Aware Broschüre 2016
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58 3. Innovationen: Entwicklungslinien<br />
In Deutschland<br />
Entwicklungsweg Industrie<br />
Breitet sich die Industrielle Revolution anfangs von Großbritannien nach Kontinentaleuropa aus, so<br />
fungiert unter den aufstrebenden europäischen Nationalstaaten auch das junge Deutsche Reich als einer<br />
der zentralen Schrittmacher bei der sogenannten Zweiten Industriellen Revolution, in der deutsche<br />
Erfinderunternehmer ihre Firmen aufbauen. Stellvertretend für die Luftfahrt sei Otto Lilienthal genannt,<br />
der mit seinem selbst entwickelten Hängegleiter wiederholt Flüge unternimmt und diesen schließlich als<br />
„Normalsegelapparat“ ab 1894 in seiner eigenen Maschinen- und Dampfkesselfabrik in Serie herstellt.<br />
Carl Benz entwickelt das erste Automobil und produziert ab 1906 mit seinen Söhnen ebenfalls im<br />
eigenen Unternehmen.<br />
Das Deutsche Reich entwickelt sich in dieser Zeit vom Agrarstaat zum Industriestaat und setzt eine<br />
Innovationsspirale in Gang, die man später mit dem Begriff „deutsches Jahrhundert“ verbinden wird.<br />
Deutschland wird vom Importeur zum Exporteur von Technologien. Am Beispiel des Chemikers Fritz<br />
Haber, der mit Carl Bosch (nicht zu verwechseln mit Robert Bosch) um 1910, noch zu Friedenszeiten,<br />
ein industrielles Verfahren zur Herstellung von Kunstdünger entwickelt, zeigt sich das janusköpfige<br />
Gesicht der Innovation: Als Dienst am Vaterland missverstanden, wird chemische Forschung nicht nur<br />
zum Nutzen der Menschheit, sondern auch zur Entwicklung von Vernichtungswaffen eingesetzt.<br />
Als Teil der Innovationslandschaft des zusammenwachsenden Europas haben sich in den letzten<br />
Jahrzehnten weitreichende Strukturveränderungen ergeben, die sich in einem gestiegenen Anteil des<br />
tertiären Sektors manifestieren. Durch seinen oben geschilderten Entwicklungsweg konnte Deutschland<br />
nachhaltige Kompetenzen bzw. Industriezweige in der Elektrotechnik, der optischen und der<br />
chemischen Industrie sowie der Luft- und Raumfahrt aufbauen – Branchen, die bis heute eine maßgebliche<br />
Basis für Innovationen in der Hoch- und Spitzentechnologie bilden und damit das Ideal des<br />
innovations schaffenden Erfinderunternehmers darstellen.<br />
Entwicklungsweg Universität<br />
Universitäten gibt es in Europa seit dem Mittelalter. Als Beispiel einer frühen Universität sei die<br />
Karlsuniversität zu Prag in Böhmen (heute Tschechien) genannt, die bereits 1348 gegründet wurde.<br />
Die Unterrichtssprache ist zu dieser Zeit ausschließlich Latein, denn die Studierenden kommen aus<br />
ganz Europa. Dies zeigt wiederum, wie schwer es ist, Personen und Institutionen des Mittelalters den<br />
seinerzeit noch nicht vorhandenen nationalstaatlichen Kategorien unterzuordnen. Dementsprechend<br />
stehen im Mittelalter die Gelehrten mit Professoren weiterer europäischer Universitäten untereinander<br />
im Austausch. Auch Nikolaus Kopernikus, Johannes Kepler und Otto von Guericke hatten eine universitätsnahe<br />
oder universitäre Ausbildung.<br />
Ein weiterer wesentlicher Entwicklungsstrang in der Geschichte der Bildungsstätten des Frühkapitalismus<br />
sind die für das Kaufmannsgewerbe unentbehrlichen Rechenschulen, in denen die Gehilfen für<br />
Kaufmannsberufe ausgebildet werden. Die Industrielle Revolution und die damit verbundene Akkumulation<br />
von Arbeit und Kapital führen zu einer starken Nachfrage nach gut qualifizierten Fachkräften, so<br />
dass sich erste höhere Unterrichtsanstalten bilden. Dabei handelt es sich zunächst um sogenannte<br />
Montanhochschulen (Bergakademien), die sich mit den wissenschaftlich-technischen Herausforderungen<br />
des Bergbaus befassen. In Folge entstehen Gewerbeschulen, aus denen sich die ersten polytechnischen<br />
Hochschulen herausbilden. Auf diesen gründen wiederum die Technischen Hochschulen<br />
bzw. die Technischen Universitäten. So studiert Carl Benz Maschinenbau am Polytechnikum Karlsruhe,<br />
der heutigen Technischen Universität Karlsruhe, Otto Lilienthal am Königlichen Gewerbeinstitut Berlin,<br />
einer der Vorgängereinrichtungen der Technischen Universität Berlin. Schon damals haben diese<br />
Einrichtungen den expliziten Auftrag, angewandte Naturwissenschaften, also Ingenieurwesen, zu lehren.<br />
Die endgültige Gleichstellung mit den traditionellen Universitäten erlangen die Technischen Hochschulen