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Aktuelles aus der Forschung<br />

Unerwartete Symptomverbesserungen und<br />

-verschlechterungen im Verlauf einer<br />

Psychotherapie<br />

Implikationen für die psychotherapeutische Praxis<br />

Nina Sarubin<br />

Einleitung<br />

Forschungsarbeiten zur Wirksamkeit von Interventionsmaßnahmen<br />

basieren häufig auf<br />

statistischen Prä-Post-Berechnungen, welche<br />

Hinweise darauf geben sollen, ob Behandlung<br />

A oder Behandlung B zu einem<br />

signifikant besseren Ergebnis (sog. „outcome“)<br />

in einer bestimmten Patientenstichprobe<br />

führt. Individuelle Psychotherapieverläufe<br />

werden hingegen deutlich seltener<br />

untersucht (Hayes et al., 2007). Dies<br />

liegt u. a. daran, dass mitunter eine kontinuierliche,<br />

graduelle Abnahme von psychischen<br />

Symptomen angenommen wird. Einige<br />

Studien deuten jedoch – ebenso wie<br />

die klinischen Erfahrungen von Praktikern –<br />

darauf hin, dass Veränderungen bei Patienten<br />

1 durch eine Psychotherapie nicht einem<br />

linearen Muster folgen, sondern dynamisch,<br />

mit vorübergehenden Höhen und Tiefen<br />

hinsichtlich der Qualität und der Quantität<br />

der Symptomatik verlaufen können. Der folgende<br />

Artikel beschäftigt sich mit dem Phänomen<br />

von plötzlich auftretenden Verbesserungen<br />

(sog. „sudden gains“) sowie<br />

plötzlich auftretenden Verschlechterungen<br />

(sog. „sudden spikes“) von Patienten, welche<br />

sich in psychotherapeutischer Behandlung<br />

befinden.<br />

Tang und De Rubeis (1999) operationalisierten<br />

als erste Forscher plötzliche Verbesserungen<br />

von Patienten zwischen zwei<br />

aufeinanderfolgenden Sitzungen. Eine<br />

„plötzliche Verbesserung“ liegt nach ihrer<br />

Definition dann vor, wenn (1) eine absolute<br />

Veränderung vorliegt (gemäß dem RCI/<br />

reliable change index; Jacobson & Truax,<br />

1991), (2) die vorherige Symptomatik um<br />

mind. 25% reduziert wurde und (3) die<br />

Reduktion der Symptomatik stabil ist, d. h.,<br />

dass die Symptomschwere bei den vorherigen<br />

drei Therapiesitzungen signifikant höher<br />

gewesen sein sollte als die Symptomschwere<br />

in den folgenden drei Sitzungen<br />

nach dem sudden gain. Die Operationalisierung<br />

des zuletzt genannten Kriteriums<br />

der Stabilität der Verbesserung wurde aus<br />

unterschiedlichen Gründen kritisiert (Aderka<br />

et al., 2012). Ein alternatives Maß zur<br />

Prüfung der Stabilität wäre z. B., wenn eine<br />

Symptomverbesserung 1,5-mal höher ausfällt<br />

als die jeweilige Standardabweichung<br />

beim gewählten Therapieerfolgsmaß des<br />

Patienten (in standardisierten Fragebögen)<br />

im Psychotherapieverlauf (Aderka et<br />

al., 2012).<br />

Ursprünglich wurde angenommen, dass<br />

ausschließlich kognitive Prozesse zu den<br />

beschriebenen positiven Veränderungen<br />

führen (Tang & De Rubeis, 1999), mittlerweile<br />

werden jedoch eine ganze Reihe von<br />

möglichen Variablen im Zusammenhang<br />

mit sudden gains untersucht (u. a. Selbstwert,<br />

therapeutische Arbeitsbeziehung,<br />

positive und negative Lebensereignisse).<br />

Die plötzlichen Symptomveränderungen<br />

treten bei mehr als 50% der Patienten<br />

auf, welche sich wegen einer Depression<br />

erfolgreich einer psychotherapeutischen<br />

Behandlung unterzogen haben (Tang &<br />

De Rubeis, 1999). Patienten mit einer<br />

plötzlichen Symptomverbesserung im<br />

Rahmen einer Psychotherapie wegen einer<br />

Depression wiesen zu Behandlungsende<br />

sowie sechs und 18 Monate<br />

später weniger Symptome auf als Patienten,<br />

welche eine kontinuierliche Verbesserung<br />

der Symptomatik im Laufe der<br />

Psychotherapie erlebt hatten (Tang & De<br />

Rubeis, 1999). Aktuelle Studien untermauern<br />

diesen Befund von Tang und De<br />

Rubeis dahingehend, dass sudden gains<br />

eine signifikante Assoziation zu einer größeren<br />

Symptomreduktion zu Behandlungsende<br />

im Vergleich zu Patienten mit<br />

kontinuierlicher Verbesserung der Symptomatik<br />

aufweisen (Aderka et al., 2012).<br />

Eine Literatursuche in der psychologischen<br />

Datenbank PsycINFO zu den Schlagwörtern<br />

„depression“, „sudden gains“ und<br />

„psychotherapy“ ergab 19 wissenschaftliche<br />

Arbeiten. Die Kombination der Begriffe<br />

1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden<br />

im Folgenden nicht durchgehend beide<br />

Geschlechtsformen genannt, selbstverständlich<br />

sind jedoch Frauen und Männer gleichermaßen<br />

gemeint.<br />

274 Psychotherapeutenjournal 3/<strong>2014</strong>

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