28.03.2017 Aufrufe

etcetera 66

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

56 VENEDIG|Dezember2016<br />

Thomas Ballhausen<br />

Hic sunt dracones.<br />

Prosa<br />

This is the room, the start of it all<br />

No portrait so fine, only sheets on the wall<br />

Joy Divison: Days of the Lords<br />

Habe ich Dir geschrieben, habe ich dazu angesetzt, innegehalten.<br />

Habe ich Dir also geschrieben, die Seite umgeblättert,<br />

geschrieben und weitergeschrieben.<br />

Durstig auf neue Räume zuhaltend, auf Schwellen, dabei die<br />

Zeit für eine kurze Spanne unterbrechend. Das ist der umfehdete<br />

Augenblick, jetzt.<br />

Hier sollten nun also Hinweise der Warnung und des Verständnisses<br />

kommen, vermessene Überlegungen über Absichten<br />

und alles, was sich als unvermeidlich herausgestellt<br />

hat. Aber stattdessen trete ich entwaffnet hinzu wie ein Dritter,<br />

ringend um den Ausdruck einer bis zuletzt gemachten Erfahrung.<br />

Ich tue das Offensichtliche, was immer Du darunter<br />

verstehen kannst.<br />

Das ist das Kommende, der Auftakt zum Ungeschriebenen.<br />

Ein Aufblitzen, strahlend wie Papier. Wenn ich loslasse, entfaltet<br />

es sich im Dunkel, abseits aller Geometrie, als neuer<br />

Zugang.<br />

Habe ich Dir also geschrieben, in den Seiten geblättert, habe<br />

ich ausgesetzt.<br />

Diese Zeilen sind nicht mehr als bloß mein Einsatz, gerichtet<br />

auf den Raum hin, sind, was vor dem eigentlichen Text<br />

kommt. Sind, wie könnte es auch anders sein, immer schon<br />

Deine gewesen.<br />

Ich bin nur das Vorwort, durch das Du, willst Du Dich an die<br />

Regeln und Konventionen halten, hindurchmusst. Du musst<br />

mich überwinden. Aber wann haben Dich Vorschriften nicht<br />

gelangweilt.<br />

Habe ich Dir also geschrieben, die Seiten umgeblättert, weitergeschrieben<br />

und so getan, als hätten wir das nicht schon<br />

gehabt.<br />

Habe ich Dir also geschrieben, als hätte ich nicht immer<br />

schon für Dich geschrieben. Das ist nur die halbe Wahrheit.<br />

Als hätten wir auch das nicht schon gehabt. Aber wer nicht<br />

vermisst wird, kann überall sein. Ein Unbehauster, gehetzt<br />

und unstet.<br />

Was also die Gerade verwehrt, bevor Du beginnst. Bevor meine<br />

Zeilen zu einer Gabe, einer Zugabe geworden sind.<br />

Diese Seiten sind ein umkämpfter Vorort, hier wird geräumt<br />

und so getan, als wären sie tatsächlich unbeschriftet. Das<br />

Weiß gibt die Körper frei, nach und nach. Wege tun sich auf,<br />

Möglichkeiten.<br />

Orientieren wir uns im Feld, am Verlauf der Linien und Brüche.<br />

Satzzeichen bieten mir Deckung und Richtung zugleich.<br />

Ja, ich kann mich auch noch kleiner machen.<br />

Springen wir weiter, heften wir Aufzeichnungen auf hervortretende<br />

Wände, Markierungen einer Bewegung und der<br />

Ort verwandelt sich tatsächlich. Warum die Mauern nicht<br />

beschriften, sich verlagern und das Ungeschützte lesbar machen,<br />

vorlesen.<br />

Worte passieren vermeintlich wie von selbst, aber unter jedem<br />

Schritt gestaltet sich der Raum, immer schon ein Neuland.<br />

Die sich ausbreitende Leere verlangt nach Aufzeichnungen,<br />

nach dem Anlegen von Skizzen, dem Verschwimmen zwischen<br />

Schrift und Zeichnung. Wir bündeln uns im Kommenden,<br />

vernähen uns Lage für Lage.<br />

Die Boten der Geschichte, erlegt und ausgestopft wie Trophäen,<br />

füllen die neu angelegten Regale. Hier stapelt sich<br />

Sinn, bietet vernünftige Maßstäbe für eine Ära des Verrats<br />

und des Gerümpels.<br />

Stellen werden abgeklebt. Das Reisen folgt diktierten Bewegungen,<br />

verfestigt sich. Fiktionen bleiben zuletzt doch gerne<br />

unter sich.<br />

Wer achtet noch auf die Laufrichtung der lahmgelegten Zeit.<br />

Im Raum siedelt das Ungeschriebene. Was sich erneut vor<br />

mir entblättert, ist eine unversperrte Leere, letztlich, Aussicht<br />

auf unsichere Heimat. Ein endendes Privileg, gewiss, doch diese<br />

Maschine läuft aus Wut und Enttäuschung einfach weiter.<br />

Wie dieses Vorwort nicht davon handelt, wovon ich dachte,<br />

dass es handeln wird.<br />

Zirkeln wir uns ab, streuen wir Salz. Glauben wir für einen verzweifelten<br />

Moment, dass all das keine Lüge ist. Eine Phrase<br />

füllt die Leere, noch ein Zauber der Abwehr.<br />

Wie sich erfundene Körper dazwischenschieben, die Wirklichkeit<br />

scheint überschätzt, bis sie uns trifft, unvermittelt und<br />

ungeschönt. Karten und Platzhalter verweisen, was bislang<br />

unsichtbar geblieben ist.<br />

Eine gewonnene Bewegung, nicht direkt, diagonal zwischen<br />

Punkten ziehend, die mir nichts bedeuten. Die Verbindungen

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!