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etcetera 66

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VENEDIG|Dezember2016<br />

11<br />

der Reportagen aus dem Prozess um den Holocaust-<br />

Leugner David Irving. Sehen Sie da weiterhin ein interessantes<br />

Betätigungsfeld für Ihre Recherchen oder<br />

Romane?<br />

Rein familiengeschichtlich wird mich dieses Thema nie loslassen.<br />

Es scheint in meinen Texten immer auf die eine oder<br />

andere Weise durch.<br />

Ihre momentanen Recherchen führen Sie in die Partnerbörse<br />

und zu Annoncen für weibliche Singles. Wie<br />

kamen Sie zu Ihren köstlichen Schilderungen aus dem<br />

Schlachtfeld der Liebe?<br />

Vieles, was mir im Leben begegnet, fließt in meine Arbeit<br />

ein. Ich bin multipel neugierig, interessiere mich für Medizinisches<br />

ebenso wie für Psychologisches, für neue Erfindungen<br />

und Entdeckungen, insgesamt sehr für Zeitungen,<br />

die einen großen Wissenschaftsteil haben. Wirtschaft interessiert<br />

mich weniger, aber auch da ist schon das eine<br />

oder andere in meinen Büchern aufgetaucht. Und in letzter<br />

Zeit, mit dem Älterwerden, wo die Liebe und ihre Haltbarkeit<br />

abzunehmen scheinen, mache ich im Freundeskreis eben<br />

auch solche Beobachtungen. Und baue sie bei Bedarf ein.<br />

Ist die Welt ungerecht? So viel passiert im Namen des<br />

Genderns Haben es die Männer leichter?<br />

Ich fürchte tatsächlich, dass noch lange oder vielleicht für<br />

immer die Männer die Macht über Geld und Einkommen,<br />

also über das Mess- und Zählbare haben werden. Davon<br />

abgesehen, bleibt die Summe der menschlichen Schmerzen<br />

und Qualen gleich. Aber auch das gilt im koktten Sin<br />

nur für unserer westlichen Welt. In den ärmeren Ländern<br />

sterben die Frauen weiterhin in fürchterlichem Ausmaß an<br />

Krankheiten, Schwangerschaften, Geburten, weil sie von<br />

Männern umgebracht oder sie bereits als weiblicher Embryo<br />

abgetrieben werden. Die Bilanz bleibt, global gesehen,<br />

niederschmetternd.<br />

Das Themenheft der nächsten Literaturzeitung „<strong>etcetera</strong>“<br />

Nr. 67 heißt DRACHE, vom Weibsteufel bis zum Hl.<br />

Georg. Renommierte, kluge aber eher ältere Frauen der<br />

Gesellschaft sind schwer vermittelbar. Wer ist für Sie<br />

der WEIBSTEUFEL?<br />

Es gibt so viele tolle Frauen jeden Alters, die ich bewundere<br />

– darunter ein paatr meiner besten Freundinnen: aber<br />

Weibsteufel ist kein guter Begriff, sondern ein Schimpfwort<br />

der Männer.<br />

Sie meinten in Ihrer Personale im Blätterwirbel St.P. im<br />

Landestheater, dass Frauen nicht die besseren Menschen<br />

seien. Können Frauen besser lügen, täuschen?<br />

Fest steht, dass Frauen unvergleichlich weniger physisch<br />

gewalttätig sind. Deshalb haben sie sich gezwungenermaßen<br />

in anderen Kampfsportarten verfeinern müssen. Aber<br />

besser als die Männer sind darin gewiss noch nicht geworden.<br />

Sonst wäre die Stellung der Frau in der Welt nicht die<br />

oben beschriebene.<br />

Ist es vielleicht besser keine starke Frau zu sein?<br />

Ich glaube, es ist immer gut, ein starker Mensch zu sein,<br />

ob Mann oder Frau. Was ist denn das, ein starker Mensch?<br />

Ich würde sagen: ein großzügiger, unabhängiger und souveräner<br />

Mensch, der nicht nur über die Fähigkeit verfügt,<br />

voranzugehen, sondern auch: nachzugeben. Und der besonders<br />

im Konfliktfall der Vernunft den Vortritt lässt.<br />

Sie meinten, ein Frauenleben besteht aus verschiedenen<br />

Zellen, in denen man je nach Alter einsitzt. In<br />

welcher sitzen Sie gerade und in welcher wollten Sie<br />

nie sitzen?<br />

Die Zelle, in der man sitzt, kann man immer erst beschreiben,<br />

nachdem man sie verlassen hat. Ich habe gerade verlassen:<br />

Die positivistische, auf Auf- und Nestbau konzentrierte<br />

Familienzelle, in der man davon ausgeht, dass alles<br />

immer gut ausgeht. Niemals sitzen wollte ich in einer, die<br />

Abhängigkeit bedeutet, ökonomische, psychische oder physische.<br />

Das wäre mir ein Graus. Aber wenn man alt wird und<br />

bedürftig, kommt so eine Zelle wahrscheinlich unvermeidlich<br />

daher und lässt ihre Tür zuschnappen.<br />

Danke für das Gespräch!<br />

Eva Menasse<br />

Geb. 1970 in Wien, studierte Germanistik in Wien, begann<br />

als Journalistin bei "Profil". Redakteurin der "Frankfurter<br />

Allgemeinen Zeitung", begleitete den Prozess um den Holocaust-Leugner<br />

David Irving in London und arbeitete nach<br />

einem Aufenthalt in Prag als Kulturkorrespondentin in Wien.<br />

Lebt seit 2003 als Publizistin und freie Schriftstellerin in<br />

Berlin. Veröffentlichte bisher den Roman Vienna, 2005; Lässliche<br />

Todsünden, 2009; Quarzkristalle 2013, Tiere Für Fortgeschrittene,<br />

Erzählband, für den sie seit 1991 skurrile Tiererzählungen gesammelt<br />

hat und Menschen in diese Situationen oder Strukturen<br />

einpasst. Er erscheint bei Kippenheuer & Witsch im März 2017.<br />

Interview

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