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Gesamtkunstwerk Expressionismus - Mathildenhöhe

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Hinweis auf die tatsächliche politische Haltung<br />

des Arbeitsrats für Kunst geben die poli tischen<br />

expressionistischen Plakate von Max Pechstein<br />

(Abb. 5) und César Klein, die sich im<br />

Sinn der SPD ausdrücklich für eine parlamentarische<br />

Demokratie einsetzen. Von beiden<br />

existieren Werbeplakate zur Gründung der<br />

Na tionalver sammlung. Pechsteins Plakat trägt<br />

den Schriftzug »Arbeiter, Bürger, Bauern, Soldaten<br />

aller Stämme Deutschlands vereinigt<br />

euch zur Nationalversammlung«, während auf<br />

Kleins Plakat »Die Nationalversammlung der<br />

Grundstein der Deutschen Sozialistischen Republik«<br />

zu lesen ist. Aktivitäten für ein Rätesystem<br />

und weitere revolutionäre Maßnahmen<br />

lehnten sie ab. »Erwürgt nicht die junge Freiheit<br />

durch Unordnung und Brudermord. Sonst<br />

verhungern Eure Kinder«, heißt es auf einem<br />

Plakat Pechsteins für den Werbedienst der<br />

Deutschen Republik des Jahres 1918. Die Skepsis<br />

mancher Expressionisten gegenüber der<br />

USPD und dem Spartakusbund rührte von der<br />

Angst her, deren kulturelle Vorstellungen würden<br />

die Freiheit der Kunst einschränken. 9<br />

Pechstein und Klein waren zusammen mit<br />

Heinrich Richter­Berlin auch die führenden<br />

Köpfe der Novembergruppe (Abb. 4),<br />

die sich am 3. November 1918 formierte.<br />

Im Unterschied zum Arbeitsrat für Kunst<br />

bestand die Novembergruppe in ihren Anfängen<br />

fast ausschließlich aus bildenden<br />

Künstlern. In ihren Richtlinien vom Januar<br />

1919 heißt es entsprechend: »Die ›Novembergruppe‹<br />

ist die (deutsche) Vereinigung<br />

der radikalen bildenden Künstler.« 10 In ihren<br />

Akti vitäten und Verlautbarungen erwies<br />

sich die Novembergruppe aber als wenig<br />

poli tisch. Sie existierte bis zum Jahr 1933.<br />

1924 spalteten sich die kommunistischen<br />

Künstler (Dix, Grosz, Felixmüller, Davringhausen,<br />

Heartfield, Griebel und andere)<br />

als Rote Gruppe ab.<br />

Auch in anderen Städten und Zentren des<br />

<strong>Expressionismus</strong> entstanden neue Künstlerorganisationen.<br />

In Dresden spielte Conrad<br />

Felixmüller dabei eine zentrale Rolle. Er<br />

gehörte sowohl dem elfköpfigen leitenden<br />

Komi tee des dortigen Künstlerrats als auch<br />

der Sozialistischen Gruppe der Geistesarbeiter<br />

an. Außerdem gründete er Anfang<br />

1919 die Dresdner Sezession Gruppe 1919,<br />

zu der auch Otto Dix und der Architekt Hugo<br />

Zehder gehörten. Felixmüller ist in diesem<br />

Kontext von besonderem Interesse, da er<br />

einerseits als hervorragendes junges Talent<br />

galt, das sich in die Tradition der Brücke<br />

stellte, und andererseits schon im Jahr 1919<br />

der KPD beitrat und sich für weiterführende<br />

revolutionäre Aktivitäten einsetzte. Ihm gelang<br />

auf besondere Weise der Spagat zwischen<br />

Erfolg auf dem Kunstmarkt – er erhielt<br />

ein jährliches Gehalt von 1 200 Mark von der<br />

Galerie Emil Richter –, 11 und dem Eintreten<br />

für neue Aufgaben der Kunst in einem sozialistischen<br />

Staat. Für die Vorreiterrolle des<br />

<strong>Expressionismus</strong> war Dresden prädestiniert.<br />

Hier war diese Richtung anerkannter als in<br />

anderen Regionen Deutschlands. So wurde<br />

Max Pechstein am 26. März 1919 als erster<br />

expressionistischer Künstler zum Professor<br />

an eine Kunsthochschule, die Dresdner Akademie,<br />

berufen.<br />

Nach Kriegsende entwickelten sich die politischen<br />

Verhältnisse in München anders als in Berlin.<br />

An die Spitze der Räte gelangte ein USPD­<br />

Vertreter, der Journalist und Schriftsteller Kurt<br />

Eisner. Er wurde zum ersten Ministerpräsidenten<br />

des Freistaates Bayern ernannt. Als die Wahlen<br />

Anfang 1919 für die USPD zum Debakel wurden<br />

und eine Restauration alter politischer Strukturen<br />

drohte, ergriffen die Räte gegen das Parlament<br />

die Macht. Um einer neuerlichen Zusammenkunft<br />

der bayerischen Nationalversammlung zuvorzukommen<br />

und die Rätedemokratie zu bewahren,<br />

riefen verschiedene USPD­Politiker zusammen<br />

mit prominenten Intellektuellen und Anarchisten<br />

die Räterepublik in Bayern aus. Die parlamentarische<br />

Regierung unter Johannes Hoffmann (SPD)<br />

flüchtete nach Bamberg und forderte militärische<br />

Unterstützung durch das Reich an, mit dem Auftrag,<br />

München zurückzuerobern. Die Rolle des<br />

Kultusministers übertrug die Räteregierung dem<br />

Schriftsteller und Anarchisten Gustav Landauer.<br />

Der Aktionsausschuss revolutionärer Künstler<br />

mit den bildenden Künstlern Klee, Campendonk,<br />

Schaefler, Richter und Wach erhielt von ihm die<br />

Rolle eines exekutiven Organs. Obwohl Landauer<br />

der Avantgarde gegenüber nicht besonders aufgeschlossen<br />

war, erkannte er doch die positive<br />

Funktion des <strong>Expressionismus</strong>, insbesondere des<br />

expressionistischen Dramas. 12 Unter seiner Regie<br />

illustrierte der expressionistische Künstler Aloys<br />

Wach einige Ausgaben der auflagenstärksten<br />

Tages zeitung, der Münchner Neuesten Nachrichten<br />

(Vorläufer der Süddeutschen Zeitung), mit<br />

seinen Holzschnitten. Diese konnten der Leserschaft<br />

den <strong>Expressionismus</strong> aber nicht näherbringen.<br />

Dem Aktionsausschussmitglied Titus Tautz<br />

blieb in Erinnerung, dass sich Bürger massiv über<br />

diese Holzschnitte beschwerten. 13 Auch das Filmtheater<br />

sollte revolutioniert werden. Landauers<br />

Mitarbeiter Ret Marut, Herausgeber der antimilitaristischen<br />

Zeitschrift Der Ziegelbrenner, kündigte<br />

in der Münchner Tagespresse vom 10. April 1919<br />

die Sozialisierung des Kinos sowie des Theaters<br />

und der Presse an.<br />

Der Aktionsausschuss revolutionärer Künstler<br />

war in verschiedene Abteilungen (unter anderem<br />

Malerei, Bildhauerei, Architektur, Kunstgewerbe)<br />

unterteilt. Auch Schriftsteller wie<br />

Alfred Wolfenstein, Friedrich Burschell und<br />

Georg Kaiser sowie der Komponist Wilhelm<br />

Petersen waren Mitglieder dieser Organisation.<br />

Georg Kaiser sollte mit 74 Dramen und<br />

40 Uraufführungen zum meistgespielten Dramatiker<br />

der Weimarer Republik werden. Im<br />

Jahr 1919 vollendete er sein zweiteiliges Meisterwerk<br />

Gas. Wesentliche Züge dieses Stücks<br />

um ein Energieunternehmen sind in Fritz Langs<br />

Film Metropolis (1926) eingegangen, jedoch<br />

banalisiert und konservativ verändert. 14<br />

Publikation<br />

Als Folge der Revolution gründeten Expressionisten<br />

in zahlreichen deutschen Städten neue Zeitschriften.<br />

Im Unterschied zur Kriegszeit mussten<br />

diese nicht mehr mit Repressalien rechnen. Die<br />

wilhelminische Ächtung der modernen Kunst war<br />

vorbei. Viele Expressionisten sahen die Zeit gekommen,<br />

nun an die Öffentlichkeit zu treten. In<br />

Zeitschriften und Zeitungen zu publizieren war<br />

eine nahe liegende Möglichkeit, sich an ein größeres<br />

Publikum zu wenden.<br />

In Berlin konnten die renommierten Zeitschriften<br />

Der Sturm und Die Aktion nun<br />

ohne drohende Zensur erscheinen. Wie<br />

schon in den Jahren vor und während des<br />

Krieges spielten darin expressionistische<br />

Künstler und Literaten eine zen trale Rol­<br />

le. Während sich Herwarth Waldens Der<br />

Sturm als unpolitisch verstand, trat Franz<br />

Pfemfert in seiner Zeitschrift Die Aktion<br />

offen für die Revolution ein. Werke von<br />

Künstlern, die sich während des Weltkriegs<br />

als kriegsbegeistert gezeigt hatten,<br />

wurden in seiner Zeitschrift grundsätzlich<br />

nicht publiziert.<br />

Während in Berlin diese beiden Publikationen<br />

die expressionistische Zeitschriftenlandschaft<br />

dominierten, war die Kunstpresse in München<br />

vor allem durch Neugründungen gekennzeichnet,<br />

die jedoch bedingt durch Vertreibung und<br />

Verhaftung zahlreicher Künstler nach dem Einmarsch<br />

der »weißen« Truppen im Mai 1919 oft<br />

nicht lange existierten. Die Zeitschrift, die dem<br />

ARK am nächsten stand, war Der Weg. 15 Die<br />

maßgeblichen Redakteure waren der Dichter<br />

und Arzt Eduard Trautner und der Maler und<br />

Grafiker Fritz Schaefler. Die grafischen Beiträge,<br />

zumeist Holzschnitte, prägten den Gesamteindruck.<br />

Fast alle Spielarten des <strong>Expressionismus</strong><br />

wurden darin publiziert. Der agitative,<br />

dynamische Stil von Fritz Schaefler und Aloys<br />

Wach gehörten genauso dazu, wie der ornamentalere,<br />

ruhigere von Georg Schrimpf und<br />

Maria Uhden und der mystisch­expressive von<br />

Josef Eberz. Aber auch die schon etablierteren<br />

Künstler wie Heinrich Campendonk, Paul Klee<br />

und Edwin Scharff veröffentlichten im Weg.<br />

Abstrakte Arbeiten wurden von Kinzinger und<br />

Kubicki geliefert. Auch von Schmidt­Rottluff,<br />

einem Brücke­Künstler der ersten Stunde, ist<br />

eine Arbeit im Weg zu finden.<br />

In anderen Zeitschriften, die der Revolution<br />

nahe standen, dominierte der Text<br />

über die visuellen Beiträge. Die Neue<br />

Bücherschau wurde unter der Leitung<br />

von Hans Theodor Joel, dem Mitherausgeber<br />

des Wegs, publiziert. Diese Zeitschrift<br />

betonte in ihrer Unterstützung der<br />

Avantgarde die Kontinuität einer Kulturtradition,<br />

die sich auch auf die Gotik und<br />

Albrecht Dürer stützte. Den <strong>Expressionismus</strong><br />

bezeichnete Joel als Ausdrucksmittel<br />

der »kommenden Volkskunst«. 16 In<br />

der Neuen Bücherschau kann man Werke<br />

radikaler Künstler (Schaefler, Ruttmann,<br />

Walter Gramatté) ebenso finden wie von<br />

konservativeren wie Max Unold, Alfred<br />

Kubin oder Max Beckmann. 17 Das Bekenntnis<br />

zur Revolution wird in dieser<br />

Zeitschrift vor allem durch einen Nachruf<br />

auf den ermordeten Landauer deutlich.<br />

18 Die Bücherkiste hieß eine neue<br />

Zeitschrift von Heinrich F. S. Bachmair,<br />

der bereits vor dem Krieg die viel beachtete<br />

Zeitschrift Revolution vorgelegt<br />

hatte. 19 In ihr veröffentlichte unter anderen<br />

Fritz Schaefler. Andere Zeitschriften<br />

trugen Namen wie Neue Erde (Alfred<br />

Wolfenstein, Martin Buber, Alfred Kubin<br />

oder Max Unold), Münchner Blätter für<br />

Dichtung und Graphik (Georg Kaiser,<br />

Heinrich Mann, Kasimir Edschmid, Heinrich<br />

Campendonk oder Edwin Scharff)<br />

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