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Mai - Fokus

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DIE MANGELHAFTE KAUFLIEGENSCHAFT –<br />

GEWÄHRLEISTUNGSPFLICHT BEIM<br />

LIEGENSCHAFTSKAUF<br />

MAI 2011<br />

Aufklärungspflicht und Gewährleistungspflicht<br />

Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung vom 28. Juli 2010, Geschäftszahl 9 Ob 50/10 h,<br />

klargestellt, dass beim Erwerb eines Einfamilienhauses ohne Hinweis auf eine besondere<br />

Bodenbeschaffenheit im Allgemeinen ein natürlich gewachsener Untergrund erwartet werden kann.<br />

Text Mario Schiavon Foto Shutterstock<br />

RECHTSLAGE. Die von den Klägern erworbene Liegenschaft<br />

samt darauf errichtetem Einfamilienhaus befindet sich auf<br />

einer mit Bauschutt aufgefüllten Schottergrube. Dieser<br />

Umstand war den Verkäufern auf Grund eines ausdrücklichen<br />

Hinweises in ihrem eigenen Kaufvertrag bekannt. Die Kläger<br />

machten gegen die Verkäufer Gewährleistungsansprüche geltend<br />

und begehrten Preisminderung wegen der ungewöhnlichen<br />

Bodenbeschaffenheit.<br />

Im Sinne des Gewährleistungsrechts besteht eine Mangelhaftigkeit<br />

in einer qualitativen bzw. quantitativen Abweichung der Leistung<br />

vom vertraglich Geschuldeten. Die Vertragsparteien können eine<br />

Sache, die objektiv gesehen mangelhaft ist, durchaus als vertragsgemäß<br />

ansehen. So kann ein auffallend niedriger Kaufpreis ein<br />

Indiz dafür sein, dass bestimmte negative Eigenschaften des Kaufgegenstandes<br />

nach der Vorstellung der Parteien keinen Mangel<br />

darstellen und somit auch keine Gewährleistungsansprüche auslösen<br />

sollen.<br />

Bei Unterlassung einer nach Treu und Glauben berechtigt erwarteten<br />

Aufklärung – wie hier über die Bodenbeschaffenheit (vgl.<br />

8 Ob 36/07 p) – darf nicht ohne Weiteres eine schlüssige Zusage<br />

angenommen werden, wenn der Erwerber keine Auskünfte oder<br />

Belehrungen verlangt. Wenn aber der Verkäufer die Wichtigkeit<br />

der tatsächlich fehlenden Eigenschaft für den Käufer kennt oder<br />

diese zumindest erkennen muss, ist er bei Nichtaufklärung über<br />

das Fehlen der berechtigt erwarteten Eigenschaft grundsätzlich<br />

gewährleistungspflichtig.<br />

Die Vorinstanzen haben zu Recht eine Verletzung der Aufklärungspflicht<br />

der Beklagten über die Bodenbeschaffenheit bejaht. Ihnen<br />

war der tatsächliche Zustand des Untergrunds bekannt. Ohne Hinweis<br />

auf die für einen Liegenschaftskauf wesentliche Eigenschaft<br />

der besonderen Bodenbeschaffenheit konnte die Klägerin beim<br />

Kauf des Einfamilienhauses in einer Siedlung davon ausgehen,<br />

dass dieses auf natürlich gewachsenem Grund errichtet wurde.<br />

Selbst wenn die Klägerin von einem günstigen Geschäft ausgegangen<br />

wäre, hätten keine ausreichenden Verdachtsmomente für eine<br />

Nachfrageobliegenheit bestanden. In Anbetracht der konkreten<br />

Gegebenheiten konnte sich die Klägerin somit auf natürliche<br />

Bodenverhältnisse verlassen und die Eigenschaft eines natürlich<br />

gewachsenen Bodens erwarten.<br />

Im Zweifel sind Verzichtserklärungen allerdings restriktiv auszulegen.<br />

Ein vertraglicher Gewährleistungsverzicht erstreckt sich<br />

daher nicht auf das Fehlen ausdrücklich oder schlüssig zugesicherter<br />

Eigenschaften oder auf arglistig verschwiegene Mängel. Durch<br />

das neue Gewährleistungsrecht hat sich an diesen Grundsätzen<br />

nichts geändert (2 Ob 189/07 v).<br />

Der Haftungsausschluss steht mit dem Hinweis auf den den Käufern<br />

bekannten Zustand der Liegenschaft und der ihnen gegebenen<br />

Gelegenheit zur Informationsbeschaffung (zum Beispiel durch<br />

Besichtigung) in Verbindung (arg: „Die Verkäufer haften demnach<br />

[…]“). Es handelt sich somit um keinen umfassenden Gewährleistungsverzicht.<br />

Vielmehr bezieht sich dieser nur auf Mängel, die<br />

für die Käufer etwa durch Besichtigung sowie Informationsaufnahme<br />

erkennbar gewesen wären.<br />

Zur Ermittlung der Höhe der Preisminderung bedient sich der<br />

Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung der sogenannten<br />

relativen Berechnungsmethode. Damit soll die mit dem Kaufpreis<br />

im Verhältnis zum Verkehrswert des Kaufobjekts festgelegte<br />

subjektive Äquivalenz aufrechterhalten werden. Nach dieser<br />

Berechnungsmethode soll sich der geminderte Preis zum vereinbarten<br />

Preis wie der Wert der mangelhaften Sache zum Wert der<br />

mangelfreien Sache verhalten. Ein gutes Geschäft soll ein gutes<br />

Geschäft bleiben. Für eine Preisminderung nach der relativen<br />

Berechnungsmethode besteht keine Untergrenze mit dem Verkehrswert<br />

des mangelhaften Objekts.<br />

Zusammengefasst hat der Oberste Gerichtshof den umfassenden<br />

Gewährleistungsausschluss, der sich in ähnlicher Form in vielen<br />

Liegenschaftskaufverträgen findet und der eine ausdrückliche<br />

Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien darstellt, auf der<br />

Aus legungsebene durch eine angebliche und stillschweigend getroffene<br />

Abrede zwischen den Vertragsparteien „durchlöchert“. �<br />

Dr. Mario Schiavon ist Rechtsanwalt in Wien, Partner<br />

der Sozietät Siemer-Siegl-Füreder & Partner Rechtsanwälte,<br />

mit Schwerpunkt Immobilien- und Liegenschaftsrecht.<br />

1010 Wien, Dominikanerbastei 10<br />

Tel. 01/512 14 45, Fax 01/513 79 84<br />

schiavon@ssfp-law.at<br />

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