Horizonte - Kantonsschule Enge
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Jahresbericht 2010/2011<br />
62<br />
Mit Nachtzug oder Tram<br />
Zwei Autorenlesungen an der KEN<br />
Christa Miloradovic-Weber<br />
2006 erhielt Katharina Hacker für ihren London-Roman<br />
Die Habenichtse den deutschen<br />
Buchpreis. Den Frühherbst 2011 wollte sie mit<br />
Mann und Kindern in Zürich verbringen, mietete<br />
eine Wohnung und stellte sich für Lesungen<br />
zur Verfügung.<br />
Die Veranstaltung an der KEN war ihre erste.<br />
Deshalb kam sie am Morgen mit dem Nachtzug<br />
direkt von Berlin angereist. Offenbar war es<br />
eine unruhige Nacht gewesen. Einige Schüler/<br />
innen fanden später, das habe man gespürt,<br />
die Autorin sei etwas lethargisch und gleichzeitig<br />
hektisch gewesen, andere empfanden sie<br />
durchaus als pfiffig und humorvoll.<br />
Sie berichtete kurz von ihrem Studium der Judaistik,<br />
von ihren Jahren in Israel, gab Kostproben<br />
ihrer Hebräisch-Kenntnisse und verbat<br />
sich augenzwinkernd zürich-deutsche Fragen.<br />
Danach las sie eine der Dorfgeschichten, die wir<br />
noch vor der Herausgabe ihres neusten Bandes<br />
zugeschickt bekommen hatten und in denen<br />
es um Ferienerlebnisse einer ca. zehnjährigen<br />
Westdeutschen mit ihren älteren und jüngeren<br />
Brüdern geht. Den Schauplatz liefern Dorf und<br />
Bauernhaus der Grosseltern im Taunus.<br />
Genauso sehr wie ihre Episoden interessierten<br />
Katharina Hacker die Texte der W2b, welche die<br />
Klasse im Hinblick auf diese Lesung geschrieben<br />
hatte: Erinnerungssequenzen an die eigene<br />
Kindheit.<br />
Abwechselnd lasen nun die Autorin und jemand<br />
aus der W2b ihre Geschichten vor. Inhaltlich<br />
passte die Autorin die Episoden, die sie<br />
auswählte, dem jeweiligen Schüler-Text an. So<br />
folgte etwa auf Gustavs (W2b) Porträt der faulen<br />
Katze eine Hacker-Geschichte über Mäuse.<br />
Fazit: Ein vielstimmiges Konzert – eine zeitgemässe<br />
Annäherung an Literatur.<br />
Fünf Wochen später besuchte uns Urs Faes. Im<br />
Unterschied zu der Berliner Autorin musste er,<br />
weil in Zürich-Unterstrass zu Hause, bloss den<br />
Vierzehner und dann den Dreizehner nehmen.<br />
Er wirkte entsprechend ausgeruht und gelassen.<br />
Zunächst las er uns zwei Schlüsselstellen<br />
seines Schulklassikers Und Ruth vor. Weil die<br />
W2b den Roman ausgezeichnet kannte, ihn<br />
seit Anfang Semester studiert hatte, ergab sich<br />
daraus ein tiefschürfendes Fachgespräch über<br />
literarisches und autobiographisches Schreiben<br />
sowie über die zentralen Themen dieser<br />
Internatsgeschichte: über Unterrichts- und Erziehungsmethoden,<br />
Freundschaft, erste Liebe,<br />
Selbstmord, Zeitkolorit...<br />
Urs Faes äusserte sich später an den nachfolgenden<br />
Lesungen sehr beeindruckt, ja berührt<br />
von der Art und Weise, wie die W2b aus der KEN<br />
sein Buch verstanden und diskutiert habe. So<br />
war denn diese Lesung wohl für beide Seiten<br />
eine sogenannte Sternstunde.