ptj_2014-3
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Buchrezensionen<br />
trag dazu leisten, die manchmal große<br />
Kluft zwischen Wissenschaft und Forschung<br />
und der Praxis zu verkleinern. An<br />
Psychotherapieforschung Interessierte können<br />
darin stöbern, genauso wie es Studierende<br />
für sich nutzen können. Die Kenntnis<br />
der Inhalte dieses Buches ist sehr hilfreich,<br />
um Forschungsergebnisse und Studien<br />
sinnvoll und zutreffend interpretieren<br />
zu können.<br />
Aus meiner Sicht ein rundherum gelungenes<br />
Buch für diese umfangreiche und<br />
nicht ganz leicht zugängliche Thematik.<br />
Dipl.-Psych. Alexandra Klich,<br />
Göttingen<br />
Gensichen, S. (<strong>2014</strong>). Anpfiff. Gegen sexuelle Gewalt an Mädchen und Jungen.<br />
Ein Aufklärungsbuch für Jugendliche und Erwachsene. Hamburg:<br />
Ellert & Richter Verlag. 192 Seiten. 12,95 €.<br />
Christian Kraus<br />
Wie wenig publik und kaum erforscht das<br />
Themenfeld sexuelle Gewalt gegen Kinder<br />
in Deutschland weiterhin ist, wurde in jüngerer<br />
Vergangenheit erkennbar, als der<br />
„Missbrauchsskandal“ an verschiedenen<br />
Einrichtungen 2010 an die Öffentlichkeit<br />
gelangte. Die umfassende öffentliche Beund<br />
Aufarbeitung konfrontierte nach eigenem<br />
Bekunden viele Menschen erstmalig<br />
mit diesem Thema. Viele selbst von Missbrauchserfahrungen<br />
Betroffene fühlten<br />
sich ermutigt, sich mit den schmerzlichen,<br />
oft tief vergrabenen Erinnerungen an Vertrauenspersonen,<br />
professionelle Anlaufstellen<br />
oder die Öffentlichkeit zu wenden.<br />
Mittlerweile ist sexuelle Gewalt an Minderjährigen<br />
ein großes Diskussionsthema geworden,<br />
das Politik, Bildung und Religion<br />
bewegt. Neben der Aufarbeitung vergangenen<br />
Unrechts wird die Frage, wie man<br />
Kinder und Jugendliche in Deutschland<br />
besser vor sexueller Gewalt schützen und<br />
den Betroffenen schneller helfen kann, in<br />
Fachkreisen lebhaft diskutiert. Der Wunsch<br />
nach Aufklärung und Information zu Prävention<br />
und Intervention wird immer stärker.<br />
Der Autor Dr. Simon Gensichen ist erfahrener<br />
Psychiater und Psychotherapeut an einem<br />
großen medizinischen Versorgungszentrum<br />
in Hamburg. Seit vielen Jahren<br />
arbeitet er mit Patienten, die in ihrer Kindheit<br />
oder Jugend Opfer sexueller Gewalt<br />
geworden sind. Die Berichte von dem oft<br />
zunächst harmlos erscheinenden Vorgehen<br />
der Täter, die sich das Vertrauen der<br />
Kinder und Jugendlichen erschleichen, die<br />
Schilderungen der Übergriffe und derer<br />
unmittelbarer und späterer Folgen auf das<br />
Leben der Betroffenen beschäftigen den<br />
Autor intensiv und führten ihn zur Idee des<br />
vorliegenden Buches.<br />
Mithilfe der fiktiven Geschichte des neunjährigen<br />
Olek führt Simon Gensichen den<br />
jugendlichen oder erwachsenen Leser an<br />
die Thematik heran. Der sensible Junge ist<br />
neu im Fußballverein und genießt die Aufmerksamkeit<br />
seines Trainers Hans Prott.<br />
Dessen zunächst fürsorgliche Annäherung<br />
überschreitet schon bald die seelischen<br />
und körperlichen Grenzen des Jungen. Er<br />
gerät in große Gefahr. Jan, ein älterer Junge<br />
aus dem Verein, wird darauf aufmerksam<br />
und hilft, den Missbrauch zu beenden.<br />
Dabei wird er mit seiner Vergangenheit<br />
und selbst erlittenen sexuellen Übergriffen<br />
konfrontiert und realisiert, wie diese<br />
Gewalterfahrungen sein eigenes Leben<br />
beeinflussen und welche tiefen Verletzungen<br />
in seiner Seele zurückgeblieben sind.<br />
Die Geschichte ist spannend und lebendig<br />
erzählt und taucht sprachlich und thematisch<br />
in die Lebenswirklichkeit von Kindern<br />
und Jugendlichen ein.<br />
Auch im anschließenden Ratgeberteil trifft<br />
der Autor den richtigen Ton. Ausgehend<br />
von der Erzählung erklärt er anhand konkreter<br />
Beispiele, was sexuelle Gewalt ist,<br />
wer so etwas tut und mit welchen Tricks<br />
die Täter vorgehen. Er ermuntert betroffene<br />
und gefährdete Jungen und Mädchen,<br />
ihre oft verwirrenden und widersprüchlichen<br />
Gefühle ernst zu nehmen, und zeigt<br />
Wege auf, das manipulative Netz aus Verlockung,<br />
Druck, Schuldgefühlen, Angst<br />
und Scham, das die Täter spinnen, zu erkennen<br />
und zu durchtrennen. Auch den<br />
als Eltern oder Vertrauenspersonen beteiligten<br />
Erwachsenen gibt er hilfreiche Informationen,<br />
wie sie sexuelle Gewalt und<br />
deren Auswirkungen erkennen und wo sie<br />
Hilfe finden können. Er beschreibt, welche<br />
psychischen und sozialen Kompetenzen<br />
Kindern und Jugendlichen helfen können,<br />
sexuelle Übergriffe zu verhindern, und wie<br />
diese vermittelt werden können. Die Hilfsadressen<br />
vieler Institutionen und Webseiten<br />
im Anhang des Buches runden den<br />
Ratgeber ab.<br />
Der besondere Fokus auf den Missbrauch<br />
an Jungen und die Kombination von fiktiver<br />
Erzählung und anschließenden Hilfsangeboten<br />
machen dieses Buch zu einer<br />
wichtigen Quelle von erklärenden Informationen,<br />
die sich für den Schulunterricht<br />
oder die Jugendarbeit empfiehlt. Das<br />
Buch kann als Impuls für Diskussionen<br />
rund um das Thema sexuelle Gewalt genutzt<br />
werden und trägt so zur wichtigen<br />
Aufklärung bei. Dr. Simon Gensichen<br />
möchte Mädchen und Jungen Mut machen:<br />
Es gibt viele Menschen, die bereit<br />
sind zu helfen.<br />
„Dieses Jugendbuch ist also viel mehr als<br />
nur eine Geschichte. Es ist der hoffentlich<br />
erfolgreiche Versuch, durch Prävention<br />
zum Kinderschutz […], zur Verminderung<br />
von Folgen und zur möglichst raschen Beendigung<br />
der Übergriffe beizutragen.“ Diesem<br />
Zitat des Vorwortautors und Mitbegründers<br />
des „Runden Tischs“, Prof. Dr.<br />
Jörg M. Fegert, ist nur zuzustimmen!<br />
Dr. med. Christian Kraus,<br />
Hamburg<br />
288 Psychotherapeutenjournal 3/<strong>2014</strong>