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Psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund<br />

führung einer Psychotherapie für Kinder<br />

und Jugendliche mit Migrationshintergrund.<br />

In der Regel werden die Kosten von<br />

den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.<br />

Eine Ausnahme stellt die Gruppe<br />

der Flüchtlinge und Asylbewerber dar,<br />

die aufgrund ihres unsicheren Aufenthaltsstatus<br />

oft nicht regulär versichert sind und<br />

deren Grundversorgung über einen Krankenbehandlungsschein<br />

des Sozialamtes<br />

sichergestellt wird. Dieser deckt Psychotherapie<br />

allerdings nicht ab. Die Kostenübernahme<br />

für eine Psychotherapie muss<br />

zunächst beim Sozialamt speziell beantragt<br />

werden und unter Umständen hat<br />

das Sozialgericht darüber zu entscheiden,<br />

ob die Finanzierung bewilligt wird. Dieses<br />

Verfahren ist mit relativ großem Aufwand<br />

und Unsicherheiten verbunden. Um dem<br />

entgegenzuwirken, plädierten einige der<br />

Experten dafür, traumatisierten Flüchtlingskindern<br />

einen gesicherten Aufenthaltsstatus<br />

zuzuerkennen, damit sie einfacher in<br />

die gesetzliche Krankenversicherung aufgenommen<br />

werden können.<br />

Die Person des<br />

Psycho therapeuten<br />

Ob für die Durchführung einer Psychotherapie<br />

mit Migrantenkindern spezielle Qualifikationen<br />

erforderlich sind, wurde von<br />

den befragten Experten differenziert beurteilt.<br />

Als hilfreich wurden übereinstimmend<br />

Fremdsprachenkenntnisse sowie Sensibilität,<br />

Toleranz und Wissen über andere Kulturen<br />

bewertet, ferner Kenntnisse bzw.<br />

Zusatzausbildungen in Traumatherapie sowie<br />

ein Repertoire an diagnostischen und<br />

therapeutischen Methoden, die nicht primär<br />

über Sprache funktionieren. Ein eigener<br />

Migrationshintergrund des Psychotherapeuten<br />

kann in vielen Fällen von Vorteil<br />

sein, insbesondere, wenn die behandelten<br />

Kinder und ihre Familien aus dem gleichen<br />

Kulturkreis stammen. Allerdings betonten<br />

einige der Experten auch, dass Kinder- und<br />

Jugendlichenpsychotherapeuten mit Migrationshintergrund<br />

nicht per se interkulturell<br />

kompetenter seien als Kollegen ohne<br />

Migrationshintergrund. „Es ist nicht gesagt,<br />

nur wenn jemand Muttersprachler ist oder<br />

eine andere Herkunft hat, dass der dann<br />

kulturell kompetent ist. Interkulturelle<br />

Kompetenz ist was, was jenseits der Ethnie<br />

erworben werden muss“, so einer der<br />

Interviewpartner.<br />

Einige der Experten berichteten, dass Psychotherapeuten<br />

zuweilen Vorbehalte hinsichtlich<br />

einer Behandlung von Kindern<br />

und Jugendlichen mit Migrationshintergrund<br />

hätten. Hierfür spielen unterschiedliche<br />

Gründe eine Rolle, wie z. B. die Erwartung<br />

eines besonders komplizierten und<br />

mühsamen Psychotherapieprozesses, konfligierende<br />

Wertvorstellungen oder Differenzen<br />

hinsichtlich der therapeutischen<br />

Ziele. Beispielhaft schilderte eine der befragten<br />

Expertinnen Erfahrungen aus einer<br />

von ihr selbst durchgeführten Therapie:<br />

„Wenn ich ein junges Mädchen mit Adoleszenz-<br />

und Ablösungsproblemen in der<br />

Therapie habe, die von ihren Brüdern oder<br />

dem Vater streng behandelt wird, und die<br />

Mutter die Männer dabei unterstützt, dann<br />

sind mir die Hände gebunden.“ Einige Kinder-<br />

und Jugendlichenpsychotherapeuten<br />

antizipieren auch Probleme und Konflikte<br />

aufgrund kultureller Unterschiede in den<br />

Geschlechterrollen. So können z. B. weibliche<br />

Psychotherapeutinnen innere Ambivalenzen<br />

entwickeln, wenn sie verschleierte<br />

Mädchen und junge Frauen behandeln, da<br />

sie die Verschleierung als Symbol der Unterdrückung<br />

durch eine patriarchalische<br />

Kultur empfinden. Eine Expertin formulierte<br />

ihre Vorbehalte wie folgt: „Das passt irgendwie<br />

nicht, eine Verschleierung und<br />

dann soll man die Seele öffnen, da habe<br />

ich Probleme. Ich bin jetzt mal so ehrlich,<br />

das macht ja auch was mit einem.“<br />

Im Hinblick auf das Desiderat der interkulturellen<br />

Kompetenz von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten<br />

betonten die<br />

befragten Experten die wichtige Bedeutung<br />

von Fort- und Weiterbildungen sowie<br />

von Tagungen, Workshops und Kongressen.<br />

Als förderlich für die Entwicklung von<br />

Kultursensibilität wurde auch die Begegnung<br />

mit Menschen aus anderen Kulturkreisen<br />

angesehen, insbesondere der<br />

Austausch mit Kollegen, die selbst einen<br />

Migrationshintergrund haben. Weiterhin<br />

wurde die Teilnahme an Arbeitskreisen<br />

empfohlen, die sich dem Thema Migration<br />

und Psychotherapie widmen.<br />

Verbesserungsvorschläge und<br />

Empfehlungen<br />

Um die derzeit als unzureichend anzusehende<br />

psychotherapeutische Versorgungssituation<br />

von Kindern und Jugendlichen<br />

mit Migrationshintergrund zu verbessern,<br />

schlugen die befragten Experten eine Reihe<br />

von Maßnahmen vor. Die Empfehlungen<br />

bezogen sich auf strukturelle Rahmenbedingungen<br />

der Versorgung, Aufklärung<br />

und Information sowie die Aus- und<br />

Weiterbildung von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten:<br />

• Ganz generell wurden deutlich mehr<br />

Kassensitze für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten<br />

gefordert. Nur<br />

so kann nach Auffassung der befragten<br />

Experten die angespannte Versorgungslage<br />

verbessert werden – sei es für Kinder<br />

und Jugendliche mit oder ohne Migrationshintergrund.<br />

• Durch die Übernahme von Dolmetscherkosten<br />

durch die gesetzlichen<br />

Krankenkassen könnte ein wesentliches<br />

Therapiehindernis für finanziell<br />

schwächere Familien mit Migrationshintergrund<br />

beseitigt werden. Außerdem<br />

müsste nicht auf die in vieler Hinsicht<br />

problematische Übersetzungstätigkeit<br />

von Familienmitgliedern oder Freunden<br />

zurückgegriffen werden. Für Dolmetscher<br />

im KJP-Bereich wäre eine pädagogische<br />

bzw. basistherapeutische Zusatzqualifikation<br />

wünschenswert.<br />

• Durch eine Sonderbedarfszulassung für<br />

Psychotherapeuten mit Migrationshintergrund<br />

und/oder entsprechenden<br />

Sprachkenntnissen durch die Zulassungsausschüsse<br />

könnte die Versorgungssituation<br />

von Kindern bzw. Familien<br />

mit schlechten oder keinen Deutschkenntnissen<br />

deutlich verbessert werden.<br />

Nach derzeitiger Rechtsprechung<br />

des Bundessozialgerichts (BSG) stellt<br />

muttersprachliche Psychotherapie keinen<br />

Sonderbedarf für die Zulassung<br />

dar. Diese Entscheidung sollte – gerade<br />

auch vor dem Hintergrund der ohnehin<br />

mangelnden Versorgung im Bereich der<br />

KJP mit muttersprachlichen Psychotherapeuten<br />

– neu überdacht werden (vgl.<br />

hierzu auch Halbe, 2008). Wünschenswert<br />

wären darüber hinaus auch Maßnahmen,<br />

welche geeignet sind, die Zahl<br />

der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten<br />

mit Migrationshintergrund<br />

zu erhöhen.<br />

• Durch einen sicheren Aufenthaltsstatus<br />

für traumatisierte Kinder und Jugendli-<br />

262 Psychotherapeutenjournal 3/<strong>2014</strong>

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