ptj_2014-3
ptj_2014-3
ptj_2014-3
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Kommentare und Leserbriefe zu erschienenen PTJ-Artikeln<br />
verfahren. Es wäre in den meisten Fällen<br />
wohl zutreffender, die „Lehrstühle für Klinische<br />
Psychologie und Psychotherapie“ in<br />
„Lehrstühle für Klinische Psychologie und<br />
Verhaltenstherapie“ umzubenennen, dann<br />
würde der dort vertretene Ausschnitt des<br />
Fachgebietes Psychotherapie angemessener<br />
gekennzeichnet. 43 der 44 Lehrstühle<br />
für Klinische Psychologie und Psychotherapie<br />
sind von Hochschullehrern besetzt, die<br />
ausschließlich über Fachkunde in einem<br />
einzigen sozialrechtlich anerkannten Verfahren<br />
verfügen – die Verhaltenstherapie.<br />
Dies wirkt sich seit Jahrzehnten nicht nur<br />
unmittelbar auf die vertretenen Lehrinhalte,<br />
sondern auch strukturell auf die Bestände<br />
in den Bibliotheken, auf Forschungsschwerpunkte,<br />
auf die Rezeption von Forschungen<br />
in anderen Verfahren und auf<br />
die Behandlungspraxis in den Ambulanzen<br />
aus. Hinsichtlich der tiefenpsychologischen<br />
und analytischen Psychotherapie<br />
sind die Bibliotheksbestände in den Psychologischen<br />
Universitätsinstituten massiv<br />
veraltet, tiefenpsychologische und psychoanalytische<br />
Fachzeitschriften fehlen, psychoanalytische<br />
Forschungsergebnisse werden<br />
nicht rezipiert und vorgehalten. Die<br />
Hochschulambulanzen sind für tiefenpsychologische<br />
und psychoanalytisch begründete<br />
Behandlungsverfahren nicht ermächtigt,<br />
entsprechend fehlen jedwede Forschungsbemühungen<br />
über die Verhaltenstherapie<br />
hinaus.<br />
Welche Kompetenzen können also an<br />
den Psychologischen Universitätsinstituten<br />
vermittelt und auf welche Lehr-Erfahrungen<br />
kann aufgebaut werden? Die Autoren<br />
verschweigen tunlichst diesen heute<br />
schon untragbaren Zustand einer massiven<br />
Einengung des Fachgebiets. Bei den<br />
beschriebenen Praxisanteilen eines zukünftigen<br />
Direktstudiums kann fast ausnahmslos<br />
nur auf die Verhaltenstherapie<br />
aufgebaut werden. Spezifische tiefenpsychologische<br />
Diagnostik, Indikationsstellung<br />
und Behandlungsplanung werden<br />
heute den Psychologiestudenten, wenn<br />
überhaupt, nur in antiquierten Klischees,<br />
ohne Fachkunde in diesen Verfahren und<br />
oft in entwertender Form vermittelt. Psychologiestudenten<br />
haben kaum eine<br />
Chance, in ihrem Studium die Praxis tiefenpsychologischer<br />
und psychoanalytischer<br />
Behandlungsansätze kennenzulernen.<br />
Wie soll sich aber ein Psychologieabsolvent<br />
ohne Einsicht in die Behandlungspraxis<br />
für ein diskreditiertes Verfahren<br />
entscheiden können?<br />
Der Vorschlag der Autoren, zukünftig an<br />
den Psychologischen Instituten „entsprechend<br />
fachkompetentes Personal vorzuhalten“,<br />
macht deutlich, dass eine vollumfängliche<br />
Erschließung des Fachgebietes<br />
Psychotherapie nicht angestrebt wird.<br />
Lehrbeauftragte werden die Einseitigkeit<br />
und die erheblichen strukturellen Defizite<br />
in Forschung und Lehre des Fachgebietes<br />
Psychotherapie an den Psychologischen<br />
Instituten nicht verändern können. Die<br />
Zielsetzung der Autoren geht auch in eine<br />
ganz andere Richtung. Die Hochschulambulanzen<br />
sollten von der „Therapieverfahrensbindung<br />
im bisherigen Sinne enthoben<br />
werden“. Sollte dies realisiert werden,<br />
dann müsste die Beantragung einer Verhaltenstherapie<br />
in der Hochschulambulanz<br />
noch nicht einmal mehr als solche<br />
gekennzeichnet werden, die Einseitigkeit<br />
von Praxis und Forschung in den Hochschulambulanzen<br />
der Psychologischen<br />
Institute wäre dann nicht mehr zu erkennen.<br />
Die strukturellen Mängel ließen sich tatsächlich<br />
nur beheben, wenn nicht nur<br />
„Personal vorgehalten“, sondern Professuren<br />
für andere wissenschaftlich anerkannte<br />
Psychotherapieverfahren eingerichtet würden,<br />
was aber angesichts leerer Kassen<br />
vonseiten der Kultusministerien als aussichtslos<br />
eingestuft wird. Unter diesen Bedingungen<br />
würde ein Direktstudium Psychotherapie<br />
an den Psychologischen Universitätsinstituten<br />
lediglich auf Dauer einen<br />
heute schon eklatanten Missstand<br />
festschreiben. Die Absolventenzahlen der<br />
Landesprüfungsämter zur Ausbildung von<br />
Psychologischen Psychotherapeuten wie<br />
auch von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten<br />
zeigen schon heute auf,<br />
dass die Verfahrensvielfalt in der psychotherapeutischen<br />
Versorgung massiv bedroht<br />
und eine Monokultur der Verhaltenstherapie<br />
zukünftig absehbar ist. Die Herausnahme<br />
der Verfahrensbindung aus der<br />
Definition der Psychotherapie löst dieses<br />
Problem keineswegs, sondern würde es<br />
nur verschleiern.<br />
Was von den Autoren schließlich auch<br />
nicht diskutiert wird, ist die entscheidende<br />
Frage, ob denn die beschriebenen Praxisanteile<br />
für den Erwerb einer Approbation<br />
qualifizieren können. Dort, wo die Autoren<br />
von Weiterbildung sprechen, gehen sie<br />
von dieser Qualifizierung offensichtlich<br />
aus. Es wird verschwiegen, dass Studenten<br />
(auch eines Studiengangs Psychotherapie)<br />
grundsätzlich keine Heilbehandlungen<br />
durchführen dürfen, auch nicht unter<br />
Supervision. Die Folge würde im Falle eines<br />
approbationsbegründenden Direktstudiums<br />
aber sein, dass Psychotherapie-Studienabsolventen<br />
ohne jede Behandlungserfahrung<br />
zur heilkundlichen Behandlung<br />
von Patienten zugelassen würden. Diese<br />
massive Problematik eines Direktstudiums<br />
kann gerade von der Frage nach den<br />
Praxis anteilen nicht entkoppelt werden,<br />
und es ist auffällig, dass die Autoren diese<br />
Diskussion aussparen. Die hier bemühte<br />
Analogie zum Ausbildungsverlauf von Humanmedizinern<br />
(die zu anderen akademischen<br />
Heilberufen gar nicht besteht) wird<br />
den besonderen Anforderungen an eine<br />
psychotherapeutische Ausbildung nicht<br />
gerecht. Denn es ist gerade nicht die Ansammlung<br />
von Kenntnissen einzelner Methoden<br />
und Techniken, sondern es sind<br />
die unter Supervision gewonnenen Erfahrungen<br />
mit der Einbindung des eigenen<br />
Handelns in ein Referenzsystem (Verfahren)<br />
sowie auch entsprechende Selbsterfahrung,<br />
die zur psychotherapeutischen<br />
Behandlung qualifizieren. Diese Qualifikation<br />
sollte im Interesse der angehenden<br />
Psychotherapeuten und der Patienten erst<br />
dann bescheinigt werden, wenn sie erworben<br />
wurde.<br />
Insgesamt erscheint der Beitrag der Autoren<br />
von dem Interesse geleitet, die Psychologischen<br />
Universitäts-Institute als geeigneten<br />
Anbieter eines (auch praxisbezogenen)<br />
Psychotherapie-Studiums zu präsentieren,<br />
und spart dabei den heute<br />
schon eklatanten Missstand einer einseitig<br />
verengten Forschungs-, Praxis- und Lehrkompetenz<br />
an fast allen Psychologischen<br />
Instituten und die schwierige Diskussion<br />
der Qualifizierung für eine Approbation<br />
weitgehend aus.<br />
Dipl.-Psych. Georg Schäfer,<br />
Bonn<br />
284 Psychotherapeutenjournal 3/<strong>2014</strong>