Affektive Störungen<strong>Psychiatrie</strong>Suizidraten in Österreich 1980-2008Suizidraten weltweit:- Lithuania (2005) 38.6- Russia (2005) 32.2- Hungary (2005) 26.0- Japan (2006) 23.7- Switzerland (2005) 17.5- Austria (2006) 15.6- Uruguay (2001) 15.1- China (1999) 13.9- Sweden (2002) 13.2- Seychelles (1998) 13.2- Germany (2004) 13.0- USA (2005) 11.0- Netherlands (2004) 9.3- Argentina (2003) 8.7- Italy (2003) 7.1- UK (2005) 6.7- Israel (2003) 6.2- Brazil (2002) 4.3- Greece (2006) 3.5- Kuwait (2002) 2.2Österreich liegt bei der Suizidrate relativ weit oben (nur wenige baltische Länder haben eine höhere Suizidrate)Suizidrisikofaktoren:- Alter- Geschlecht- Anamnese früherer Suizidversuche (fast 50-fach ↑)- Vorliegen einer psychischen Erkrankung: Depression, Essstörungen, Schizophrenie, Sucht- Komorbidität- Rauchen- Somatische Erkrankung- Zivilstand → Partnerschaft und Kinder sind protektive Faktoren- Missbrauchserlebnisse in der Kindheit- Fehlende soziale Eingebundenheit- Arbeitslosigkeit- Wohnsituation (Stadt > Land)- Narzisstische Kränkbarkeit- Impulsivität? Aggressivität?- Hoffnungslosigkeit- Positive Familienanamnese (Genetik u.a.)- Biologische Faktoren: Serotonin, Cholesterin?- Zugänglichkeit einer Methode- Imitation eines "Modell-/Vorbild"suizides- Alkohol ist ein wichtiger enthemmender FaktorSuizidgefährdung:- Für den vollzogenen Suizid: höher im Alter und bei Männern- Für Suizidgefahr/versuche: höher bei Jüngeren und FrauenSuizidrisiko bei verschiedenen psychischen Erkrankungen:Seite 93<strong>Verena</strong> <strong>Kaiser</strong>
<strong>Psychiatrie</strong>Affektive StörungenAllgemeinmedizin und Suizid:- In über 90% der Suizidopfer mindestens eine psychiatrische (Achse I-) Diagnose- Erhöhung des Risikos durch Komorbidität (v.a. depressive Symptomatik bei Angststörungen, Schizophrenie,Alkohol)- Persönlichkeitsstörungen (u.a. Borderline)- Psychische Erkrankung (Depression!) oft nicht erkannt- Suizidopfer häufig zuletzt in ärztlicher Behandlung (Tirol: 78% im letzten Jahr beim Arzt, 50% in letzten Quartal)- Suizidideen oft nicht (eindeutig) geäussert: Somatisierung, "doctor shopping" (→ Nachfragen!)- Nach früheren Parasuiziden fragen!Mögliche Hinweise auf Suizidalität:- Nicht selten offene Suizidankündigungen- Versteckte Hinweise (allgemeines häufigeres Reden über den Tod, über Verstorbene,...)- Depressive Symptome (Rückzug, Interessensverlust, Konzentrations-, Schlafstörungen, Gewichtsverlust)- Klagen über unklare körperliche Beschwerden- Trennungserlebnisse- Vermehrter Alkohol-, Drogenkonsum- Träume (Stürze, Brände, Mord)- Nicht einfühlbare Rücknahme von Aggression und Wut- "Unheimliche Ruhe" nach vorheriger Suizidthematik- Häufige(re) Arztkontakte, ArztwechselWichtige Kriterien für die Einschätzung akuter Suizidalität:- Eigenanamnese: Suizidgedanken (aufdrängend? kontrollierbar?), Konkretisierung, Vorbereitungshandlungen- Dissimulationstendenz?- Aussenanamnese (Angehörige, Einsatzkräfte, Passanten,…)- Vorliegen einer psychiatrischen Erkankung?- Frühere Suizidversuche?- Vorsicht bzgl. des Begriffs "Kurzschlusshandlung"- (Alkohol-, Drogen-) Intoxikation?- Besteht ein soziales Netz?- Emotionale Erreichbarkeit, Vereinbarungsfähigkeit Nach einem Parasuizid:- Echter kathartischer Effekt oder versuchte Täuschung?- Situation geändert? - "Warum wollen Sie jetzt nicht mehr sterben?"- Schuldgefühle wegen des Parasuizids?Suizidprävention:- Mehrere Ebenen: Primär - Sekundär - Tertiär (Postvention)- Überhaupt an die Möglichkeit denken, dass eine Person suizidal sein könnte!- Verbesserung der Erkennung und Behandlung psychischer Krankheiten, Enttabuisierung!- Verminderung der Zugänglichkeit zu Suizidmitteln: Schusswaffen, toxische Medikamente/Pestizide, Haushaltsgas,Autoabgase, Hochbauten, Geleise- Verbesserung an der Schnittstelle psychiatrische Krankenhäuser - ambulante Strukturen (Risikophase!)- Berichterstattung in den Medien- Aufklärung bzgl. Suizidzeichen in der Bevölkerung- In bestimmten Situationen gezieltes "Gemeinschaftsgefühl" (Kurt Cobain)- Suizidäußerungen immer ernst nehmen- MYTHOS 1: "Wer von Selbstmord spricht, tut es nicht." – FALSCH!- MYTHOS 2: "Durch Ansprechen von Suizidalität kann jemand erst zum Suizid motiviert werden." – FALSCH!- Im Akutfall Polizei (Einweisung = Parere)- Suizidpräventive Medikamente: Lithium (Gold standard als mood stabilizer), Clozapin (Zulassung in den USA zurSuizidprävention)- Antidepressiva: Suizidprävention durch antidepressive Wirkung (bei jüngeren Pat. Induktion von Suizidalität nichtauszuschließen)<strong>Verena</strong> <strong>Kaiser</strong> Seite 94