ptj_2014-3
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Kommentare und Leserbriefe zu erschienenen PTJ-Artikeln<br />
nicht allein betroffen. Und es wäre wichtig,<br />
bei jeder Gelegenheit darauf hinzuweisen<br />
und Verbindungen zu gleich gelagerten aktuellen<br />
Konflikten zu suchen.<br />
Sicherlich ist das Kräfteverhältnis der Antipoden<br />
derzeit noch so einseitig kapitalistisch,<br />
wie Sie sie es beschrieben haben.<br />
Solange z. B. Klinikkonzerne die Forderungen<br />
ihrer durch profitdiktierte Arbeitsverdichtung<br />
völlig überforderten Mitarbeiter(innen)<br />
nach einer tariflich festgeschriebenen<br />
Mindestbesetzung der Stationen als<br />
„unzulässigen Eingriff in die unternehmerische<br />
Freiheit“ ablehnen, wie es die Leitung<br />
der Charité in Berlin gegen entsprechende<br />
Forderungen ihrer Beschäftigten in dem<br />
aktuell laufenden Arbeitskampf dort gerade<br />
tut, befinden wir uns weiterhin nur im<br />
Abwehrkampf gegen den Trend, „Krankheit“<br />
zur Ware zu machen. Und da ich selber<br />
in einem (psychiatrischen) Krankenhaus<br />
arbeite, weiß ich, dass manche Kollegin<br />
und mancher Kollege auch schon kapituliert<br />
hat, so wie Sie das auch für die niedergelassenen<br />
Kolleg(inn)en beschreiben<br />
bzw. befürchten.<br />
Doch Artikel wie Ihrer machen Mut. Und<br />
Streiks wie der an der Berliner Charité, wo<br />
es nicht mehr nur primär um mehr Geld<br />
geht, sondern um die Bedingungen, unter<br />
denen wir arbeiten müssen, tun das auch.<br />
Sind sie doch – wie ehedem in den Siebzigern<br />
– der erste Schritt hin zu Ihrer Conklusio,<br />
also zu einer Infragestellung der allgemeinen<br />
gesellschaftlichen Bedingungen,<br />
unter denen wir arbeiten. Ich stimme Ihnen<br />
also zu, dass Gesellschaftskritik von<br />
einem psychotherapeutischen Standpunkt<br />
aus zu unserem Beruf gehört. Genauso<br />
wünsche ich mir aber, dass wir uns in Solidarität<br />
mit jenen darin verbünden, die an<br />
denselben Widersprüchen leiden und dagegen<br />
ankämpfen.<br />
In diesem Sinne nicht nur mit kollegialen,<br />
sondern auch mit solidarischen Grüßen<br />
Heiko Boumann,<br />
Bad-Laasphe<br />
Zu U. Stangier, A.-K. Risch, T. Heidenreich & M. Hautzinger: „Rezidivierende<br />
Depressionen – Lassen sich Rückfälle verhindern und psychische Gesundheit<br />
erhalten? Eine kognitiv-verhaltenstherapeutische Perspektive.“<br />
Psychotherapeutenjournal 2/<strong>2014</strong>, S. 164-169.<br />
Psychotherapie in der medizinischen Sezierwerkstatt?<br />
Es ist schon immer wieder gut und wichtig,<br />
gegen das schreckliche Leiden der Depression<br />
anzukämpfen. Zumal die Erkrankung<br />
– wie die Autoren in ihrem Artikel<br />
dankenswerterweise und im Widerspruch<br />
zur oftmals behaupteten guten Behandelbarkeit<br />
von Depressionen berichten – von<br />
einer massiven Rückfallgefährdung betroffen<br />
zu sein scheint. „Ein rezidivierender<br />
Verlauf ist somit der Normalfall“ heißt es ja<br />
schon ganz am Anfang. Die Absicht, in der<br />
psychotherapeutischen Versorgung „eine<br />
stärkere Berücksichtigung der Rückfallprävention“<br />
einzuführen, ist daher aller Ehren<br />
wert!<br />
Das Ergebnis der eigenen Untersuchung zu<br />
einer „Rückfallprophylaxe“-Therapie ist dann<br />
allerdings ernüchternd. Vergleicht man nämlich<br />
die selbst eruierten Rückfallraten für die<br />
sog. Kognitive Erhaltungstherapie (KET), welche<br />
die Autoren mit 51% angeben, mit der<br />
eingangs des Artikels genannten Zahl von<br />
30-50% der Betroffenen, die „unbehandelt“<br />
(!) einen Rückfall erleiden (auf Seite 164 genannt),<br />
reibt man sich schon erstaunt die<br />
Augen. Dem folgenden Fazit, dass eine<br />
Rückfallprophylaxe „für den dauerhaften Erfolg<br />
einer Psychotherapie von großer Bedeutung<br />
ist“, kann man daher zwar weiter theoretisch<br />
zustimmen, allein die Frage in der<br />
Überschrift des Artikels „Lassen sich Rückfälle<br />
verhindern?“ müsste aufgrund der vorgelegten<br />
Studie dann aber wohl weitgehend<br />
negativ beantwortet werden.<br />
Ein zweiter Gedanke zu dem von gleich<br />
drei Professoren und einer promovierten<br />
Psychologischen Psychotherapeutin verfassten<br />
Artikel: Sicher, er ist aus dem Paradigma<br />
der Kognitiven Verhaltenstherapie<br />
(KVT) heraus geschrieben. Aber andererseits<br />
erscheint er im Psychotherapeutenjournal.<br />
Und was war das doch gleich wieder,<br />
Psychotherapie? Hatte nicht im vorletzten<br />
Jahrhundert ein gewisser Sigmund<br />
Freud die Grundlagen dafür gelegt und mit<br />
seiner Psychoanalyse einen Gegenentwurf<br />
zum medizinischen Verständnis von psychischer<br />
Krankheit geschaffen? Einen Entwurf,<br />
der zentral seelische Faktoren, das<br />
Unbewusste und die Kindheit betont hat<br />
sowie das subjektive Erleben eines spezifischen<br />
Individuums mit seiner einmaligeinzigartigen<br />
Lebensgeschichte? Und war<br />
das nicht eine hochgradig humane Theorie,<br />
die – so anders als die auf Krankheit<br />
bezogene Psychiatrie – den kranken Menschen<br />
in den Mittelpunkt stellte?<br />
Liest man dagegen heutige Fachartikel,<br />
wie bspw. den vorliegenden zu rezidivierenden<br />
Depressionen, hat man stets den<br />
Eindruck, aus einer medizinischen Sezierwerkstatt<br />
zu hören, wo der Mensch bestenfalls<br />
noch als Fallvignette vorkommt. So<br />
schön wissenschaftlich das dann klingen<br />
mag, verrät eine solcherart sich dem medizinischen<br />
Paradigma unterwerfende Fassung<br />
von Psychotherapie meines Erachtens<br />
nach doch die genuinen Wurzeln unserer<br />
Disziplin. Mich verwundert es im<br />
Gegensatz zu den Autoren jedenfalls nicht,<br />
wenn diese abschließend eine offenbar<br />
geringe „Bedeutung des Technikfaktors“<br />
(Seite 168) feststellen müssen. Denn: Ist<br />
Psychotherapie wirklich vor allem Technik?<br />
Oder bedarf der oftmals furchtbar an seiner<br />
Depression leidende Mensch nicht<br />
doch vornehmlich der wertschätzenden<br />
Begegnung mit dem psychologisch gebildeten<br />
Fachmann (bzw. der Fachfrau), um<br />
u. a. zu einer „Annahme seiner selbst“ zu<br />
kommen, wie es der Medizinethiker Giovanni<br />
Maio von der Uni Freiburg ausdrückt?<br />
Ich jedenfalls sehe die schleichend-latente<br />
Transformation der Psychotherapie hin zu<br />
einer quasi objektiven und angeblichen effizienten<br />
Spezialdisziplin innerhalb der Medizin<br />
mit großer Skepsis und Sorge!<br />
Jürgen Karres,<br />
Landsberg am Lech<br />
286 Psychotherapeutenjournal 3/<strong>2014</strong>