Horizonte - Kantonsschule Enge
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konnte: Amoklauf in Norwegen, Hungerkatastrophe<br />
in Ostafrika, Krawalle in London, Börse<br />
im Sinkflug. In den öffentlichen Debatten war<br />
Hilflosigkeit festzustellen, die Experten widersprachen<br />
sich, viele neigten zu vorschnellen<br />
Antworten. Zu den wichtigen Zielen einer Mittelschule<br />
gehört, dass sich die Schülerinnen<br />
und Schüler gerade nicht mit schnellen Urteilen<br />
zufrieden geben, dass sie auch nicht hilflos bleiben<br />
wollen und sich aufgefordert fühlen, die Ursachen<br />
und Zusammenhänge von Ereignissen<br />
zu erkennen.<br />
Die Zeitungskommentatoren verwiesen anlässlich<br />
der massiven Krawalle in London auf die<br />
fehlenden Bildungschancen und Zukunftsperspektiven<br />
in den von Ausschreitungen betroffenen<br />
Gebieten: Es herrsche eine Art Analphabetismus,<br />
eine sprachlose Wut der Jugend, die<br />
sich in Plünderungen Ausdruck zu verschaffen<br />
suche. Ob dies tatsächlich Gründe für die Krawalle<br />
waren, kann nicht mit Sicherheit gesagt<br />
werden – sicher ist aber, dass Bildung die Chance<br />
bietet, sich die Welt sprachlich anzueignen,<br />
die Geschichte und die Mechanismen der eigenen<br />
Gesellschaft zu erkennen und sich Perspektiven<br />
für das eigene Leben zu erarbeiten.<br />
Hohe Jugendarbeitslosigkeit und Perspektivenlosigkeit<br />
sind Tragödien für die Einzelnen und<br />
für die Gesellschaft; insbesondere der Jugend<br />
sollte keine Mauer die Aussicht verbauen. Eine<br />
Mittelschule kann das Gegenteil einer solchen<br />
Mauer darstellen: die ganze Welt soll den Absolventen<br />
nach dem Abschluss offenstehen.<br />
Mittelschulen bilden Generalisten, nicht Spezialisten,<br />
sie streben Allgemeinbildung an im Gegensatz<br />
zu Ausbildung, wie sie eine Lehre bietet.<br />
Fachliche Tiefe und wissenschaftliche Lauterkeit<br />
sind die Grundlagen für die spätere Studierfähigkeit.<br />
Ein erfolgreiches Hochschulstudium<br />
verlangt aber auch spezifische überfachliche<br />
Kompetenzen: insbesondere Reflexionsfähigkeit,<br />
kritisch-forschendes Denken, Durchhaltevermögen<br />
und Dialogfähigkeit, Neugierde und<br />
Selbstständigkeit, aber auch Methodenkompetenzen,<br />
d.h. das Beherrschen von Lern- und Prüfungsstrategien,<br />
Recherchieren und Projektmanagement.<br />
Von den Schülerinnen und Schülern erwarten<br />
wir, dass sie Verantwortung für die Lerngemeinschaft<br />
übernehmen, Leistungen erbringen<br />
und differenziert denken wollen. Bildung<br />
heisst, sich zu fragen, wie man einer unsicheren<br />
Welt begegnet, und dabei zu erkennen, dass<br />
dies nicht mit Abschottung, Angst oder Gewalt<br />
geschehen darf, sondern mit Denken und daraus<br />
abgeleitetem Handeln. «Nur Toren», heisst<br />
es in einem geflügelten Wort der Antike, «sitzen<br />
am Fluss und warten, bis er aufhört zu fliessen»<br />
– wer hinübersetzen will, muss denken.<br />
Ansprüche und Perspektiven<br />
Eine Untersuchung mit dem klingenden Namen<br />
EVAMAR, die im Auftrag der Schweizer<br />
Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) erstellt<br />
wurde und die Evaluation des Maturitätsanerkennungsreglements<br />
von 1995 zum Ziel hatte,<br />
attestiert einem Teil der Maturanden in unserem<br />
Land erhebliche Defizite in den Fachbereichen<br />
Mathematik und Erstsprache (je nach<br />
Landesteil: Deutsch, Französisch oder Italienisch).<br />
In einem Folgeprojekt sollen nun, so<br />
die Absicht der EDK, für Basale Kompetenzen in<br />
beiden Bereichen Standards definiert und der<br />
Hochschulzugang von deren Erfüllung abhängig<br />
gemacht werden.<br />
Dieses Projekt verfolgt zwar ein wichtiges Ziel:<br />
die Sicherung des allgemeinen Hochschulzuganges<br />
in der Schweiz, aber die geplante Um-<br />
setzung wirft viele Fragen auf. Die Schulleiter<br />
der Zürcher Mittelschulen haben deshalb zusammen<br />
mit der Rektorin der ETH und dem<br />
Rektor der Universität Zürich gegenüber der<br />
EDK Stellung genommen und dabei auch ihre<br />
Skepsis formuliert – im Zentrum stehen dabei<br />
die folgenden Argumente:<br />
Studierfähigkeit ist ein komplexer Begriff und<br />
umfasst viel mehr als die genannten Kompetenzen<br />
in einzelnen Fachbereichen. Konsequenterweise<br />
geht das Maturitätsanerkennungsreglement<br />
von einem breit definierten Fächerkanon<br />
aus, in dem Hochschulreife im Sinne einer<br />
breiten Allgemeinbildung als Gesamtes begriffen<br />
wird. Wenn Gymnasiasten in einzelnen<br />
Fächern die Standards der «Basalen Kompetenzen»<br />
nicht erfüllen können, bedeutet dies noch<br />
nicht, dass sie «studierunfähig» sind.<br />
Wir befürchten ausserdem, dass mit dem veränderten<br />
Fokus ein funktionierendes System<br />
der Anerkennung von Hochschulreife negativ<br />
verändert wird und dabei keine Probleme gelöst<br />
werden. Es liegt in unseren Augen in der<br />
Verantwortung der Schulen, dass ihre Schülerinnen<br />
und Schüler das Maturitätsniveau erreichen<br />
und über Kompetenzen in den einzelnen<br />
Fächern verfügen. Eine Definition ex cathedra<br />
würde dagegen das bewährte Prinzip der Verantwortung<br />
der Einzelschule und der einzelnen<br />
Lehrperson erschüttern. Abstrakte Standarddiskussionen<br />
sind ausserdem zu weit vom<br />
konkreten Unterrichtsgeschehen entfernt, und<br />
es gibt direktere Möglichkeiten, Erwartungen<br />
mit den pädagogischen Mitteln der Schule zu<br />
erfüllen.<br />
Es besteht für uns ferner das Risiko, dass die Definition<br />
«Basaler Kompetenzen» den Aufbau einer<br />
zentralen Stelle nach sich zieht, die mittels<br />
zentraler Tests und bürokratischen Aufwands<br />
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