Gesamtkunstwerk Expressionismus - Mathildenhöhe
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In kulturhistorischen Darstellungen zum expressionistischen<br />
Aufbruch in Deutschland standen<br />
lange Zeit Metropolen wie Dresden oder Berlin<br />
im Fokus. Der Name Hamburgs erschien in<br />
diesem Zusammenhang bis vor Kurzem nur als<br />
Marginalie. 1 Dabei hatte sich in der Hansestadt –<br />
wenn auch verspätet – eine sehr vitale kulturelle<br />
Szene entwickelt: Hier rief Erich Ziegel<br />
1918 die Hamburger Kammerspiele als Spielstätte<br />
moder nen, expressionistischen Theaters<br />
ins Leben und schrieb Hans Henny Jahnn seine<br />
skandalumwitterten Stücke, hier schlossen sich<br />
junge bildende Künstler zur Hamburgischen<br />
Sezes sion zusammen, hier kreierten die Tänzer<br />
Lavinia Schulz und Walter Holdt ihre expressivskurrilen<br />
Ganzkör permasken. Die legendären,<br />
drei Tage dau ern den Künstlerfeste im Curiohaus<br />
liefen ähnlichen Veranstaltungen in anderen<br />
Städten den Rang ab und lockten Kulturschaffende<br />
aus ganz Deutschland an die Alster.<br />
Von einem einzigartigen <strong>Gesamtkunstwerk</strong> ist<br />
die Rede, von einem Brennspiegel, in dem die<br />
Aktionen der jungen Kunstavantgarde gebündelt<br />
wurden. Dies gilt vor allem für die frühen Feste,<br />
für die Künstlerfeste des <strong>Expressionismus</strong>.<br />
Ambitionierte Anfänge<br />
Künstlerfeste sind keine Erfindung des 20. Jahrhunderts,<br />
und auch eine topografische Eingrenzung<br />
lässt sich nicht vornehmen. Schon Albrecht<br />
Dürer wusste zu berichten, dass er in Antwerpen<br />
in den Zunftstuben seiner Malerkollegen ausgiebig<br />
bis spät in die Nacht gefeiert hatte. 2 Im Rom<br />
des 17. Jahrhunderts huldigten die Bamboccianti<br />
in ausschweifenden Festgelagen Bacchus, 3 und<br />
auch in München wurden ab 1819 Künstlerfeste<br />
veranstaltet, die weit über Bayern hinaus Beachtung<br />
fanden. 4<br />
In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg etablierten<br />
sich in vielen Metropolen Deutschlands<br />
multidisziplinär ausgerichtete Künstlerfeste,<br />
etwa in Berlin und Düsseldorf, 5 Köln 6<br />
und Kiel, 7 am Bauhaus in Weimar 8 und – von<br />
Kurt Schwitters initiiert – in Hannover. 9 Doch<br />
erlangten die Hamburger Feste »hinsichtlich<br />
Vielfalt, Kontinuität und Gestaltungsaufwand«<br />
10 einen besonderen Status. Erstmals<br />
in der Geschichte der Künstlerfeste hatten<br />
sich Kreative aller Sparten zusammengefunden,<br />
um mit großem Aufwand eine Art <strong>Gesamtkunstwerk</strong><br />
zu schaffen, in dem sämtliche<br />
Künste gleichermaßen repräsentiert waren:<br />
»Architektur, Gartenkunst und Kunstgewerbe,<br />
Malerei, Plastik, Schauspielkunst, Musik und<br />
Gesang, Tanz und schließlich Literatur«. 11 Dies<br />
waren die Disziplinen, aus denen sich die<br />
jungen Künstler rekrutierten, die alljährlich in<br />
einem gemeinsamen Kraftakt beeindruckende<br />
Werke auf Zeit schufen.<br />
»Wir hatten eben damals mit der hochtürmenden<br />
Woge des <strong>Expressionismus</strong> eine<br />
gemeinschaftliche Begeisterung, einen<br />
Zu sammenklang der Gefühle, dem keine<br />
Materialschwierigkeiten Widerstand leisten<br />
konnten.« 12 So beschrieb der Architekt<br />
und Bildhauer Emil Maetzel das große<br />
Gemeinschaftsgefühl der Künstlerfest<br />
Pio niere, die die hanseatische Kunstszene<br />
in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rü<br />
428<br />
cken wollten, unter enormem Aufwand an<br />
Material und Zeit.<br />
Die Anfänge waren allerdings bescheiden<br />
und lassen sich vielfach aufgrund<br />
fehlender Überlieferung kaum mehr<br />
nachvollziehen. Fest steht jedoch, wann<br />
das erste Fest gefeiert wurde, auf das<br />
sich alle folgenden Künstlerfeste als Vorbild<br />
berufen sollten. Es war der Tag nach<br />
Aschermittwoch, der 26. Februar 1914:<br />
Auf Anregung ihres Lehrers Friedrich<br />
Adler veranstalteten die Schülerinnen<br />
und Schüler der Hamburger Kunstgewerbeschule<br />
am Ler chenfeld ein Künstlerfest,<br />
das als die Keimzelle der großen<br />
Feste der 1920erJahre gilt (Abb. 1):<br />
»Die Veranstalter brachten als Hauptgabe zum Fest<br />
ihre Jugend und gute Laune mit, sie spritzten ihre<br />
talentvollen Farbflecken an die Wände des Saals,<br />
[...] sie tanzten selbst in Zeit und zeitlosen Kostümen,<br />
wild und unermüdlich und ganz dem Rhythmus<br />
hingegeben, der damals Tango hieß, Puppen<br />
und Pierrots, groteske Masken und Ungeheuer. [...]<br />
Es ging durchaus nicht großartig zu, Geld hatte<br />
keiner übrig, die wenigsten wagten sich bis zu<br />
einem sauern Mosel, und Protzen, die die jungen<br />
Künstler mit Sekt tränkten, gab es nicht. In einer<br />
Ecke saßen ein paar hilflose Mütter zum Knäuel<br />
geballt; aber nicht allzulange. Der Bacchantismus<br />
vertrieb sie. Er kam aus der Trunkenheit ohne<br />
Wein, und das Ganze, ohne grobe Entladungen,<br />
ließ die feinen Spannungen einer erotisch geladenen<br />
Atmosphäre in allen Nerven spüren.« 13<br />
Der lautmalerische Titel Futurubumbum<br />
verwies in eine hoffnungsfrohe Zukunft –<br />
wenige Monate vor Ausbruch des Ersten<br />
Weltkriegs, aus dem viele der Organisatoren<br />
nicht mehr zurückkehrten.<br />
Während zunächst noch die Räume der Kunstgewerbeschule<br />
genutzt wurden, wechselte man<br />
nach dem Krieg in die Säle des Curiohauses an<br />
der Rothenbaumchaussee, eines der damals<br />
renommiertesten Veranstaltungsorte der Hansestadt.<br />
Dort wurde das zweite Künstlerfest am<br />
27. März 1919 unter dem Motto Dämmerung der<br />
Zeitlosen gefeiert (Abb. 2). Man wollte für einige<br />
wenige Stunden der Tristesse der Nachkriegszeit<br />
entfliehen, eintauchen in eine bunte Glitzer<br />
und Farbenwelt, die den späteren Glamour der<br />
großen Künstlerfeste schon in sich trug.<br />
Warum Hamburg?<br />
Diese ersten Künstlerfeste wurden von einer<br />
jungen Kunstavantgarde ausgerichtet und standen<br />
schon im Zeichen des <strong>Expressionismus</strong>.<br />
Sie waren Experimentierfeld all derer, die in<br />
neuen Kunst und Lebensformen nach Sinn und<br />
Ausdruck suchten. Dabei ging es auch um die<br />
Emanzipation von Kunst und Kultur gegenüber<br />
einer Stadt, die in dieser Hinsicht vielen als eher<br />
unterentwickelt galt. Eine Künstlergemeinschaft,<br />
die durch selbst genommenen Freiraum die Möglichkeit<br />
zu experimentieren besaß und dies auch<br />
demonstrativ praktizierte, hatte es zur Zeit des<br />
wilhelminischen Deutschlands an der Niederelbe<br />
nicht gegeben. Während in Berlin und andernorts<br />
<strong>Expressionismus</strong> und Dada überkommene Kunstauffassungen<br />
und Konventionen zerschlugen,<br />
kam es in der Hansestadt erst spät zum Durchbruch<br />
der Moderne. Vielleicht liegt gerade in<br />
diesem unspektakulären Kontext der Kaufmannsstadt<br />
der Grund dafür, dass sich die Hamburger<br />
Künstlerfeste zu einer solchen Sensation entwi<br />
ckeln konnten und zum Vorbild für vergleichbare<br />
Aktivitäten in anderen Städten wurden.<br />
Hinzu kam die relative Übersichtlichkeit<br />
der hanseatischen Kunstszene, in der jeder<br />
jeden kannte. Außerdem gab es engagierte<br />
Förderer, Kunstenthusiasten wie<br />
den Feuilletonchef der Neuen Hambur ger<br />
Zeitung, Hans Waldemar Fischer, der eine<br />
starke Anziehungskraft auf die Kunstavantgarde<br />
ausübte. 14 Dem Journalisten gelang<br />
es, die jungen Künstler in seiner Tafelrunde<br />
zu versammeln, einer zwanglosen<br />
Gemeinschaft, die sich regelmäßig in einem<br />
Alsterlokal am Jungfernstieg, Ecke<br />
Neuer Wall, traf. Hier fanden literarische<br />
Lesungen und kleine Konzerte, Tanzdarbietungen<br />
und Diskussionen statt. Künstlerische<br />
Experimente und Projekte wurden<br />
vorgestellt. Viele Darbietungen der<br />
Hamburger Künstlerfeste hatten zuvor<br />
ihre Feuer probe vor dem kleinen Kreis<br />
der Tafelrunde. So fungierte Hans W.<br />
Fischers Jour fix auch als Ideenschmiede<br />
für die Künstlerfeste, als ein Impulsgeber<br />
für deren Veranstalter und Orga nisatoren,<br />
die – selbstverständlich – alle Mitglieder<br />
der Tafelrunde waren.<br />
Ein Fest für alle Künste<br />
In Anspielung auf die Sieben Freien Künste<br />
gelang es 1920 mit der Gelben Posaune der 7,<br />
die Künstlerfeste weiter zu etablieren und ihnen<br />
eine beachtliche Popularität zu sichern,<br />
die nötig war, um in einer erweiterten (und<br />
somit kostspieligeren!) Form fortbestehen zu<br />
können (Abb. 3): »Es ist geglückt! – Geglückt<br />
in einer vollständigen Einheitlichkeit, weil sich<br />
alle Künstler, ob Architekt, Maler, Bildhauer<br />
oder Puppenspieler im stärksten Ausdruck –<br />
im <strong>Expressionismus</strong> – fanden«, 15 freute sich<br />
der Rezensent der Architekturzeitschrift Bau-<br />
Rundschau, in der es weiter heißt:<br />
»Die grauen Räume waren entmaterialisiert, Formen<br />
und Farben waren Explosionen, waren von so<br />
elementarer Gewalt, daß sie unmittelbar Freude<br />
auslösten.<br />
Der Erdgeschoßraum der ›Enthaupteten‹ von Prof.<br />
[Anton] Kling ließ in glänzenden Ausdrucksmitteln<br />
erkennen, daß man für Stunden nur noch ›Geist‹<br />
zu sein hatte. Hier war mehr Kunst als in manchen<br />
Hamb[urger] Kunstsalons. Der kleine anstoßende<br />
Saal war mit sehr feinen Beleuchtungskörpern,<br />
Masken und wenigem Dekor […] umgestaltet. Die<br />
Marionettenbühne von Hans Leip war in sehr gutem<br />
Maßstab. Die kubistischen Formen und Flächenteilungen<br />
der Klasse [Willi] Titze wären besser<br />
im Treppenhause angebracht gewesen, denn<br />
sie waren raumzerstörend.<br />
Desto stärker empfand man die Raumgeschlossenheit<br />
im großen Saal, den Baurat [Emil] Maetzel zu<br />
einem großen Zelt zusammengefasst hatte, und<br />
durch welches das vielfarbige Licht sternenhaft<br />
auf alle Kostümierten herabschwebte. Durch die<br />
gelbschwarze, flächige Ornamentierung der Balkonbrüstung<br />
von [Otto] FischerTrachau waren<br />
diese gleich einem Strich am Himmelgewölbe vollständig<br />
entmaterialisiert und fanden Halt in den<br />
schwarzen, großornamentierten Kabarettnischen<br />
des Architekten Kurt F. Schmidt. Andere reizvolle<br />
Arbeiten von Prof. [Otto] Czeschka und Prof.<br />
[Arthur] Illies und [Friedrich] Adler mit ihren<br />
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