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NEUE MOBILITÄT 13

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Status Quo der ElektromobiliTät - TÜV SÜD<br />

Status Quo der ElektromobiliTät - TÜV SÜD<br />

Ladeinfrastruktur<br />

Der Schlüssel zum Erfolg?<br />

Wie viel Ladeinfrastruktur braucht der Mensch? Oder anders<br />

gefragt, wie viel Ladeinfrastruktur muss der geneigte<br />

Käufer eines Elektroautos in seiner Umgebung wahrgenommen<br />

haben, damit er guten Gewissens die Kaufentscheidung<br />

zugunsten eines Stromers treffen kann?<br />

Die Anzahl der Meinungen zu dieser Frage ist in etwa proportional<br />

zur Anzahl der Konferenzen zu diesem Thema oder zur<br />

Zahl der Demonstrationsprojekte, in welchen die verschiedenen<br />

Ladeoptionen durchprobiert werden und wo man versucht,<br />

sich diesem Thema wissenschaftlich zu nähern. Manchmal<br />

lausche ich doch sehr verwundert den Meinungen, die hierzu<br />

vertreten werden. Zur Einschätzung, wie sich »der« Nutzer<br />

am Ende des Tages verhalten wird und was er wirklich<br />

braucht. Mein persönlicher Erfahrungsschatz, nach jetzt drei<br />

Jahren beinahe täglicher Elektromobilität, ist sicher nicht uneingeschränkt<br />

repräsentativ, passt aber selten zur wissenschaftlichen<br />

Meinung. Mich erstaunt das. Ist meine persönliche<br />

elektromobile Wohlfühlzone wirklich so besonders?<br />

Interessant ist vor allem, wie die verschiedenen Akteure ganz<br />

unterschiedliche theoretische Lösungen für diese Wohlfühlzone<br />

bereit halten. Der typische Energieversorger erklärt mir<br />

üblicherweise, ich lade vor allem zuhause (oder in der Arbeit),<br />

öffentliche Ladesäulen braucht es kaum, ein Geschäftsmodell<br />

gäbe es dafür ohnehin nicht. Der zweite Teil des Satzes<br />

macht mich dann doch leicht misstrauisch. Wenn mir jemand<br />

im gleichen Satz mitzuteilen versucht, dass ich etwas nicht<br />

brauche, worin er aktuell kein Geschäftsmodell sieht, dann<br />

sei mir zumindest ein kleiner Zweifel erlaubt, ob er damit<br />

wirklich meine Wohlfühlzone im Sinn hat.<br />

Zweifel an diesen Worten empfindet - neben mir - sicher auch<br />

so mancher aktiver Fahrer. Wenn ich z.B. unterwegs bin, sagen<br />

wir mit 20% geplanter Restladung und dann doch noch<br />

mutig einen zusätzlichen Kundentermin einschiebe. Meine<br />

wohl geplante Route - und ich trau mich wirklich was - erfährt<br />

damit eine empfindliche Abweichung. Gegenüber meinen<br />

Kunden aus der Elektromobilität kann ich schon mal die Frage<br />

nach einer Steckdose äußern. Schließlich komme ich politisch<br />

korrekt, emissionsfrei und sowieso, man kennt das Problem.<br />

Bei Kunden außerhalb dieses Kosmos rührt die Frage schon<br />

manchmal etwas seltsam an. Gratisstrom? Der nimmt was er<br />

kriegen kann! In diesen Fällen wirkt dann auch der Hinweis<br />

zu den fehlenden Geschäftsmodellen meines Energieversorgers<br />

ein wenig hilflos. Die ein oder andere Ladesäule mehr<br />

würde mir das Leben etwas leichter machen. Betonen möchte<br />

ich, ich weiß mich zu beschäftigen während eines einstündigen<br />

Ladestopps. Die eMails werden mir nicht ausgehen,<br />

die Energie für die Heimfahrt schon.<br />

Wohlgemerkt, ich brauchte die elektromobile Wohlfühlzone<br />

nicht um mir auch privat ein Elektroauto zu kaufen. Ich glaube<br />

allerdings, die breitere Kundschaft auf die wir natürlich<br />

alle hoffen, macht von diesem Wohlgefühl letztlich die Kaufentscheidung<br />

abhängig. Erst die Wohlfühlzone, dann das<br />

Elektroauto. Was unangenehmer Weise bedeutet, erst muss<br />

die Ladesäule stehen, ich muss sie gesehen haben - und<br />

nicht nur die eine - dann beginne ich Vertrauen zu schöpfen.<br />

Im Grunde haben wir mit dem CNG-Erdgasauto ausreichend<br />

Erfahrung mit nicht sichtbarer Infrastruktur. Es gibt an die<br />

1.000 Tankstellen in Deutschland, hätten Sie es gewusst?<br />

Man fährt gegenüber Benzin etwa zum halben Preis und die<br />

CO 2 -Emissionen liegen deutlich günstiger als bei anderen fossilen<br />

Kraftstoffen. Warum setzt sich das eigentlich nicht durch?<br />

Nun, kennen Sie eine Erdgastankstelle? Wenn Sie diese Frage<br />

mit »Ja« beantworten, gehören Sie zu einer Minderheit<br />

oder sind, wie ich, jahrelang ein Erdgasauto gefahren. Oft<br />

liegen diese etwas abseits und man findet sie auch nur selten<br />

an wirklich großen Tankstellen. An Autobahnen gibt es<br />

sie, bis auf einzelne Ausnahmen, gar nicht, denn dort gibt<br />

es meist keine Erdgasleitung. Auch die Autohöfe sind oft abseits<br />

der typischen Leitungen. Man mag argumentieren, in<br />

der heutigen Zeit weiß die Bordelektronik wo ich die Tankstelle<br />

finde, dazu muss ich aber bereits in so einem Fahrzeug<br />

sitzen, es also gekauft haben. Wer simuliert schon vor dem<br />

Kauf ob er später eine Tankstelle findet?<br />

Viel entscheidender ist doch, dass Erdgastankstellen, oder<br />

kehren wir zurück zu den Stromtankstellen, Teil meines Erfahrungshorizontes<br />

sind, ich mir also sicher bin, ich werde<br />

Strom bekommen wenn ich ihn brauche. Dieses Wissen baut<br />

sich überall dort auf, wo ich genügend Ladepunkte gesehen<br />

habe. Schlussendlich muss es vermutlich sogar die taktile<br />

Erfahrung sein. Ich muss so ein »Teil« mal benutzt haben,<br />

den Stecker gesteckt und das Wohlgefühl gespürt haben,<br />

wenn sich das Auto während meiner Abwesenheit für die<br />

Heimfahrt stärkt. Für nicht Elektromobilisten: Das fühlt sich<br />

in etwa so an, wie wenn ich nach dem Einkaufen einen vollen<br />

Benzintank habe, zum halben Preis! Der wahre Elektromobilist<br />

empfindet natürlich zusätzlich noch die Befriedigung<br />

mit Erneuerbarer Energie, leise und emissionsfrei unterwegs<br />

zu sein. Für den Normalkunden werden letztere Faktoren nur<br />

eine untergeordnete Rolle spielen. Kosten, Fahrspaß und der<br />

Reiz des Innovativen werden da viel wichtigere Aspekte sein.<br />

Übrigens gebe ich ganz offen zu, dass ich auch sehr gerne<br />

zuhause lade. Morgens habe ich grundsätzlich einen vollen<br />

Tank. Das Gefühl nicht mehr an die Tankstelle zu müssen -<br />

zumindest zum Tanken - ist ein durchaus angenehmes.<br />

Doch wie viel Ladeinfrastruktur braucht es tatsächlich und<br />

vor allem welche? Es wäre natürlich vermessen sich über die<br />

vielen Experten zu stellen und zu proklamieren, so muss es<br />

sein. Ich fahre schließlich auch erst seit drei Jahren und ich<br />

wohne in München, einer Stadt, die der Elektromobilität bislang<br />

nicht sehr zugetan ist. Ich bin also - wie momentan wohl<br />

jeder - ein Sonderfall. Eigentlich gibt es in München nur eine<br />

wirklich öffentliche Ladesäule und die ist, zumindest am<br />

Samstag, immer besetzt. Ich meide sie also. Im Notfall allerdings<br />

klemme ich dort auch schon mal einen (vollen) Twizy<br />

ab, es ist schließlich ein Notfall, meine Visitenkarte fungiert<br />

als Entschuldigung. Auch in Hamburg und Berlin bin ich hin<br />

und wieder elektrisch unterwegs. Das fühlt sich schon besser<br />

an. Etwa 150, respektive 350 (geplant 1.000), Ladesäulen<br />

finden sich in Hamburg und Berlin, das gibt eine gewisse<br />

Sicherheit. Von nachhaltiger Präsenz im Stadtbild würde ich<br />

aber auch hier noch nicht sprechen. Wer hier momentan die<br />

Entscheidung für ein Elektrofahrzeug trifft, hat weiterhin andere<br />

gute Gründe.<br />

Vor kurzem war ich in Tokyo und habe mir das Netz von<br />

Schnellladestationen angeschaut. Zwischen Nagoya und<br />

Tokyo kenne ich inzwischen jede Säule und jeden 7-Eleven.<br />

Der Gastgeber hat viel Aufwand betrieben an jeder Säule<br />

immer auch ein Fahrzeug auftauchen zu lassen. Natürlich<br />

war uns schnell klar, es handelt sich immer um die gleichen<br />

zwei Fahrzeuge. Interessanter Weise aber, tauchten tatsächlich<br />

auch »echte« Kunden auf. Eine junge Mutter z.B. die mit<br />

ihren 2 Kindern gerade die 350 Kilometer von Tokyo nach<br />

Nagoya zurück legt und wie selbstverständlich das Fahrzeug<br />

- einem i-MiEV, einer kleinen Zwischenladung unterzieht.<br />

Auf die Frage ob sie das öfter macht: »Ja klar, alle<br />

zwei Wochen«. Wir waren beeindruckt, ob der Selbstverständlichkeit<br />

wie die Japaner bereits mit Elektroautos umgehen.<br />

Ähnliches lässt sich auch aus den USA berichten,<br />

wo Tesla-Fahrer wie selbstverständlich bis zu 1.000 Kilometer<br />

am Tag zurück legen. Ein bis zwei Zwischenladungen<br />

genügen dem Model S dafür, bei der Strecke sind Pausen<br />

ohnehin angebracht. In Dänemark hat der Einzug des Schnellladekonzepts<br />

von »CLEVER« zu einer deutlichen Änderung<br />

im Fahrverhalten der Fahrer von Elektroautos geführt.Durch<br />

die Schnellladestationen entlang wichtiger Transitrouten hat<br />

sich der typische Aktionsradius der Fahrzeuge mehr als verdoppelt<br />

und er wächst jeden Monat weiter. Mit jeder Ladestation<br />

wächst die Zuversicht der Fahrer, viele legen Strecken<br />

von 200 bis 300 Kilometern ganz Selbstverständlich zurück.<br />

Was lernen wir aus all dem? Zunächst einmal, Schnellladung<br />

ist eine sinnvolle Sache, sie garantiert mir eine erweiterte<br />

Autonomie mit sinnvollen Ladepausen von 15 bis 20 Minuten.<br />

Länder mit Tempolimits tun sich leichter, das Netz muss<br />

nicht ganz so dicht sein. Bei den Geschäftsmodellen lohnt<br />

es vielleicht, sich von Tesla zumindest inspirieren zu lassen,<br />

man muss ja nicht unbedingt kopieren. Mit dem Kauf eines<br />

Tesla kaufe ich wahlweise zusätzlich eine Schellladeoption,<br />

mit der ich dann in der Folge, so lange ich das Fahrzeug besitze,<br />

kostenlos schnelllade. Mit dem eingesammelten Geld<br />

finanziert Tesla den Aufbau und den Betrieb der Ladesäulen.<br />

Ich hoffe sehr, uns wird dazu in Europa auch noch etwas<br />

Passendes einfallen! Heimladung ist zwar eine schöne<br />

Sache, sie alleine wird die breitere Kundschaft aber nicht<br />

überzeugen. Wir werden mit der ein oder anderen nicht so<br />

optimal ausgelasteten Ladesäule leben müssen, einen psychologischen<br />

Wert hat sie trotzdem. Um diesen optimal nutzen<br />

zu können, darf es keine Frage sein, ob ich Zugang zur<br />

Ladesäule bekommen kann. Es muss klar sein, ich kann an<br />

jeder Säule die es gibt auch tatsächlich laden. Über Stecker,<br />

Zugangskarte und Abrechnung möchte ich mir bitte keine<br />

Gedanken machen. Dann klappt es auch mit dem Kunden<br />

fürs Elektroauto!<br />

Volker Blandow<br />

Global Head of E-Mobility<br />

TÜV SÜD<br />

www.tuev-sued.de<br />

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