Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
24 VENEDIG|Dezember2016<br />
Essay<br />
Daniel Krcál<br />
Allerseelen: Venezia<br />
Julian Cope, Gründer der legendären Band Teardrop Explodes<br />
und Krautrock-Experte, ist bekennender Allerseelen-<br />
Fan und weiß auf seiner musikologischen Homepage Head<br />
Heritage von so mancher Allerseelen-Platte zu schwärmen.<br />
Und dennoch kennt die Band in Österreich kaum wer. Was so<br />
ein bisschen seine Gründe hat.<br />
Das Ein-Mann-Projekt Allerseelen ist die experimentelle<br />
Spielwiese des Österreichers Gerhard Petak, früher unter<br />
dem Künstlername Kadmon und nun als Gerhard Hallstatt<br />
tätig, in jungen Jahren unter anderem Trommler bei Hermann<br />
Nitschs Orgien-Mysterien-Theater. Es ist eingebettet in eine<br />
im Post-Punk, Industrial und Gothic fußende Subkultur, die<br />
in ihrer post-satanischen Suche nach identitätsstiftenden bis<br />
subversiven Inhalten unter anderem auch auf das Thema Okkultismus<br />
im Dritten Reich gestoßen war. Da einige Protagonisten<br />
dieser sich selbst meist Apocalyptic Folk oder Neofolk<br />
nennenden Szene ihre Auseinandersetzung mit verbrannter<br />
Symbolik durchaus obsessiv, exzessiv oder gar provokant unkommentiert<br />
betrieben, kam es bald zu den unvermeidlichen<br />
Missverständnissen und Anschuldigungen durch Außenstehende.<br />
Darauf im Einzelnen tiefer einzugehen, würde hier zu<br />
viel Platz einnehmen, aber zusammengefasst kann gesagt<br />
werden, dass man es mit einer bunten Szene zu tun hat, für<br />
die das dekadente Spiel mit rechten Codierungen nur ein Aspekt<br />
von vielen ist. Dort, wo es aber betrieben wird, pendelt<br />
es sich irgendwo zwischen postideologisch unpolitischer<br />
Aneignung, linker bis antifaschistischer Interpretation, blanker<br />
Provokation und rechter Affirmation ein. Ein spannendes,<br />
riskantes, vieldeutiges Wagnis, das eher zu eigenständigem<br />
Denken einlädt als zu simplen Schlussfolgerungen. In den<br />
Ursprungsländern der nationalsozialistischen Verbrechen<br />
jedoch für viele - verständlicherweise - ein schwer zu tolerierendes<br />
Problemfeld. Was so einige nicht verstehen (können<br />
oder wollen): Es geht um Kunst, nicht Agenda. Reflektieren,<br />
nicht skandieren.<br />
Allerseelen sind eine jener Bands, die aufgrund so mancher<br />
thematischen Exploration immer wieder in besagten Verdacht<br />
kamen. Auf diese Anschuldigungen kann hier keine Antwort<br />
gegeben, dafür aber auf den künstlerischen Ertrag verwiesen<br />
werden, der keine politische, sondern die vielfältige<br />
Sprache eines von mannigfachen, kontrapunktischen Einflüssen<br />
durchdrungenen Gesamtkunstwerks spricht. Und ein<br />
Zitat des Künstlers beigefügt werden: „Gerade unsere Liebe<br />
zu kleinen Ländern und Regionen wie das Baskenland, wie<br />
Katalonien, Korsika, Österreich, Südtirol, Slowenien bewahrt<br />
uns davor, totalitäre oder autoritäre Strukturen und Systeme<br />
zu verherrlichen.“.<br />
Gemäß dieser Vorliebe fürs Regionale ist eine der wichtigsten<br />
Inspirationsquellen für Gerhard Hallstatt das Reisen:<br />
„Für mich ist eine Reise wie ein Mikrokosmos von einem<br />
Leben: Das beginnt mit der Geburt, das ist der Aufbruch, und<br />
es gibt ein Ende, das ist die Heimkehr.“. Eines der wichtigsten<br />
wiederkehrenden Reiseziele ist seit 1982 Venedig: »Ich<br />
mag Venedig sehr, allerdings nur in der kalten Jahreszeit. Ein<br />
magisches Inselreich mit funkelnden Visionen, eine trunkene<br />
Altstadt wie auf Zauberstäben, in der alles fließt und flüstert,<br />
in der jedes Wesen nicht nur einen Schatten, sondern auch<br />
ein Spiegelbild besitzt, schimmernd und schlummernd, aristokratisch<br />
und dekadent wie Charles Baudelaire und Gabriele<br />
d’Annunzio.«. Kein Wunder also, dass die Stadt, von der<br />
Hallstatts Lieblingsdenker Nietzsche meinte, wenn er ein<br />
anderes Wort für Musik suche, fände er immer nur das Wort<br />
Venedig, 2001 Motiv für ein ganzes Album wurde.<br />
Venezia stammt aus einer Zeit des leichten stilistischen<br />
Umbruchs Hallstatts. Das Experimentelle, bislang bestimmendes<br />
Element in der Musik von Allerseelen, findet von<br />
nun an Einschluss in gängigere, popmusikalischere Songstrukturen.<br />
Diese wiederum öffnen sich verschiedensten<br />
Stilen. Was entsteht, ist eine Art endzeitlicher Artpop. Entarteter<br />
Endzeitpop. Neugierig, poetisch. Vielschichtig, Lage um<br />
Lage durchpoliert.