder mehr gesellschaftliches<br />

Denken in die Psychologie und Psychotherapie<br />

zurückholt. Ich glaube, das Schlimmste,<br />

was unserem Berufsstand derzeit droht,<br />

ist ein Erstarren in einem falsch verstandenen<br />

reinen Professionalismus. Psychotherapie<br />

ist eigentlich ein Moment von Freiheit<br />

und nicht ein Moment von stärkerer<br />

Behandlung.<br />

UW: Sie sind auch in der Ethikkommission<br />

der Psychotherapeutenkammer Hamburg<br />

tätig, die Forschungsanträge prüft. Welche<br />

spezifisch ethischen Fragestellungen gibt<br />

es dort? Könnten Sie vielleicht den einen<br />

oder anderen Aspekt benennen, der dort<br />

für Sie wichtig geworden ist?<br />

MW: Die Arbeit der Kommission steht in<br />

einem Spannungsverhältnis von Forschungsfreiheit,<br />

Probandenschutz und<br />

wissenschaftlichen Standards der Forschung.<br />

Wir haben diese drei Bälle, mit<br />

denen wir in einem Abwägungsprozess<br />

zwischen Risiken, Belastungen, erwarteter<br />

Nützlichkeit für den Probanden, für andere<br />

gleichbetroffene Probanden oder für<br />

die Gesamtheit der Wissenschaften jonglieren.<br />

Und diese Abwägung, das ist eigentlich<br />

die Arbeit der Ethikkommission<br />

und nicht nur, wie es manchmal vielleicht<br />

erscheint, das Bestehen auf Einhaltung<br />

des Datenschutzes oder anderer Dinge,<br />

die natürlich von großer Wichtigkeit sind.<br />

Ein Gesichtspunkt, der mir persönlich sehr<br />

am Herzen liegt und der natürlich auch für<br />

unseren Forschungsbereich immer wieder<br />

eine ganz große Rolle spielt, sind die vulnerablen<br />

Gruppen, weil natürlich sehr<br />

häufig nicht gesunde Menschen im Mittelpunkt<br />

der psychologisch-psychotherapeutischen<br />

Forschung stehen, sondern Gruppen<br />

von traumatisierten, von psychisch<br />

erkrankten, von in irgendeiner Form geschädigten<br />

oder beeinträchtigten Personen.<br />

Da sind natürlich die Schutzgrenzen,<br />

etwa die Gewährleistung einer jederzeitigen<br />

und ohne negative Folgen realisierbaren<br />

Ausstiegsmöglichkeit der Probanden,<br />

nochmal besonders zu beachten. Auch<br />

die Art und Weise, wie aufgeklärt wird, ob<br />

eine verständliche Sprache verwendet<br />

wird, ob ein Nein voll respektiert wird, sind<br />

wichtige Gesichtspunkte.<br />

UW: Gibt es einen Bedarf an psychotherapeutischem<br />

Sachverstand, der auch in anderen<br />

wissenschaftlichen Bereichen als<br />

der Psychotherapie selbst Verwendung<br />

und Nutzen finden könnte?<br />

MW: Ja, es geht ja häufig auch im Bereich<br />

medizinischer Forschung um schwierige<br />

Befragungen oder auch um Followup-Studien,<br />

in denen auch emotionale<br />

Ausnahmezustände der Probanden folgen<br />

und psychologische, stützende Gespräche<br />

notwendig werden können – bis hin<br />

zu psychotherapeutischen Behandlungen.<br />

Und ich glaube auch, wenn ich das mal so<br />

von Kammer zu Kammer sagen darf, dass<br />

es der Ethikkommission der Ärztekammer<br />

gut anstehen würde, in ihre Beratung auch<br />

psychologischen Sachverstand mit einzubeziehen,<br />

um diesen Aspekt der subjektiven<br />

Patientenbelastung vielleicht doch<br />

noch flexibler in mancher Hinsicht zu betrachten<br />

und zu prüfen. Seit der Helsinki-<br />

Deklaration – die auf den Nürnberger Kodex<br />

zurückgeht und ein Instrumentarium<br />

für die ethische Überprüfung von Forschung<br />

im Gesundheitsbereich darstellt,<br />

das seit 1947 beständig weiterentwickelt<br />

wird – gilt der Grundsatz des Nichtschadens.<br />

Und wenn dennoch Schaden nicht<br />

auszuschließen ist, dann muss dieser<br />

Schaden oder die damit zusammenhängende<br />

Belastung gering und voll abschätzbar<br />

sein und darf keine belastenden Langzeitfolgen<br />

haben. Von Patient zu Patient<br />

oder von Proband zu Proband ist dies aber<br />

sehr unterschiedlich zu beurteilen. Gerade<br />

bei somatisch-medizinischen Studien ist<br />

die Abschätzung einer Belastung in psychologischer<br />

Hinsicht etwas, womit man<br />

sehr viel sensibler umgehen muss, als es<br />

meiner Ansicht nach oft der Fall ist.<br />

UW: Insgesamt habe ich den Eindruck, Sie<br />

plädieren sehr für ein größeres Engagement<br />

der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten<br />

in vielen medizinethischen und<br />

sozialethischen Fragestellungen.<br />

MW: Auf jeden Fall. Und es gibt noch eine<br />

Reihe von Bereichen, die wir gar nicht angesprochen<br />

haben – zum Beispiel die medizinische<br />

Versorgung am Lebensende<br />

und die Debatte um die Sterbehilfe, für die<br />

dies ebenfalls zutrifft.<br />

UW: Herr Dr. Wunder, sehr herzlichen<br />

Dank für Ihre aufschlussreichen und interessanten<br />

Überlegungen.<br />

256 Psychotherapeutenjournal 3/<strong>2014</strong>

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