Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
VENEDIG|Dezember2016<br />
23<br />
auf Schritt und Tritt begleiten. Er berät sie in Fragen der Konversations-Koketterie,<br />
in Fragen der Perückenhöhe und der<br />
Frisur, er schaut auf ihr Hündchen und umtanzt ihre Sänfte.<br />
„Dreispitz“, „bauta“ und Täschchen unterliegen seiner Beratung,<br />
seiner Mitbestimmung. Der „cicisbeo“ ist der erste morgendliche<br />
Besucher und darf auch der Morgentoilette beiwohnen.<br />
Auch bei Unpässlichkeit ist er zugegen. Warum<br />
sollte es der Gatte sein? Dienst ohne Gegenleistung, ein Symbol<br />
einer heiteren Laune des Geschicks. Denn mitten in den<br />
sonstigen Liebesgefechten werden die Masken vertauscht,<br />
sieht man sich gemeinsam in dem kerzenerhellten Spiegel,<br />
um selbstverliebt den Besitz auf das eigene Spiegelbild anzumelden,<br />
die Lust des Anderen gegenseitig zu belauschen, wie<br />
durch das Gemälde eines Stilllebens, in welchem an Stelle<br />
eines Blumenkelchs ein Loch gebohrt wurde, um dem Liebesakt<br />
lauschend und erspähend beizuwohnen. Alles nach<br />
Selbstauskunft der Serenissima berückend und harmlos.<br />
Aber dann offensichtlich doch nicht. Ein gehörnter Ehemann,<br />
der sich seine Lächerlichkeit vor Augen führt, und in Blut baden<br />
will. Die Geliebte, die nicht nur zum Anschein einer Theaterszene<br />
auf den Balkon steigt, und dann doch nicht springt.<br />
Nein sie denunziert den Geliebten ob der erst erbeuteten und<br />
sodann verschmähten Liebe bei den denontie secrete, erkennt<br />
dann aber die Unwiderruflichkeit ihres Tuns, sie springt<br />
deshalb wirklich und eröffnet im Tod all die bis dahin ignorierten,<br />
aufgeschobenen Fragen, die unversorgten Kinder, die<br />
kranken Eltern, die enorme Schuldenlast, die auf die Familie<br />
überbunden wird. Umso grauenvoller und tiefgreifend irreversibler<br />
aber, wenn ein Kind springt, weil es mit der Spaltung<br />
solcher Werthaltung und solchen Bewusstseins nicht mehr<br />
fertig wird. Wo bleibt da Gott, wenn er gerufen wird, wo er<br />
doch sprichwörtlich und unbewusst ständig angerufen wird.<br />
Venedigs Frivolität vollzieht sich in sonderbaren Ordnungen.<br />
Schon gleiten wieder die Gondeln der Staatsinquisitoren mit<br />
ihren roten Laternen über die Lagune, sie verheißen Folter,<br />
Galeerenfron und Todesstrafe, um das Nichts zu sühnen, die<br />
haltlosen Denunziationen, eingeworfen in den Mund grimmiger<br />
Steingesichter. Die neunzehn unterirdischen Kerker mit<br />
ihren Menschenkäfigen und pfeifenden Wasserratten sind<br />
heillos überfüllt. Hier endet alle Selbstinszenierung und<br />
Selbstverführung. Hier befinden sich die ohne Schuldbegründung<br />
Unglücklichen, die nach Begründung brennen bis ans<br />
Ende ihres Lebens. Aber auch das werte Publikum hat das<br />
Theater längst verlassen. Venedigs Herrschaft ist ebenfalls<br />
ständig geschrumpft. Der Doge, einst Herrscher eines stolzen<br />
Reiches und einer überragenden Seemacht, ist zum Mimen<br />
vergangenen Glanzes degradiert, der nur um des Publikumsbeifalls<br />
wegen auf die Loggia seines Palastes tritt. Jeder seiner<br />
Schritte wird von den Staatsinquisitoren kontrolliert, die<br />
Tag und Nacht unangemeldet in seine Gemächer eindringen,<br />
ihn befragen, ihm aber auch Weisungen erteilen können. Nur<br />
in ihrem Beisein darf er Dokumente fertigen, Staatsgeschäfte<br />
erledigen oder auswärtige Gesandte empfangen. Selbst für<br />
einen Kuraufenthalt auf der „Terra ferma“ benötigt er die ausdrückliche<br />
Zustimmung des „Consiglio grande e generale“,<br />
dessen Beschlüsse alle seine Veranlassungen genau vorherbestimmen.<br />
Doch am Himmelfahrtstag, da fährt er noch einmal<br />
mit der Prunkgaleere, dem „bucintoro“, hinaus, um die<br />
symbolische Hochzeit Venedigs mit dem Meer zu feiern. Sein<br />
Schiff strahlt wie kein anderes vom Gold der Applikationen<br />
und Voluten. Skulpturen schmücken Bug und Heck und vom<br />
Bug flattern die erbeuteten Fahnen der Türken. Tempi passati.<br />
Dann lässt der Doge den goldenen Vermählungsring ins Wasser<br />
gleiten und ruft: „Wir vermählen uns mit dir im Namen<br />
wirklicher und dauernder Herrschaft.“ Und Jubel steigt auf,<br />
ringsumher, von den zahllosen Gondeln und Begleitschiffen,<br />
in welchen die Menge am Ufer, von den Balkonen der Häuser<br />
und Paläste, einstimmt. Auch Casanova schaut von einem<br />
Boot aus zu – und er kommentiert diesen Vorgang, als nehme<br />
er den heraufdämmernden Verfall und Untergang schon vorweg.<br />
Er notiert: „Beim leisesten ungünstigen Wind könnte das<br />
Schiff kentern und der Doge ertrinken, zusammen mit der<br />
ganzen erlauchten Signoria, mit den Botschaftern und auch<br />
mit dem Nuntius des Papstes. Um das Unglück voll zu machen,<br />
brächte ein solcher Zwischenfall ganz Europa zum Lachen,<br />
denn man würde sagen, der Doge von Venedig habe die<br />
Ehe endlich vollzogen.“<br />
Wolfgang Mayer-König<br />
Geb.1946, lebt als Schriftsteller und Universitätsprofessor in Graz<br />
und Emmersdorf an der Donau. Gründer des Universitätsliteraturforums.<br />
Herausgeber der Literaturzeitschrift LOG. Ständiger Delegierter<br />
bei den Vereinten Nationen. Mitglied der italienischen Akademien<br />
„Tiberina“ in Rom und „Cosentina“ in Cosenza. Autor von<br />
45 Büchern. Im Herbst erscheint im Löcker Verlag sein neuer Prosaband<br />
„Das begeisterte Wort“.<br />
Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse,<br />
Kulturmedaille des Landes Oberösterreich, Chevalier des Arts et des<br />
Lettres der Französischen Republik. Ehrenobmann der Literarischen<br />
Gesellschaft St. Pölten.<br />
Essay