etcetera 66

VENEDIG|Dezember2016
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viel zu laut ist. Manchmal stehe ich zwischen Menschen
und Menschen und kann nichts sehen. Ich höre nur das
Rauschen. Es ist ein Teil meiner Vergangenheit. Es flüstert
mir zu, dass ich nicht hierher gehöre, dass jeder Fehler auf
dieser Welt meinen Namen trägt. Früher habe ich daran
geglaubt. Früher habe ich an alles geglaubt, woran man
kaputtgehen kann. Heute weiß ich, dass es etwas Besseres
gibt, als abhandenzukommen. Etwas Besseres als Verlorengehen.
Hast Du eine persönliche Beziehung zu Venedig?
Ungefähr so persönlich wie meine Beziehung zu Sex. Ich
war nie dort, aber andere haben mir erzählt, dass es schön
sein soll.
Hast Du einen Lieblingsort? Ist es ein Ort der Sehnsucht?
Zuhause.
Aber das ist kein Ort.
Es ist eher ein Augenblick.
Hast Du einen Lieblingsautor?
Sebastian Fitzek. Ich habe noch nie ein Buch von ihm gelesen,
aber ich mag seine E-Mails. Er ist der einzige Schriftsteller,
mit dem ich befreundet bin, weil ich auf der Buchmesse
immer wie ein Alien im Supermarkt herumstehe
und mich nicht traue, ein richtiger Mensch zu sein. Aber
Sebastian hat sich einfach ganz hinten in die Schlange von
meinen Fans eingereiht und sich ein Autogramm geholt.
Dabei haben wir festgestellt, dass wir in derselben Stadt
wohnen und in dieselbe Schule gegangen sind. Dann haben
wir angefangen, uns jeden Tag zu schreiben, obwohl
wir beide nicht gerne E-Mails verfassen. Aber manchmal
verändert die Zeit Menschen. Und dann verändern Menschen
die Zeit. So entstehen Geschichten. Die es wert
sind, erzählt zu werden.
Einen Lieblingsverleger?
Hans-Peter Übleis vom Droemer Verlag. Am Anfang dachte
ich, er mag mich nicht, weil er mir ständig leere E-Mails
geschickt hat. Ich habe meinen Agenten gefragt, ob das
normal sei, ob Verleger generell nicht mit Autoren kommunizieren.
Mein Agent meinte: „Hm.“ Also habe ich Hans-
Peter noch einmal angeschrieben, dass ich mich schon
sehr über seine leeren E-Mails freuen würde, aber dass es
irgendwie nett wäre, wenn er mir wenigstens einen Satz
schicken könnte, nachdem ich ihm ein ganzes Buch anvertraut
habe. Da hat Hans-Peter mir ganz vielen Worten
zurückgeschrieben und sich entschuldigt: Er würde gerade
versuchen, ein moderner Mensch zu sein, und deshalb hätte
er sich ein iPad gekauft, und er hätte sich schon gewundert,
warum ihm keiner mehr schreibt.
Und was für Züge trägt Dein neues Projekt? Welche
Thematik befindet sich in Deinem nächsten Buch?
Ich weiß noch gar nicht, welches meiner Manuskripte als
nächstes veröffentlich wird. Die Worte stapeln sich bei
meinen Agenten und da ich mir nicht gerne Gedanken über
Marketingstrategien mache, lasse ich ihn und den Verlag
entscheiden, was sie gerne als nächstes machen möchten.
Ich weiß nur so viel: Da werden Worte stehen. Auf einem
festen Grund. Sie entspringen meiner Verfassung.
Ich danke Dir ganz herzlich für das Gespräch und freue
mich auf Dein nächstes Werk!
Lilly Lindner mit ihrem Verleger, Geschäftsführer Hans-Peter Übleis
Lilly Lindner
Geb.1985 in Berlin. Tochter deutsch-koreanischer Eltern und veröffentlichte
im September 2011 ihre Autobiografie, die unmittelbar
nach dem Erscheinen zum Bestseller wurde. Danach verfasste
sie unter anderem die Romane„Bevor ich falle” und „Da vorne
wartet die Zeit”. 2015 erschien ihr zweites autobiografisches Buch
„Winterwassertief”, alle im Droemer Knaur Verlag München. Lilly
Lindners Jugendroman „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin”,
erschienen im S. Fischer Verlag, wurde auf der Leipziger Buchmesse
2016 von der Leipziger Jugend-Literatur-Jury zum Favoriten
ernannt. Lindner ist seit Sommer 2015 Botschafterin des Deutschen
Kindervereins Essen.
Foto ©Verlagsgruppe Droemer Knaur München
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