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VENEDIG|Dezember2016<br />
25<br />
Gleich der Opener des Albums schiebt mit schneidend<br />
hypnotischem Beat und einer beschwörenden Repetition<br />
des Liedtitels an – „Dolce Vita, salzig und süß“. Der<br />
zweite Track „Tanzt die Orange“ bricht das aufgenommene<br />
Tempo auf einen trippig polternden Dub herunter, umspielt<br />
damit Fragmente aus Rainer Maria Rilkes „Die Sonette an<br />
Orpheus“. In „Horusknaben“ dann werden Rhythmik und<br />
Tanzbarkeit wiederkehrend von Klassikpomp durchrissen,<br />
und Hallstatt, damals noch Kadmon, dichtet unter anderem<br />
apophthegmatisch: „kubingraue Tauben“.<br />
In „Musa“ - ein Höhepunkt des Albums - wird Ezra Pound<br />
in treibende Akustikgitarre, Bass und Klavierschnipsel<br />
gebettet; flüsternd, lyrisch, geheimnisvoll - die Muse, die<br />
einen im Schlaf überkommt. Hallstatt zu Pound und Venedig:<br />
„Venedig war sicher für Ezra Pound eine Insel der Seligen,<br />
eine Dolce Vita nach seiner Zeit in den USA, wo er doch<br />
jahrelang in diesem Irrenhaus war. Es ist auch sehr interessant,<br />
dass Pasolini Ezra Pound in Venedig besucht hat.<br />
Ich schätze manche Texte von Ezra Pound sehr, allerdings<br />
finde ich, dass viele seiner Dichtungen zu überladen sind,<br />
zu schwierig, kaum zu verstehen ohne ein mythologisches<br />
Wörterbuch. Sein Schicksal ist beeindruckend, ist eigentlich<br />
wie geschaffen als Stoff für eine Tragödie des zwanzigsten<br />
Jahrhunderts. In seinem Leben verbinden sich Dichtung und<br />
Zeitgeschichte sehr unheilvoll: Ein Mann, der für den italienischen<br />
Faschismus Radiosendungen macht, der von den<br />
Amerikanern in einen Käfig eingesperrt wird. Mich faszinieren<br />
immer solche tragischen Persönlichkeiten, mit einem<br />
tragischen Leben oder einem tragischen Tod.“.<br />
„Cuore Avventuroso“ bietet repetitiven, dekadent verschleppten<br />
Electronica-Sample-Jazz. „Bist du die Nacht“<br />
begibt sich mit behäbigem Tempo und Rilke-Fragmenten<br />
auf eine nächtliche Wanderung durch die Gassen des Wundersamen.<br />
„Venedig“ umwebt Friedrich Nietzsches gleichnamiges<br />
Gedicht mit elegischen Slide-Gitarren-Lappen.<br />
„Spiegel sind Türen“ übt sich mit rauem Beat an Jean Cocteau<br />
ab.<br />
In „Rifflessioni“ haucht Kadmon/Hallstatt seine Poesie gegen<br />
einen Wandteppich aus mächtigen Ambient-Streichersamples,<br />
in „Gondelwerkstatt“ wiederum gegen einen aus<br />
Ambient, Industrial und Dub, und in „From Her To Eternity“<br />
(der Titel ist eine Hommage an Nick Cave) dann in die Synkopen<br />
einer temporeichen, trance-basierten Rhythmik.<br />
„Toteninsel“ schließlich - Pound liegt auf der venezianischen<br />
Insel San Michele begraben – ist ein würdiger Ausklang.<br />
Mystisch, blubbernd, ganz so, als würde ein müder Krieger<br />
langsam im venezianischen Meer versinken und nach und<br />
nach nur noch die Reste seiner erschöpften Lunge als Luftblasen<br />
an die Wasseroberfläche tanzen lassen.<br />
Obwohl Hallstatt die musikalische Ausdrucksform von<br />
Venezia selbst als „musica marittima“ bezeichnet, ist das<br />
Album weitab von Sonne und Mittelmeeridyll, gibt nicht<br />
jenen verkitschten Geist Venedigs wieder, den sich der<br />
durchschnittliche auf ausgetretenen Pfaden wandelnde<br />
Tourist erwartet; der eine oder andere Moment des Albums<br />
steht diesem süßen Klischee der Gondelstadt gar antipodisch<br />
gegenüber - ist zu harsch, zu kantig. Vielmehr ist es<br />
als inneres und äußeres Reisetagebuch zu sehen, als ein<br />
gegenständliches Eintauchen mit den Mitteln und unter den<br />
Vorlieben des Eintauchenden. Ein sorgsam geflochtenes<br />
Netz aus ausgewählter Sprachverliebtheit, geographischer<br />
Neugier und musikalischer Abenteuerlust. Eine auditive<br />
Reise, die den Blick auf ein anderes, heimliches, kühnes,<br />
abseitiges Venedig freigibt, und nicht nur deswegen unbedingt<br />
gewagt werden sollte.<br />
Daniel Krcál<br />
1971 mit Prager Wurzeln in Wien geboren. Prosa, Lyrik. Essays<br />
zu dies- und jenseitiger Populärkultur mit den Schwerpunkten<br />
Apocalyptic Folk, Unexplained Aerial Phenomena und Verschwörungstheorien.<br />
Mitglied der Literaturgruppe Wortwerft. Veröffentlichungen<br />
unter anderem in Rokko‘s Adventures, <strong>etcetera</strong> und<br />
Keine Delikatessen. Musikalische Arbeiten und literarische Vertonungen<br />
als hano aaruk, rukaanoha und Ku Raa oNa H.<br />
Essay