ptj_2014-3
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Psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund<br />
führung einer Psychotherapie für Kinder<br />
und Jugendliche mit Migrationshintergrund.<br />
In der Regel werden die Kosten von<br />
den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.<br />
Eine Ausnahme stellt die Gruppe<br />
der Flüchtlinge und Asylbewerber dar,<br />
die aufgrund ihres unsicheren Aufenthaltsstatus<br />
oft nicht regulär versichert sind und<br />
deren Grundversorgung über einen Krankenbehandlungsschein<br />
des Sozialamtes<br />
sichergestellt wird. Dieser deckt Psychotherapie<br />
allerdings nicht ab. Die Kostenübernahme<br />
für eine Psychotherapie muss<br />
zunächst beim Sozialamt speziell beantragt<br />
werden und unter Umständen hat<br />
das Sozialgericht darüber zu entscheiden,<br />
ob die Finanzierung bewilligt wird. Dieses<br />
Verfahren ist mit relativ großem Aufwand<br />
und Unsicherheiten verbunden. Um dem<br />
entgegenzuwirken, plädierten einige der<br />
Experten dafür, traumatisierten Flüchtlingskindern<br />
einen gesicherten Aufenthaltsstatus<br />
zuzuerkennen, damit sie einfacher in<br />
die gesetzliche Krankenversicherung aufgenommen<br />
werden können.<br />
Die Person des<br />
Psycho therapeuten<br />
Ob für die Durchführung einer Psychotherapie<br />
mit Migrantenkindern spezielle Qualifikationen<br />
erforderlich sind, wurde von<br />
den befragten Experten differenziert beurteilt.<br />
Als hilfreich wurden übereinstimmend<br />
Fremdsprachenkenntnisse sowie Sensibilität,<br />
Toleranz und Wissen über andere Kulturen<br />
bewertet, ferner Kenntnisse bzw.<br />
Zusatzausbildungen in Traumatherapie sowie<br />
ein Repertoire an diagnostischen und<br />
therapeutischen Methoden, die nicht primär<br />
über Sprache funktionieren. Ein eigener<br />
Migrationshintergrund des Psychotherapeuten<br />
kann in vielen Fällen von Vorteil<br />
sein, insbesondere, wenn die behandelten<br />
Kinder und ihre Familien aus dem gleichen<br />
Kulturkreis stammen. Allerdings betonten<br />
einige der Experten auch, dass Kinder- und<br />
Jugendlichenpsychotherapeuten mit Migrationshintergrund<br />
nicht per se interkulturell<br />
kompetenter seien als Kollegen ohne<br />
Migrationshintergrund. „Es ist nicht gesagt,<br />
nur wenn jemand Muttersprachler ist oder<br />
eine andere Herkunft hat, dass der dann<br />
kulturell kompetent ist. Interkulturelle<br />
Kompetenz ist was, was jenseits der Ethnie<br />
erworben werden muss“, so einer der<br />
Interviewpartner.<br />
Einige der Experten berichteten, dass Psychotherapeuten<br />
zuweilen Vorbehalte hinsichtlich<br />
einer Behandlung von Kindern<br />
und Jugendlichen mit Migrationshintergrund<br />
hätten. Hierfür spielen unterschiedliche<br />
Gründe eine Rolle, wie z. B. die Erwartung<br />
eines besonders komplizierten und<br />
mühsamen Psychotherapieprozesses, konfligierende<br />
Wertvorstellungen oder Differenzen<br />
hinsichtlich der therapeutischen<br />
Ziele. Beispielhaft schilderte eine der befragten<br />
Expertinnen Erfahrungen aus einer<br />
von ihr selbst durchgeführten Therapie:<br />
„Wenn ich ein junges Mädchen mit Adoleszenz-<br />
und Ablösungsproblemen in der<br />
Therapie habe, die von ihren Brüdern oder<br />
dem Vater streng behandelt wird, und die<br />
Mutter die Männer dabei unterstützt, dann<br />
sind mir die Hände gebunden.“ Einige Kinder-<br />
und Jugendlichenpsychotherapeuten<br />
antizipieren auch Probleme und Konflikte<br />
aufgrund kultureller Unterschiede in den<br />
Geschlechterrollen. So können z. B. weibliche<br />
Psychotherapeutinnen innere Ambivalenzen<br />
entwickeln, wenn sie verschleierte<br />
Mädchen und junge Frauen behandeln, da<br />
sie die Verschleierung als Symbol der Unterdrückung<br />
durch eine patriarchalische<br />
Kultur empfinden. Eine Expertin formulierte<br />
ihre Vorbehalte wie folgt: „Das passt irgendwie<br />
nicht, eine Verschleierung und<br />
dann soll man die Seele öffnen, da habe<br />
ich Probleme. Ich bin jetzt mal so ehrlich,<br />
das macht ja auch was mit einem.“<br />
Im Hinblick auf das Desiderat der interkulturellen<br />
Kompetenz von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten<br />
betonten die<br />
befragten Experten die wichtige Bedeutung<br />
von Fort- und Weiterbildungen sowie<br />
von Tagungen, Workshops und Kongressen.<br />
Als förderlich für die Entwicklung von<br />
Kultursensibilität wurde auch die Begegnung<br />
mit Menschen aus anderen Kulturkreisen<br />
angesehen, insbesondere der<br />
Austausch mit Kollegen, die selbst einen<br />
Migrationshintergrund haben. Weiterhin<br />
wurde die Teilnahme an Arbeitskreisen<br />
empfohlen, die sich dem Thema Migration<br />
und Psychotherapie widmen.<br />
Verbesserungsvorschläge und<br />
Empfehlungen<br />
Um die derzeit als unzureichend anzusehende<br />
psychotherapeutische Versorgungssituation<br />
von Kindern und Jugendlichen<br />
mit Migrationshintergrund zu verbessern,<br />
schlugen die befragten Experten eine Reihe<br />
von Maßnahmen vor. Die Empfehlungen<br />
bezogen sich auf strukturelle Rahmenbedingungen<br />
der Versorgung, Aufklärung<br />
und Information sowie die Aus- und<br />
Weiterbildung von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten:<br />
• Ganz generell wurden deutlich mehr<br />
Kassensitze für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten<br />
gefordert. Nur<br />
so kann nach Auffassung der befragten<br />
Experten die angespannte Versorgungslage<br />
verbessert werden – sei es für Kinder<br />
und Jugendliche mit oder ohne Migrationshintergrund.<br />
• Durch die Übernahme von Dolmetscherkosten<br />
durch die gesetzlichen<br />
Krankenkassen könnte ein wesentliches<br />
Therapiehindernis für finanziell<br />
schwächere Familien mit Migrationshintergrund<br />
beseitigt werden. Außerdem<br />
müsste nicht auf die in vieler Hinsicht<br />
problematische Übersetzungstätigkeit<br />
von Familienmitgliedern oder Freunden<br />
zurückgegriffen werden. Für Dolmetscher<br />
im KJP-Bereich wäre eine pädagogische<br />
bzw. basistherapeutische Zusatzqualifikation<br />
wünschenswert.<br />
• Durch eine Sonderbedarfszulassung für<br />
Psychotherapeuten mit Migrationshintergrund<br />
und/oder entsprechenden<br />
Sprachkenntnissen durch die Zulassungsausschüsse<br />
könnte die Versorgungssituation<br />
von Kindern bzw. Familien<br />
mit schlechten oder keinen Deutschkenntnissen<br />
deutlich verbessert werden.<br />
Nach derzeitiger Rechtsprechung<br />
des Bundessozialgerichts (BSG) stellt<br />
muttersprachliche Psychotherapie keinen<br />
Sonderbedarf für die Zulassung<br />
dar. Diese Entscheidung sollte – gerade<br />
auch vor dem Hintergrund der ohnehin<br />
mangelnden Versorgung im Bereich der<br />
KJP mit muttersprachlichen Psychotherapeuten<br />
– neu überdacht werden (vgl.<br />
hierzu auch Halbe, 2008). Wünschenswert<br />
wären darüber hinaus auch Maßnahmen,<br />
welche geeignet sind, die Zahl<br />
der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten<br />
mit Migrationshintergrund<br />
zu erhöhen.<br />
• Durch einen sicheren Aufenthaltsstatus<br />
für traumatisierte Kinder und Jugendli-<br />
262 Psychotherapeutenjournal 3/<strong>2014</strong>