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Gesamtkunstwerk Expressionismus - Mathildenhöhe

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Wenzel Hablik, »Sehr erfreut über Ihre Filmidee ...«, 22. Juli 1920,<br />

Brief von Wenzel Hablik an Bruno Taut, 22. Juli 1920, Inv.­Nr. 1301,<br />

Wenzel­Hablik­Stiftung, Itzehoe<br />

24<br />

Itzehoe, am 22. Juli 1920<br />

Lieber Herr Taut!<br />

Sehr erfreut über Ihre Filmidee, zumal ich<br />

schon vor etwa 8 Jahren an einer ähnlichen<br />

Sache arbei tete, leider aber auf Grund<br />

vollkommenen Unverständnisses der massgebenden<br />

Stellen die Geschichte wieder fallen<br />

lassen musste. Die Zeit jetzt ist wohl günstiger<br />

dafür, und von Berlin aus lässt sich das auch<br />

wohl leichter in Scene setzen als hier in dem<br />

gottverfluchten eisigen conservativen Norden,<br />

mit seinen doch so hoffnungsberechtigenden<br />

zähen Dickschädeln.<br />

Es wäre zu schön, wenn diese Sache uns<br />

wirklich zusammenbrächte, denn mir scheint<br />

eine persönliche Aussprache von Subjekt<br />

zu Subjekt immer dringender nötig. Vielleicht<br />

kann der Ort des Treffpunktes zentral<br />

zwischen uns alle gelegt werden, obwohl ich<br />

persönlich für längere Zeit keine Entfernung<br />

scheue. Geben Sie gleich an, was ich dafür<br />

zu tun hätte, resp. welche Freiheiten des Arbeitens<br />

bleiben. Ich würde ja gern eine Art<br />

Stadt für den Film bauen wie es mich innerlich<br />

dazu treibt, mit den Anlagen der Menschen<br />

von übermorgen. D. h. der Menschen, mit welchen<br />

noch für etwa 100 Jahre zu rechnen<br />

ist. Daneben würde ich gerne einige Zukunftsprojekte<br />

bauen für Einzelindividuen, und<br />

zwar am Meere, im Meere (unter Wasser) im<br />

Gebirge, in den Hochalpen, im Flachland,<br />

im Flugsand, im Fels, (Berginneres) in freier<br />

Luft (fliegende Häuser).<br />

Dann möchte ich gerne für Nebenpro pa gandazwecke<br />

z. B. die Erbauung eines Glashau ses<br />

in einzelnen Perioden darzustellen versuchen.<br />

Teilen Sie mir bitte gleich mit, wann unge-<br />

fähr die ganze Sache fertig sein soll, damit<br />

ich meine übrigen Arbeiten auf das für das<br />

Leben Nötigste beschränke, resp. so einrichte,<br />

dass ich davon nicht zu sehr gestört werde.<br />

Ich würde dann jetzt schon anfangen Modelle<br />

zu bauen, wenn Sie mit meinem Teil einverstanden<br />

sind. Ich bleibe die nächsten Monate<br />

zuhause und werde ganz und gar diesen Ideen<br />

nachgehen – – denn das Bauen ist für mich<br />

nichts anderes als die Schaffung des »<strong>Gesamtkunstwerk</strong>es«<br />

wie es seit 25 Jahren mein<br />

Leitgedanke war. Ein anderes »Kunstwerk«<br />

gibt es für mich nicht. »Künstler« welche<br />

nicht kosmisch universell empfindend schaffen<br />

– – haben mit Schaffen nichts gemein und<br />

werden am Bauen sterben, oder sich einfügen<br />

als Handlanger.<br />

Erbauen eines Glashauses am Meeresstrand:<br />

Man sieht durch die Brandung ein Schiff<br />

tief in den Sand des Strandes einschneiden und<br />

gleichsam sich einwühlend, landen. Männer<br />

verlassen es und transportieren metallene<br />

7zackige Sterne, welche an bestimmten Punkten<br />

verteilt in den Sand gelegt und mit elektrischen<br />

Leitungsdrähten zentral verbunden<br />

werden, mit einem besonders geformten Stern.<br />

Dünne Rohre, welche mit elektrischen<br />

Pumpen im Schiff verbunden sind, werden<br />

neben die einzelnen Sterne geführt (diese<br />

können auch evtl. von einem oder 7 Flugzeugen<br />

ab geworfen werden). – – Die Pumpen des<br />

Schiffes bringen bestimmte, lösend und bindend<br />

wirkende Flüssigkeiten, welche rings<br />

um die Sterne in den Sand versickern. Ein kleines<br />

Flugzeug überkreist dabei signali sierend<br />

die Baustelle. Man sieht einen Mast glitzernd<br />

und Funken sprühend aus dem Schiffsrumpf<br />

sich erheben und gleichzeitig ein Funkensprühen<br />

von den Sternen im Sand ausgehen. Es<br />

bilden sich um jeden Stern feurigflüssige Krater<br />

(der grösste um den grössten, der kleinste<br />

um den kleinsten Stern). – –<br />

Fern-Signale des kreisenden<br />

Ingenieurflugzeuges.<br />

Eine riesige Luftschiffwerkstätte nähert<br />

sich und bleibt in gewisser Entfernung schwebend<br />

halten. Hohlkörper werden nach den<br />

feuerflüssigen wogenden Kratern, darin sich<br />

die Sterne drehen, herabgelassen welche an<br />

Metallschläuchen hängen und sofort beginnt<br />

die glühende Masse sich zu formen. Große<br />

Blasen, in allen Farben schillernd erheben sich,<br />

runden sich wie Kuppeln, werden vonein ander<br />

absorbiert bilden noch grössere – – (wie Seifenblasen)<br />

Signale. Wieder werden Körper von dem<br />

Luftschiff herabgeschossen welche an den<br />

Blasen kleben bleiben.<br />

Rohre blasen Sandströme zu. Ventile; Aufrollen,<br />

und die Blasen ziehen spitzen und formen<br />

sich zu absonderlichen Gebilden. Erstarrung.<br />

Fortsetzung bei Sternkrater 2, 3, u. s. w. Gaszuführung<br />

vom Luftschiff aus.<br />

Schon erheben sich stattliche Gebilde, riesige<br />

schillernde Glaskuppeln, die in Spitzen<br />

und Zacken ausgezogen werden – Kugeln<br />

und Zungen – Kegel und blumige Rohre –<br />

Glitzern, Gleissen – Funkensprühen.<br />

Das Grundinnere der Krater erstarrt zusammenhängend<br />

zu einem geschmolzenen Fundament<br />

und von der Mitte ausstrahlend erhebt<br />

sich Raumgebilde am Raumgebilde<br />

– –<br />

Das grosse Luftschiff begibt sich fort – –<br />

7 Flug zeuge verlassen es, und kreisen um die<br />

Bau stelle. Das Schiff entlässt Arbeiter und<br />

die Details werden gemacht.<br />

Einzelne Kuppeln verlassen ihre Fundamente,<br />

erheben sich und werden wieder festgeschmolzen<br />

u. s. w. Schluss, Blick in das Innere<br />

einer Kugelkuppel. Glasmöbel u.s.w. Ähn -<br />

licher Vorgang zu schildern bei dem Bauen<br />

unter Wasser (im Meere, in Seen).<br />

Luftschiff-Grüße!<br />

von Ihrem<br />

Wenzel Hablik<br />

00_Vorlauf_V2.indd 24 09.10.2010 14:25:05 Uhr

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