REISENWeitwan<strong>der</strong>wegDas Val Chiusella, wo Mariaund ihr Mann Giorgio, Typ Alpöhi,zu Hause sind, bezaubertuns mit seinen Weilern und demPassübergang nach Piamprato.<strong>Die</strong> Höhepunkte jagen sich. Daist <strong>der</strong> von einem Regenbogenüberspannte Wasserfall von Noasca,den man, ohne nass zu werden,auch von hinten bewun<strong>der</strong>nkann. Der wonnevolle Saumpfadnach Ceresole Reale. Das AlbergoLes Montagnards in Balme.Der Steilabstieg vom Colledi Costa Fiorita nach Usseglio.Und natürlich die Felspyramidedes Rocciamelone, seit Jahrhun<strong>der</strong>tenein Wallfahrtsziel undmit 3538 Metern buchstäblich<strong>der</strong> (fakultative) Höhepunkt <strong>der</strong>GTA. <strong>Die</strong> Poebene und das Susatalliegen auf dem Grund einesendlos scheinenden Nebelmeers,und südwärts blickend könnenwir auch nur staunen: über dieAusdehnung und Mächtigkeitdes französisch-italienischen Alpenwalls.Ganz klein fühlen wiruns, doch erhaben.Vom Rocciamelone geht’shinunter in fast mediterran anmutendeGefilde. PflückreifeGranatäpfel führen uns in Versuchung,und Susa überrascht mitseinem Altstädtchen und stolzenZeugen seiner über zweitausendjährigenGeschichte.Einmal wähnt man sich imBinntal, dann im Engadin, einan<strong>der</strong>mal im Tessin, auf Korsika:<strong>Die</strong> landschaftliche Vielfalt entlang<strong>der</strong> GTA macht einen grossenTeil ihres Reizes aus. Dazukommt das Weitwan<strong>der</strong>n als solches:<strong>der</strong> Rhythmus, <strong>der</strong> sich einstellt.Der Moment, da <strong>der</strong> Rucksackgleichsam mit dem Körperverwachsen ist, das schräge Zeitgefühl,das aus zehn Tagen einenMonat macht. Und gibt es eineBrockengespenst – Selbstportät des Autors auf Nebelleinwand; Gipfelschmuckdes M. Pietra Bianca im Cervo-Tal; <strong>der</strong> ohne Seil und Haken über den Grat vornebesteigbare Rocciamelone, fotografiert von <strong>der</strong> Alpe Toglie.bessere Form, Fernweh zu stillen,als Schritt für Schritt – mit allerZeit <strong>der</strong> Welt für Begegnungen,die neue Horizonte eröffnen?Etwas oberhalb von Susa, inMeana di Susa, wirtet im «Bellavista»Nina Ghrone, eine blitzgescheite,hellwache Persönlichkeit,die man nicht vergessenwird, wandelndes Lexikon undbegnadete Erzählerin in einem.Auf sie und ihre offenbar riesigeBibliothek stützten sich Bade/Mikuteit bei den Recherchen fürihr Buch (s. Kasten). Als Mädchenwar Nina manchmal Zettel-Kurierinfür die Partisanengewesen, die gegen Faschistenund Nazis kämpften. Ja, sie hättegerne studiert, sagt sie, habeaber nach dem Tod des Vatersdie Führung des Albergo übernehmenmüssen. Sie weiss auchzu erklären, was es mit demökologisch motivierten epischenWi<strong>der</strong>stand im Tal gegen denTreno ad Alta Velocità, die projektierteHochgeschwindigkeitslinieTurin–Lyon, auf sich hat.Tierisch angetan sind wir vonden unmittelbar folgenden Etappenüber den Orsiera- und denAlbergian-Pass – auch dank röhren<strong>der</strong>Hirsche, Murmeltierenfast zum Streicheln, zwei Birkhähnenund zu guter Letzt einerMufflonherde. Zwischen den zweiwun<strong>der</strong>baren Pässen wartet inUsseaux das «Pzit Rei» – wir sindjetzt im okzitanischen Sprachraum–, <strong>der</strong> für viele GTA-Fansbeste Posto tappa überhaupt.Gleichzeitig sind wir in <strong>der</strong>Heimat <strong>der</strong> jahrhun<strong>der</strong>telangvon weltlichen und geistlichenHerren gnadenlos verfolgtenWaldenser angekommen – eineGTA-Tour ist ein Gang durchtausend Geschichten, viele davonkriegerischer Natur. Beson<strong>der</strong>sberührend sind die vielen Stätten<strong>der</strong> Erinnerung an die Resistenza,so das Rifugio Jervis am Rand<strong>der</strong> zauberhaften Ebene Concadel Prà. Jung hat Willy (Guglielmo)Jervis 1944 für Europas Freiheitsein Leben gelassen – unddoch, auch alpinistisch, einigesmehr geleistet, als unsereins jehinterlassen wird.Allein einen Reisebericht füllenwürde auch <strong>der</strong> Fast-Viertausen<strong>der</strong>Monviso, diese bei perfekterFernsicht selbst von TessinerGipfeln aus sichtbare Felsbastion.Häufig nebelverhüllt, machter uns den Gefallen, genau indem Moment den Schleier zulüften, als wir ihn im Passo dellaGianna erstmals direkt vor unshaben. Und ein Wan<strong>der</strong>paradiesfür sich ist auch das Maira-Tal,die hierzulande wohl bekanntestePiemonteser Talschaft, wozu32<strong>VCS</strong> MAGAZIN / JUNI 2013
REISENWeitwan<strong>der</strong>wegVor <strong>der</strong> Mombarone-Hütte (l.) und beim Aufstieg von <strong>der</strong> Po-Quelle an den Fuss des Monviso.© Gabi Rutschmann© Gabi RutschmannFrischknecht/Bauer (s. Kasten)wesentlich beigetragen haben.<strong>Die</strong> Ankurbelung des sanftenTourismus als Mittel gegen dendramatisch verlaufenen Entvölkerungsprozesswar und ist auch<strong>der</strong> tiefere Sinn <strong>der</strong> GTA.Rolando vom Posto tappa inChialvetta im Maira-Tal, gleichzeitig<strong>der</strong> gute Geist des kleinen,aber feinen Dorfmuseums, hatalles vorgekehrt, damit wir imStura-Tal gut unterkommen; wirqueren via Monte Oserot, nehmenauf fast 3000 Meter überMeer ein Oktober-Sonnenbad,<strong>der</strong>weil die T-Shirts trocknen.In Pontebernardo hat <strong>der</strong> Postotappa-Chefextra für uns geheizt,und in <strong>der</strong> Osteria La PecoraNera («Zum Schwarzen Schaf»),im umgebauten Dachstock desehemaligen Schulhauses, verwöhnenuns Chiara und Xescounter an<strong>der</strong>em mit exzellenterForelle in Kräuterkruste. Wie dasbekanntere Albergo della Paceim benachbarten Sambuco habensie sich <strong>der</strong> Slow-Food-Kücheverschrieben. Sie ist aus Brescia,er Katalane, zusammengefundenhaben sie in Turin. <strong>Die</strong> zweiJunggastronomen sprudeln übervor Ideen und sind entschlossen,ihr Ding durchzuziehen. Auchaus Frankreich komme schonStammkundschaft – das Stura-Tal ist eine Transitroute.Deren Kehrseite zeigt sich inDemonte weiter vorn im Tal. <strong>Die</strong>enge Hauptgasse, flankiert vonan sich lauschigen Laubengängen,erstickt im Verkehr. «Fuori iTIR – dentro il turismo!», prangtauf einem <strong>der</strong> ausgehängtenTransparente – LKW raus, Tourismusrein!Vor uns liegen die Seealpenund als Schlussbouquet die LigurischenAlpen. Noch 14 o<strong>der</strong>auch 20 Wan<strong>der</strong>tage, dann sindwir in Ventimiglia, am Meer. Garantiertsüchtig nach mehr.Nützliche Informationen<strong>Die</strong> rund 1000 Kilometer lange Grande Traversata delle Alpi (GTA) durchzieht,unterteilt in gut 60 Tagesetappen (zuzüglich vieler Varianten), denitalienischen Westalpenbogen von den Ossolatälern bis ins ligurische Ventimiglia.Unser Autor machte sich 2011 ab Locarno auf die Weitwan<strong>der</strong>socken.Auf www.gtaweb.de gibt’s immer das Aktuellste zur GTA. Literatur:Werner Bätzing: Grande Traversata delle Alpi. Teil 1: Der Norden; Teil 2: DerSüden; Rotpunktverlag. <strong>Die</strong> gut 500-seitige GTA-«Bibel» mit allen technischenAngaben und vielen (kultur-)historischen und geografischen Exkursen.25 Prozent Rabatt plus Gratisporto für <strong>VCS</strong>-Mitglie<strong>der</strong>: www.vcs-bonus.chIris Kürschner, <strong>Die</strong>ter Haas: GTA. Rother Wan<strong>der</strong>führer. Der kompakt-vollständigeBegleiter (ca. 250 S.) mit Hintergrund-Geschichten in Kurzform.Ursula Bauer, Jürg Frischknecht: Antipasti und alte Wege. Valle Maira –Wan<strong>der</strong>n im an<strong>der</strong>n Piemont, Rotpunktverlag. (Rabatt s. oben)Werner Bätzing, Michael Klei<strong>der</strong>: <strong>Die</strong> Ligurischen Alpen. / <strong>Die</strong> Seealpen. /Valle Stura. Rotpunktverlag. (Rabatt s. oben)Sabine Bade, Wolfram Mikuteit: Partisanenpfade im Piemont. Ein Wan<strong>der</strong>lesebuch.Verlag Querwege, Konstanz.Infos zu Route und Unterkünften: www.verkehrsclub.ch/touren<strong>VCS</strong> MAGAZIN / JUNI 2013 33