ptj_2014-3
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Aktuelles aus der Forschung<br />
gains zeigte sich, dass sudden gainers zu<br />
Studienbeginn ein signifikant höheres<br />
Selbstvertrauen aufwiesen. Die anderen<br />
erhobenen Variablen wie Hoffnung ergaben<br />
keine signifikanten Ergebnisse. Auch<br />
eine Analyse der erhobenen Variablen<br />
Selbstwirksamkeit, dysfunktionale Einstellungen,<br />
Hoffnung, soziale Vergleiche und<br />
Lebensereignisse bezogen auf die zwei<br />
Wochen vor einem sudden gain zeigten<br />
bis auf einen signifikanten positiven Zusammenhang<br />
zwischen einer Reduktion<br />
sozialer Vergleiche im Allgemeinen (nicht<br />
speziell bezogen auf Aufwärts- oder Abwärtsvergleiche)<br />
und sudden gains keine<br />
weiteren signifikanten Assoziationen. Die<br />
Hypothesen der Autoren mussten somit<br />
weitgehend verworfen werden. Interessanterweise<br />
konnte ein initialer hoher<br />
Selbstwert zwar ein sudden gain vorhersagen,<br />
nicht jedoch die generelle Gesundung<br />
zu Studienende (knapp nicht signifikant).<br />
Die beiden signifikanten Prädiktoren<br />
(Selbstwert und soziale Vergleiche) hängen<br />
auf multiple Weise zusammen: Der<br />
Selbstwert in Woche 1 korrelierte negativ<br />
mit der Häufigkeit sozialer Vergleiche in<br />
Woche 1. Diese Form der Selbsteinschätzung<br />
(Selbstevaluation durch soziale Vergleiche)<br />
scheint zu einer Persistenz depressiver<br />
Symptome zu führen.<br />
Die Autoren belegen mit den dargestellten<br />
Ergebnissen, dass sudden gains zum vollkommen<br />
natürlichen Verlauf einer unbehandelten<br />
Depression gehören. Einschränkend<br />
ist jedoch zu erwähnen, dass die<br />
plötzlichen Verbesserungen insgesamt<br />
deutlich weniger stabil waren als in vergleichbaren<br />
Studien, in denen die Patienten<br />
eine psychotherapeutische Behandlung<br />
erhielten. Symptomintensivierungen<br />
nach einem sudden gain traten in vorliegender<br />
Studie bei ca. 54% der Teilnehmer<br />
auf. Psychotherapeutische Interventionen<br />
scheinen vor diesem Hintergrund plötzliche<br />
Verbesserungen bei Patienten zu stabilisieren<br />
und längerfristig zu erhalten.<br />
Kommentar: Dass der individuelle Selbstwertlevel<br />
von sozialen Vergleichen beeinflusst<br />
wird und zudem zu Dysphorie beitragen<br />
kann, erscheint nicht überraschend. Einige<br />
Studien belegen mittlerweile den engen<br />
Zusammenhang zwischen niedrigem<br />
Selbstwert und depressiven Symptomen,<br />
wobei die Richtung der Kausalität bislang<br />
nicht beantwortet werden konnte. Eine aktuelle<br />
Metaanalyse von 77 Langzeitstudien<br />
(Sowislo et al., 2013) ergab, dass ein geringer<br />
Selbstwert eine Depression signifikant<br />
vorhersagen kann. Ein niedriger Selbstwert<br />
stellt somit eine spezielle Vulnerabilität hinsichtlich<br />
der Entwicklung einer depressiven<br />
Störung dar. Die Stärkung des Selbstwerts<br />
eines Patienten im Rahmen einer Psychotherapie<br />
könnte somit einen zweifachen<br />
Effekt zur Folge haben: zum einem eine erhöhte<br />
Wahrscheinlichkeit für ein sudden<br />
gain, zum anderen die längerfristige psychische<br />
Stabilität.<br />
Ausblick<br />
Welcher Prozess in einer Psychotherapie<br />
zu einer Symptomreduktion und letztendlich<br />
erfolgreichen Psychotherapie führt, ist<br />
ein weites Forschungsfeld mit vielen potenziellen<br />
Variablen, Mediatoren und Moderatoren.<br />
Sudden gains stellen hierbei<br />
nur einen möglichen Mechanismus dar,<br />
ein monokausaler Zusammenhang erscheint<br />
angesichts der in der Forschergemeinde<br />
herrschenden Kontroversen hierzu<br />
eher unwahrscheinlich. Interessanterweise<br />
steht u. a. auch genau das Gegenstück des<br />
sudden gains, ein sogenannter sudden/<br />
depressive spike, unter Verdacht, die Psychotherapieerfolgschancen<br />
z. B. bei depressiven<br />
Symptomen zu erhöhen (Hayes<br />
et al., 2007; Keller et al., <strong>2014</strong>). Dies mag<br />
zunächst erstaunen, erscheint bei genauer<br />
Betrachtung der multiplen dahinterliegenden<br />
Prozesse jedoch stimmig. Der deutlichen<br />
kurz- bis mittelfristigen Symptomintensivierung<br />
folgt letztendlich nicht selten<br />
eine Reduktion. Die psychischen Turbulenzen<br />
im Sinne einer Symptomintensivierung<br />
könnten assoziiert sein mit einer Unterbrechung<br />
von alten maladaptiven kognitiven<br />
Mustern und schließlich in einer intensivierten<br />
emotionalen Verarbeitung<br />
bzw. Entwicklung des Patienten münden<br />
(Hayes et al., 2007). Mehr als 60% der<br />
depressiven Patienten erleben mindestens<br />
einmal während einer Psychotherapie eine<br />
solche vorübergehende Verschlechterung.<br />
Aus der klinischen Praxis mag dies für viele<br />
Psychotherapeuten durchaus vertraut klingen.<br />
Der fluktuierende psychische Zustand<br />
des Patienten mag mitunter Kollegen verunsichern<br />
oder irritieren und dazu führen,<br />
dass bisherige Behandlungsinhalte und<br />
-strategien kurzfristig modifiziert werden.<br />
Dies erscheint im Lichte der genannten<br />
Zusammenhänge jedoch nicht unbedingt<br />
indiziert: Vorübergehende Hochs und Tiefs<br />
sind anscheinend weit mehr als nur eine<br />
mögliche Nebenwirkung einer Psychotherapie.<br />
Sie stellen einen wichtigen Prozess<br />
der Veränderung des emotionalen Innenlebens<br />
eines Patienten dar, welcher mit<br />
Symptomverstärkung, Unsicherheit und<br />
Angst einhergehen kann. Dieser emotionale<br />
Umbruch im positiven wie im negativen<br />
Sinne kann vermutlich v. a. dann stattfinden,<br />
wenn sich der Patient auf eine Psychotherapie<br />
wirklich einlässt und sich<br />
durch die neuen Erfahrungen berühren<br />
und von einem Psychotherapeuten hierbei<br />
validierend begleiten lässt. Um seiner Aufklärungspflicht<br />
nachzukommen ist es für<br />
Psychotherapeuten deshalb ratsam, den<br />
Patienten gleich zu Beginn einer Psychotherapie<br />
über mögliche Verlaufsmuster<br />
(vorübergehende Symptomverbesserungen/Symptomverschlechterungen)<br />
psychoedukativ<br />
aufzuklären und diese als vorhersehbare<br />
Schwankungen zu benennen, die<br />
letztendlich eine langfristige Gesundung<br />
begünstigen bzw. für die Psychotherapie<br />
genutzt werden können. Die stellvertretende<br />
Hoffnung, welche vom Psychotherapeuten<br />
ausgeht, könnte sich so bereits zu<br />
Beginn einer Psychotherapie auf den Patienten<br />
übertragen und die Erfolgswahrscheinlichkeiten<br />
der Psychotherapie erhöhen.<br />
Literatur<br />
Aderka, I. M., Nickerson, A., Bøe, H. J. &<br />
Hofmann, S. G. (2012). Sudden gains<br />
during psychological treatments of anxiety<br />
and depression: A meta-analysis.<br />
Journal of Consulting and Clinical Psychology,<br />
80, 93-101.<br />
Andrusyna, T., Luborsky, L., Pham, T. &<br />
Tang, T. Z. (2006). The mechanisms of<br />
278 Psychotherapeutenjournal 3/<strong>2014</strong>