Gesamtkunstwerk Expressionismus - Mathildenhöhe
Gesamtkunstwerk Expressionismus - Mathildenhöhe
Gesamtkunstwerk Expressionismus - Mathildenhöhe
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Der Unterschied zwischen Kunsthandwerk<br />
und Design, den die Designgeschichte zu<br />
ihrem Gründungsmythos zählt und der einhergeht<br />
mit der Vorstellung, dass sich das<br />
an der Industrie orientierte Design in Opposition<br />
zum handwerklichen Unikat entwickelt<br />
hat, ist an einem der bekanntesten<br />
Pro tagonisten der Moderne nachzuvollziehen:<br />
dem Staatlichen Bauhaus Weimar.<br />
Wenn heute von der BauhausModerne die<br />
Rede ist, denkt man zuerst an ein sachlichfunktionales<br />
Design, das die Gestalterschule<br />
als eine der ersten geprägt haben soll. 1<br />
Zahllose Neuauflagen der Möbelklassiker<br />
aus dem Bauhaus zeugen von dem Image<br />
einer zeitlosen Modernität, wie auch die<br />
Architektur der Schule mit dem Bild von<br />
der »weißen Moderne«, dem schmucklosen<br />
Funktionalismus, verbunden ist. 2 Lange Zeit<br />
wurden in der Rückerinnerung die expressionistischen<br />
Anfänge vom BauhausBild<br />
ab gekoppelt und ausgeblendet. Erst in den<br />
letzten Jahren wird verstärkt darauf hingewiesen,<br />
dass die langlebige Wirk mäch tigkeit<br />
der modernen Schule gerade auf der<br />
Anfangseuphorie beruht, die ganz mit dem<br />
<strong>Expressionismus</strong> und dem Handwerk verbunden<br />
ist. 3<br />
Begriffsverwirrungen<br />
Der Begriff »<strong>Expressionismus</strong>« ist als Stilbezeichnung<br />
der bildenden Kunst entliehen und<br />
wird schon seit Langem auf die Architektur<br />
übertragen – nicht immer überzeugt und anfangs<br />
als kulturgeschichtliche Randerscheinung<br />
oder »störendes Zwischenspiel«<br />
404<br />
4 betrachtet.<br />
Der Durchbruch, den die Wertung der expressionistischen<br />
Architektur durch Ulrich Conrads<br />
und Hans G. Sperlichs Phantastische Architektur<br />
1960 und Wolfgang Pehnts Standardwerk<br />
Die Architektur des <strong>Expressionismus</strong> 1973 erlangte,<br />
ist ihr im Design nie gelungen. Hier ist<br />
der Begriff vergleichsweise unspezifisch geblieben.<br />
Es ist kein Zufall, dass er sich vor allem<br />
mit Reproduktionsgrafiken verbindet, kommen<br />
sie doch der bildenden Kunst am nächsten: beispielsweise<br />
der Holzschnitt von Max Pechstein<br />
auf einem Pamphlet des Arbeitsrats für Kunst<br />
(Abb. S. 146), der von Bruno Taut gestaltete<br />
Buchdeckel zu Ja! – Stimmen des Arbeitsrates<br />
für Kunst in Berlin und das Titelblatt des BauhausManifests<br />
von Lyonel Feininger (Abb. 1),<br />
alle drei von 1919. Typografie, Möbeldesign,<br />
Textil, Metallgeräte, Keramik, all die anderen<br />
Produkte aus den Werkstätten des Bauhauses,<br />
werden ungleich seltener mit dem <strong>Expressionismus</strong><br />
in Verbindung gebracht.<br />
Viele BauhausSpezialisten reduzieren die<br />
expressionistische Phase auf das kurzzeitige<br />
Vorspiel der Gründungsjahre, das in die Weimarer<br />
Anfangszeit hineinreicht. 5 Aus dem<br />
Zu sammenhang großer Ereignisse mit dem<br />
Cha rakter eines <strong>Gesamtkunstwerk</strong>s herausgenommen,<br />
fehlen dem Design (im heutigen<br />
Wort gebrauch) allerdings häufig die typischen<br />
stilistischen Erkennungsmerkmale, die<br />
bei der Grafik, Skulptur und der Architektur<br />
selbstverständlich sind.<br />
Den sich sukzessive vollziehenden Stilwechsel<br />
in der Formentwicklung seiner<br />
Möbel veranschaulicht Marcel Breuer<br />
beispielsweise an der Aneinanderreihung<br />
mehrerer Stills eines geplanten Films,<br />
die jeweils einen seiner Stühle abbilden:<br />
Am Anfang steht sein Afrikanischer Stuhl<br />
(Abb. 2) aus der Frühzeit des Bauhauses,<br />
ein Gemeinschaftswerk mit Gunta Stölzl.<br />
Thronähnlich wie für einen Stammesfürsten<br />
geschaffen, das konstruktive Gerüst<br />
aus Kirschholz und Eiche, grob geschnitten<br />
und bemalt, bespannt mit Textil fasern<br />
aus Seide, Hanf, Wolle und Baumwolle<br />
in Form eines farbigen abstrakten Gemäldes,<br />
hat das Möbel eine exotischüber<br />
höhende Formensprache. Der Sinn<br />
für Außereuropäisches, für sogenannte<br />
»primitive« Gesellschaften, kommt den<br />
Bildern der BrückeMaler nahe. Das Individuum,<br />
und daher das Unikat und die<br />
Handschrift des Künstlers, der sichtbare<br />
handwerkliche Herstellungsprozess stehen<br />
im Vordergrund – nicht die abstrakt<br />
sachliche Formensprache wie sie das<br />
moderne industrielle Serienprodukt kennzeichnen<br />
sollte, für das in den letzten<br />
Stills der hinterbeinlose Stahlrohrstuhl<br />
oder der Clubsessel B3, der heute sogenannte<br />
Wassily Chair, stehen, ein<br />
aus zwei Stahlrohrstangen zusammengestecktes<br />
transparentes Gebilde, mit<br />
robus tem »Eisengarn« bespannt. Sie<br />
verkörperten das Möbel der neuen Zeit.<br />
In diesem Fall stehen sich stilistische Elemente<br />
gegenüber – ein Gegensatz zwischen dem<br />
künstlerischhandwerklichen Einzelstück auf<br />
der einen Seite und dem industriellen Serienprodukt<br />
auf der anderen Seite. Die Definition<br />
dessen, was die Merkmale des <strong>Expressionismus</strong><br />
in den angewandten Künsten sind, war<br />
aber bei den Zeitgenossen widersprüchlich.<br />
Sie reicht vom Schrei und der Eruption bis zur<br />
inneren Intensität, dem Schaffen »von innen heraus«,<br />
6 vom Gemeinschaftsprodukt der Handwerker<br />
bis zum individuellen Einzelstück des<br />
Kunsthandwerks, vom regellosen Ausdrucksbedürfnis<br />
jenseits der Erfahrung und jenseits<br />
des Akademismus bis zu gemeinsamen stilistischen<br />
Elementen wie der Deformation der<br />
Gegenstandswelt und der Nähe zur bildenden<br />
Kunst. Das auf Gebrauch hin angelegte Design<br />
und der <strong>Expressionismus</strong> erscheinen deshalb<br />
auf den ersten Blick als Gegensatz.<br />
Gleichwohl vertraten auch die »Konstruktivisten«,<br />
die sich in Opposition zum Bauhaus um<br />
den DeStijlVertreter Theo van Doesburg in der<br />
Nähe der Schule und mit einigen begeisterten<br />
BauhausSchülern zusammenfanden, die Idee<br />
des <strong>Gesamtkunstwerk</strong>s, auch wenn sie das<br />
schmucklose, ganz aus dem Geist der Maschinenproduktion<br />
heraus entwickelte Serienprodukt<br />
anstrebten. »Wir schaffen das <strong>Gesamtkunstwerk</strong>.<br />
Die Zusammenarbeit von Architektur und Plastik<br />
und Malerei (gemeinsam) mit Industrie und<br />
Technik, Leben«, schreibt der BauhausSchüler<br />
Werner Graeff, der zu den Opponenten und zur<br />
Weimarer Gruppe der Aufrührer gehört, in seinem<br />
Pamphlet »Für das Neue«. 7<br />
Gemeinschaft der Handwerker<br />
In diesem Fall erschließt sich der <strong>Expressionismus</strong><br />
als Gegenbild eines modernen Weltbildes:<br />
Ein ästhetischer Überschuss und das indivi<br />
duelle Handwerk stören die neue Auffassung<br />
von sachlicher, an der neuesten Technik orientierten<br />
Massenproduktion, die eine bessere<br />
Voraussetzung für die Einlösung einer modernen<br />
und gerechteren Welt sein soll. Das <strong>Gesamtkunstwerk</strong><br />
bleibt aber in Wirklichkeit eine<br />
übergreifende Idee. Denn <strong>Expressionismus</strong><br />
und Handwerk waren in den Anfängen des<br />
Bauhauses essenziell auf eine Gemeinschaft<br />
hin angelegt.<br />
Mit der Gründung des Bauhauses wollte sein<br />
Direktor Walter Gropius den Studierenden<br />
eine solide handwerkliche Ausbildung angedeihen<br />
lassen. Sie setzte sich, trotz fehlender<br />
Kurse am Bauhaus selbst, als eine Mischung<br />
aus baumeisterlicher Grundausbildung an<br />
der benachbarten Baugewerkenschule, dem<br />
Privatbüro von Gropius und der Vermittlung<br />
der Gedanken der Berliner Avantgarde des<br />
Arbeitsrats für Kunst und der Gläsernen Kette<br />
zusammen. Der pathetischbeschwörende<br />
Duktus des Gründungsmanifestes der Schule<br />
von 1919, das das erste Programm der Lehrfächer<br />
begleitete, entspricht ganz dem Geist<br />
des <strong>Expressionismus</strong> der Vor und unmittelbaren<br />
Nachkriegszeit. Gropius, vorbildlich<br />
informiert über die Reformpädagogik seit der<br />
Jahrhundertwende, hatte bereits 1915 / 16, als<br />
er als Nachfolger Henry van de Veldes für die<br />
Leitung der Weimarer Kunstgewerbeschule<br />
diskutiert wurde, die Idee von der Werkgemeinschaft<br />
von »Architekten, Bildhauer[n]<br />
und Handwerker[n] aller Grade« 8 vorformuliert,<br />
wie sie in das spätere BauhausManifest<br />
einfloß, und auch schon hier die romantische<br />
Idee der mittelalterlichen Bauhütte als Vorbild<br />
zugrunde gelegt. Als Gründungsmitglied und<br />
Teil des Leitungsgremiums des Arbeitsrats<br />
wollte Gropius Kunst und Architektur im Sinne<br />
der räterepublikanischen Initiativen dieser<br />
Zeit im Volk fundieren. »An der Spitze steht<br />
der Leitsatz: Kunst und Volk müssen eine Einheit<br />
bilden. Die Kunst soll nicht mehr Genuss<br />
Weniger, sondern Glück und Leben der Masse<br />
sein. Zusammenschluss der Künste unter<br />
den Flügeln einer großen Baukunst ist das<br />
Ziel«, heißt es in einem Flugblatt des Arbeitsrats<br />
vom 1. März 1919 (Abb. S. 166 / 167). 9<br />
Gegen die Partikularinteressen Einzelner stand<br />
nun die Gemeinschaft des Volkes. Moralische<br />
Kategorien durchdrangen die programmatischen<br />
Äußerungen der künstlerischen Gemeinschaften,<br />
von Brüderlichkeit, Nächstenliebe und Wahrheit<br />
war die Rede. Wie sich die Menschen verbünden<br />
sollten, so auch die Künste unter der Fahne der<br />
Mutter aller Künste: der Architektur. Es wurden<br />
die Bauwerke der Vergangenheit beschworen, die<br />
gotischen Kathedralen vor allem, aber auch die<br />
indischen Tempel oder die Tempelanlage Angkor<br />
Vat im heutigen Kambodscha – Hans Luckhardt<br />
gab sich in der Gläsernen Kette den Geheimnamen<br />
Angkor –, die ägyptischen Pyramiden oder<br />
die fernöstlichen Pagoden, in denen die Volksgemeinschaft<br />
ihren künstlerischen Ausdruck fand<br />
(Abb. S. 364 / 365). Es war jene »Geisteseinheit«,<br />
die Gropius in ihnen eingelöst sah. 10<br />
Die Aufbruchphase kurz nach Kriegsende beflügelte<br />
Künstler, Architekten und Designer zu<br />
einer Euphorie für neue Entwürfe, wenn auch<br />
zunächst nur auf dem Papier. Hohe Kriegsverschuldung,<br />
wirtschaftliche Not, politische Krisen,<br />
die mit Aufständen einhergingen, führten<br />
15_Breuer_V2.indd 404 08.10.2010 14:55:34 Uhr