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Aktuelles aus der Forschung<br />

gains zeigte sich, dass sudden gainers zu<br />

Studienbeginn ein signifikant höheres<br />

Selbstvertrauen aufwiesen. Die anderen<br />

erhobenen Variablen wie Hoffnung ergaben<br />

keine signifikanten Ergebnisse. Auch<br />

eine Analyse der erhobenen Variablen<br />

Selbstwirksamkeit, dysfunktionale Einstellungen,<br />

Hoffnung, soziale Vergleiche und<br />

Lebensereignisse bezogen auf die zwei<br />

Wochen vor einem sudden gain zeigten<br />

bis auf einen signifikanten positiven Zusammenhang<br />

zwischen einer Reduktion<br />

sozialer Vergleiche im Allgemeinen (nicht<br />

speziell bezogen auf Aufwärts- oder Abwärtsvergleiche)<br />

und sudden gains keine<br />

weiteren signifikanten Assoziationen. Die<br />

Hypothesen der Autoren mussten somit<br />

weitgehend verworfen werden. Interessanterweise<br />

konnte ein initialer hoher<br />

Selbstwert zwar ein sudden gain vorhersagen,<br />

nicht jedoch die generelle Gesundung<br />

zu Studienende (knapp nicht signifikant).<br />

Die beiden signifikanten Prädiktoren<br />

(Selbstwert und soziale Vergleiche) hängen<br />

auf multiple Weise zusammen: Der<br />

Selbstwert in Woche 1 korrelierte negativ<br />

mit der Häufigkeit sozialer Vergleiche in<br />

Woche 1. Diese Form der Selbsteinschätzung<br />

(Selbstevaluation durch soziale Vergleiche)<br />

scheint zu einer Persistenz depressiver<br />

Symptome zu führen.<br />

Die Autoren belegen mit den dargestellten<br />

Ergebnissen, dass sudden gains zum vollkommen<br />

natürlichen Verlauf einer unbehandelten<br />

Depression gehören. Einschränkend<br />

ist jedoch zu erwähnen, dass die<br />

plötzlichen Verbesserungen insgesamt<br />

deutlich weniger stabil waren als in vergleichbaren<br />

Studien, in denen die Patienten<br />

eine psychotherapeutische Behandlung<br />

erhielten. Symptomintensivierungen<br />

nach einem sudden gain traten in vorliegender<br />

Studie bei ca. 54% der Teilnehmer<br />

auf. Psychotherapeutische Interventionen<br />

scheinen vor diesem Hintergrund plötzliche<br />

Verbesserungen bei Patienten zu stabilisieren<br />

und längerfristig zu erhalten.<br />

Kommentar: Dass der individuelle Selbstwertlevel<br />

von sozialen Vergleichen beeinflusst<br />

wird und zudem zu Dysphorie beitragen<br />

kann, erscheint nicht überraschend. Einige<br />

Studien belegen mittlerweile den engen<br />

Zusammenhang zwischen niedrigem<br />

Selbstwert und depressiven Symptomen,<br />

wobei die Richtung der Kausalität bislang<br />

nicht beantwortet werden konnte. Eine aktuelle<br />

Metaanalyse von 77 Langzeitstudien<br />

(Sowislo et al., 2013) ergab, dass ein geringer<br />

Selbstwert eine Depression signifikant<br />

vorhersagen kann. Ein niedriger Selbstwert<br />

stellt somit eine spezielle Vulnerabilität hinsichtlich<br />

der Entwicklung einer depressiven<br />

Störung dar. Die Stärkung des Selbstwerts<br />

eines Patienten im Rahmen einer Psychotherapie<br />

könnte somit einen zweifachen<br />

Effekt zur Folge haben: zum einem eine erhöhte<br />

Wahrscheinlichkeit für ein sudden<br />

gain, zum anderen die längerfristige psychische<br />

Stabilität.<br />

Ausblick<br />

Welcher Prozess in einer Psychotherapie<br />

zu einer Symptomreduktion und letztendlich<br />

erfolgreichen Psychotherapie führt, ist<br />

ein weites Forschungsfeld mit vielen potenziellen<br />

Variablen, Mediatoren und Moderatoren.<br />

Sudden gains stellen hierbei<br />

nur einen möglichen Mechanismus dar,<br />

ein monokausaler Zusammenhang erscheint<br />

angesichts der in der Forschergemeinde<br />

herrschenden Kontroversen hierzu<br />

eher unwahrscheinlich. Interessanterweise<br />

steht u. a. auch genau das Gegenstück des<br />

sudden gains, ein sogenannter sudden/<br />

depressive spike, unter Verdacht, die Psychotherapieerfolgschancen<br />

z. B. bei depressiven<br />

Symptomen zu erhöhen (Hayes<br />

et al., 2007; Keller et al., <strong>2014</strong>). Dies mag<br />

zunächst erstaunen, erscheint bei genauer<br />

Betrachtung der multiplen dahinterliegenden<br />

Prozesse jedoch stimmig. Der deutlichen<br />

kurz- bis mittelfristigen Symptomintensivierung<br />

folgt letztendlich nicht selten<br />

eine Reduktion. Die psychischen Turbulenzen<br />

im Sinne einer Symptomintensivierung<br />

könnten assoziiert sein mit einer Unterbrechung<br />

von alten maladaptiven kognitiven<br />

Mustern und schließlich in einer intensivierten<br />

emotionalen Verarbeitung<br />

bzw. Entwicklung des Patienten münden<br />

(Hayes et al., 2007). Mehr als 60% der<br />

depressiven Patienten erleben mindestens<br />

einmal während einer Psychotherapie eine<br />

solche vorübergehende Verschlechterung.<br />

Aus der klinischen Praxis mag dies für viele<br />

Psychotherapeuten durchaus vertraut klingen.<br />

Der fluktuierende psychische Zustand<br />

des Patienten mag mitunter Kollegen verunsichern<br />

oder irritieren und dazu führen,<br />

dass bisherige Behandlungsinhalte und<br />

-strategien kurzfristig modifiziert werden.<br />

Dies erscheint im Lichte der genannten<br />

Zusammenhänge jedoch nicht unbedingt<br />

indiziert: Vorübergehende Hochs und Tiefs<br />

sind anscheinend weit mehr als nur eine<br />

mögliche Nebenwirkung einer Psychotherapie.<br />

Sie stellen einen wichtigen Prozess<br />

der Veränderung des emotionalen Innenlebens<br />

eines Patienten dar, welcher mit<br />

Symptomverstärkung, Unsicherheit und<br />

Angst einhergehen kann. Dieser emotionale<br />

Umbruch im positiven wie im negativen<br />

Sinne kann vermutlich v. a. dann stattfinden,<br />

wenn sich der Patient auf eine Psychotherapie<br />

wirklich einlässt und sich<br />

durch die neuen Erfahrungen berühren<br />

und von einem Psychotherapeuten hierbei<br />

validierend begleiten lässt. Um seiner Aufklärungspflicht<br />

nachzukommen ist es für<br />

Psychotherapeuten deshalb ratsam, den<br />

Patienten gleich zu Beginn einer Psychotherapie<br />

über mögliche Verlaufsmuster<br />

(vorübergehende Symptomverbesserungen/Symptomverschlechterungen)<br />

psychoedukativ<br />

aufzuklären und diese als vorhersehbare<br />

Schwankungen zu benennen, die<br />

letztendlich eine langfristige Gesundung<br />

begünstigen bzw. für die Psychotherapie<br />

genutzt werden können. Die stellvertretende<br />

Hoffnung, welche vom Psychotherapeuten<br />

ausgeht, könnte sich so bereits zu<br />

Beginn einer Psychotherapie auf den Patienten<br />

übertragen und die Erfolgswahrscheinlichkeiten<br />

der Psychotherapie erhöhen.<br />

Literatur<br />

Aderka, I. M., Nickerson, A., Bøe, H. J. &<br />

Hofmann, S. G. (2012). Sudden gains<br />

during psychological treatments of anxiety<br />

and depression: A meta-analysis.<br />

Journal of Consulting and Clinical Psychology,<br />

80, 93-101.<br />

Andrusyna, T., Luborsky, L., Pham, T. &<br />

Tang, T. Z. (2006). The mechanisms of<br />

278 Psychotherapeutenjournal 3/<strong>2014</strong>

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