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20 VENEDIG|Dezember2016<br />

Essay<br />

che Weise geschmückten Holzbalken und getäfelten Holzdecken<br />

der Paläste. Für derartige Selbstinszenierung, ja Selbstverzückung<br />

und dem Schein geweihte Selbstvereinigung<br />

musste unendlich viel geblasenes Glas mit Quecksilber und<br />

einer dünnen Zinnfolie beschichtet werden. So kostbar waren<br />

einst die Geheimnisse der venezianischen Glasbläser und<br />

Spiegelmacher, dass es ihnen bei Todesstrafe verboten war,<br />

die Lagune zu verlassen. Die Angst, die Attribute der Einzigartigkeit<br />

zu verlieren, brachte es auch so weit, dass der Schöpfer<br />

der astronomischen Uhr auf dem Markusplatz mit den<br />

zwei zum Glockenschlag ausholenden Mohren, geblendet<br />

werden sollte, um ein solches Werk nicht anderswo wiederholen<br />

zu können. Die Angst reichte von der Sucht, einzigartig<br />

zu sein, über die strikte Bewahrung gewonnener Geheimnisse<br />

des eigenen Vorteils oder einer klammheimlich erworbenen<br />

Verbrechensschuld, bis zur Angst, nicht ausgepfiffen zu werden,<br />

weil man sich eine Welt schuf, die nur noch Theater war.<br />

Aus der man zwar zugegebenermaßen auch herauspurzeln<br />

konnte, ja streckenweise aufwachen musste, wenn das üppig<br />

genossene Wildbret, das Eiweiß hart gekochter Eier, die Austern,<br />

die Trüffel, der Stör und die Sardellen, Makrelen und<br />

Brassen, Champagner, Prosecco und Punsch heftige Koliken<br />

auslösten, innere Steinabgänge und Gichtanfälle; im dichten<br />

Nebel der Herbst- und Wintermonate Husten und Asthmaanfälle<br />

zunahmen. Nein, nicht ausgepfiffen zu werden „blieb das<br />

Wichtigste.“ Sollte das Buch der Geschichte meines Lebens<br />

ausgepfiffen werden, so hoffe ich, dass es mir niemand sagt“,<br />

bekennt Casanova am Ende seines Lebens. Nein, das Leben,<br />

die Schau musste weitergehen, der Dauergesang der auslobenden<br />

Händler und Krämer, der Handwerker und Gondolieri,<br />

der auf und ab wogende Redeschwall der Geschichtenerzähler,<br />

das Vibrato und Tremolo der Priester und Prediger, der<br />

ungekonnt plumpe Trommelwirbel, welcher an den Buden der<br />

Zahnreisser das Schreien der Patienten übertönen sollte.<br />

Man gaukelte sich stets vor, unendlich frei zu sein, und lebte<br />

mit der Angst, die das Risiko solch unbegrenzter Freiheit mit<br />

sich brachte. Rund um das Arsenal, jener Schiffswerft und<br />

maritimen Waffenschmiede der Venzianer, musste die Höhe<br />

der Häuser auf die der Umfassungsmauer begrenzt werden,<br />

aus Angst vor Spionen. Man lebte ja so frei, weil Venedig<br />

noch eine Jungfrau war, unangetastet, niemals eingenommen,<br />

eine schöne Moribunde, ergraut im Bösen der Macht.<br />

Wir stimmen zu, hatten die Venezianer geschrien, nachdem<br />

der fast hundertjährige blinde Doge förmlich das Volk befragte,<br />

sich gegen Konstantinopel einzuschiffen. Den entscheidenden<br />

Schlag führt dann der Blinde selbst mit seiner<br />

Dogengaleere am goldenen Horn. Er lässt sie an den anderen<br />

Schiffen vorbeisteuern und mit hoher Geschwindigkeit auf<br />

Konstantinopel zuhalten. In voller Rüstung steht er selbst am<br />

Bug mitten im Schwirren der Pfeile und Wurfgeschosse, das<br />

Markusbanner Venedigs fest in der Hand. Als die Galeere am<br />

schmalen Landsaum aufläuft, springen einige an Land und<br />

rammen die Standarte in den Boden. Die Venezianer erstürmen<br />

die Mauern Konstantinopels und erobern die Wachtürme.<br />

Was in der Folge geschieht ist nicht zu beschönigen, auch<br />

nicht in Jahrhunderten vor dem blendenden Spiegel der Geschichte<br />

und der Geschichten. Es wurde ein brutaler Raubzug,<br />

der wie im Wahn alles zerstörte. Gold und antike Statuen<br />

wurden aus den Palästen gezerrt, Kleinodien und Schmuck<br />

aus den Häusern geraubt. Porphyrene Säulen und kostbare<br />

Halbreliefs, die schönsten der damaligen Welt, wurden abmontiert,<br />

abgebrochen, abgerissen zur künftigen Ausstattung<br />

der Hauskapelle des Dogen, der Markuskirche. Aber auch die<br />

anderen Kirchen Venedigs, welche zahllosen Heiligen geweiht<br />

sind, zeigen mit sündigem Stolz die Schätze erschlagener<br />

Menschen und Völker. Der Hochaltar der oströmischen<br />

Hauptkirche, der „Hagia Sophia“, zerschlagen, um die Edelsteine<br />

seiner kunstvollen Verzierungen schneller herausbrechen<br />

zu können. Alles, was nicht niet-und nagelfest war, wurde<br />

verschleppt, selbst noch die Silberverkleidung der<br />

Altarstufen. Um die reichliche Beute abzutransportieren, wurden<br />

zahllose Maultiere in das Heiligtum getrieben, bis der<br />

kunstvoll ausgestattete Boden über und über mit Kot bedeckt<br />

war. Währenddessen wurden am Hochaltar Frauen vergewaltigt.<br />

So entledigten sich die christlichen Krieger ihrer Kreuzzugspflicht.<br />

Das Beutegut der Venezianer aber wurde an die<br />

Lagune verschifft. Eines der hervorragendsen Kunstwerke<br />

Konstaninopels, die vielbesungene und gepriesene „Quadriga“,<br />

eine Gruppe von vier Pferden von den Wendepunkten<br />

des Hippodroms, der Pferderennbahn Konstantinopels, stellten<br />

die Venezianer voll Stolz über dem Hauptportal der Markuskirche<br />

auf. Jener prächtig vergrößerten Hauskapelle des<br />

Dogen, in welcher die reliquiaren Gebeine des Heiligen Markus<br />

ruhen, die auf ähnliche Weise aus Alexandrien besorgt<br />

worden waren. Natürlich musste man da Angst haben, das so<br />

Erworbene wieder zu verlieren. Schließlich war Venedig ja<br />

Jungfrau geblieben und noch nie ausgeplündert worden. Irgendwann,<br />

so malt es sich die aufkommende Angst aus,<br />

könnten doch dunkle Elemente durch die Gassen schleichen,<br />

die mächtigsten Anlagen auskundschaften, die bedeutendsten<br />

Schätze. Andere Gestalten sieht die Angst schon<br />

klammheimlich in die Lagune rudern, um die Eintiefungen der

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