Aware Broschüre 2016
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56 3. Innovationen: Entwicklungslinien<br />
In Deutschland<br />
3.1 Innovationen:<br />
Entwicklungslinien<br />
in Deutschland<br />
Georg Overbeck<br />
THI<br />
„Deutsche Innovationen“ oder „Innovationen aus Deutschland“ – wie man diese Begrifflichkeit auch<br />
dreht und wendet, sie bleibt abstrakt und erfährt ihre Konkretisierung erst durch eine synoptische<br />
Betrachtung der großen Entwicklungslinien. Insbesondere kann man über Jahrhunderte hinweg nicht<br />
von Deutschland, sondern lediglich von einem deutschen Sprachraum sprechen, denn bis 1806 war<br />
dieser unter dem Dach einer kaiserlichen Regierung im sogenannten Heiligen Römischen Reich in eine<br />
Vielzahl von Königreichen, kleineren geistlichen und weltlichen Fürstentümern sowie freien Städten<br />
zersplittert. Erst 1871 konsolidierte sich das neue Deutsche Kaiserreich unter der Führung Preußens.<br />
Der Entwicklungspfad bis hin zu den ersten Innovationen verbindet ebenfalls mehrere Jahrhunderte.<br />
Dieser Pfad beginnt mit der Epoche der Renaissance, die man zwar nicht als Zeitalter der Innovationen,<br />
wohl aber als Zeit des allgemeinen Umbruchs und großer Entdeckungen definieren kann. Es lösen<br />
sich nun Naturwissenschaften und Technik von der Theologie, mit der sie bisher untrennbar verbunden<br />
waren. Als herausragendes Beispiel sei der in der Hansestadt Thorn (heute Toruń in Polen) geborene<br />
Nikolaus Kopernikus genannt, der Anfang des 16. Jahrhunderts die seinerzeit revolutionäre Theorie<br />
des Umlaufs der Planeten um die Sonne aufstellt. Rund ein Jahrhundert später liefert der in der Freien<br />
Reichsstadt Weil der Stadt geborene Johannes Kepler erstmals eine mathematische Beschreibung der<br />
Planetenbewegungen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts demonstriert Otto von Guericke aus<br />
der Freien Reichsstadt Magdeburg dem Reichstag nebst anwesendem Kaiser die Wirkung des Unterdrucks.<br />
In einem spektakulären Experiment zeigte er, dass nicht einmal 16 Pferde in der Lage waren,<br />
zwei durch eine Isolierscheibe verbundene Kupferhalbkugeln, aus denen die Luft herausgepumpt<br />
worden war, auseinanderzuziehen.<br />
Die genannten Versuche zeigen, dass die Verdienste dieser Gelehrten zunächst darin bestehen, als<br />
Pioniere ein jahrhundertealtes dogmatisches Weltbild zu verändern. Natürlich ist die gelehrte Welt auch<br />
damals schon über ganz Europa vernetzt, so dass die Erkenntnisse ausgetauscht und diskutiert werden.<br />
Eine Breitenwirkung auf die gesamte Gesellschaft entfalten sie jedoch noch nicht: Bildung bleibt<br />
zu dieser Zeit den Eliten vorbehalten.<br />
Neben den Wissenschaften entwickelt sich auch eine dynamischere Wirtschaftsform, gewissermaßen<br />
parallel zur neuen Dynamik der empirischen Forschung: Überall dort, wo Bürger und Kaufleute<br />
in den Freien Reichsstädten größere Freiheiten genießen können, entsteht durch Eigeninitiative ein<br />
profitabler Frühkapitalismus. Unter einflussreichen Kaufmanns- und Patrizierfamilien wie den aus dem