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36 VENEDIG|Dezember2016<br />
Prosa<br />
- Nein, der starb nicht an der Cholera.<br />
- Aber er schrieb doch die Novelle „Der Tod in Venedig“?<br />
- Ja, das wohl. Doch Fiktion und Realität sind oft so knapp beieinander,<br />
man kann sie oft nicht unterscheiden. Aschenbach<br />
und der hübsche Jüngling Tadzio, sein persönlicher Todesengel<br />
im Grand Hotel des Bains am Lido von Venedig. Wussten Sie,<br />
dass es erst kürzlich zu einem Boutique-Hotel umfunktioniert<br />
wurde?<br />
- Nevvero!?!<br />
- Sì!<br />
- Der Glanz der alten Zeiten ist schon lange verloren gegangen.<br />
- Es gab einmal eine Plakataktion, um die Ein-Tages-Touristen<br />
von Venedig fernzuhalten. Man propagierte stinkenden Kanäle,<br />
Ratten…<br />
- Um die dritte Pestepidemie zu stoppen, meinen Sie?<br />
- Sì!<br />
- Aber ich habe sie gerochen, diese stinkenden Kanäle, und ich<br />
habe sie gesehen, die Ratten.<br />
- Seien Sie nicht albern, die habe ich auch vor meiner Haustür.<br />
- Dio mio! Vero?<br />
- Eh, sì!<br />
- Woher kommen Sie?<br />
- Ich komme aus dem Land, das vom Habsburger Reich übriggeblieben<br />
ist.<br />
- Das Land, was keiner wollte?<br />
- Sì, wenn Sie so wollen.<br />
- Haben Sie ein Identitätsproblem?<br />
- Sie meinen so eines wie die Italiener?<br />
- No. Wie die Venezianer.<br />
- Aber die Venezianer sind doch ein stolzes Volk.<br />
- Sì!<br />
- Haha! Venedig im Regen, hä? *Augenzwinker*<br />
- Ach hören Sie mir auf mit dem Kitsch, Schmach österreichischer<br />
Songcontestler verklärter Anflug an Romantik über<br />
l‘acqua-alta!<br />
- Sie bleiben lieber bei Ihrer Traviata?<br />
- Nun, die Musikindustrie ist nun wirklich ein anderes Thema,<br />
renommierte Komponisten aller Welt haben sich seit der Barockzeit<br />
hier beflügeln lassen. Ich meine, die Venezianer mögen<br />
sich aus wirtschaftlichen Gründen an den Tourismus verkauft<br />
haben, sind jedoch im Grunde ihres Herzens Venezianer<br />
geblieben. Verstehen Sie?<br />
- Glauben Sie?<br />
- Ich meine, Venedig ist eine Stadt, die wie ein Archetypus<br />
funktioniert.<br />
- Sie meinen, jedes Kind kennt es, ohne zu wissen warum?<br />
- So, in etwa.<br />
- Perché?<br />
- Es ist wie mit dem Stier, il toro, der das Symbol für Sexualität<br />
ist. So ist Venedig der Ort für Leben und Tod im Einklang. Wie<br />
es die Natur vorsieht. Doch geht Venedig unter, bedeutet dies<br />
der Untergang der Menschheit. Sie ist ein Vorbote des Todes<br />
und ist somit die Hoffnung auf ewiges Leben.<br />
- Meinen Sie nicht, dass die Gondeln schon lange Trauer tragen?<br />
- Ich sage nur „Don’t look now“!<br />
- Aber Venedig kann sehr kalt sein…<br />
- But just for „Those who walk away“.<br />
- Sie meinen, die Amerikaner wollen zu ihren alten Wurzeln<br />
zurückkehren?<br />
- Manche sicher.<br />
- Weil sie sich während der Biennale ausstellen lassen? Weil<br />
sie sich während der Filmfestspiele hofieren lassen? Weil sie<br />
sich hier niederlassen und ihre Romane schreiben? Weil sie<br />
ihre Hochzeiten hier feiern?<br />
- Weil sie sich hier mit Europa vermählen.<br />
- Aber in Venedig ist kein Platz für einen Golfklub.<br />
- Sie sind im Irrtum. Wir haben bereits einen und brauchen<br />
keinen zweiten.<br />
- Das kann ich gut verstehen. Der Prunk hängt bei Ihnen sowieso<br />
an den Wänden.<br />
- Sì! Nach venezianischem Modell haben wir es uns einst leisten<br />
können, die Wände unsere Palazzi mit den besten Gemälden<br />
unserer heimischen Künstler zu schmücken - wie Tintoretto,<br />
die Brüder Bellini, Tizian, Veronese, Canaletto, Tiepolo, um<br />
nur ein paar Namen zu nennen.<br />
- Sie meinen, zu tapezieren?<br />
- Nun, über guten Geschmack lässt sich streiten. Die Wände<br />
mögen damals noch nicht so feucht gewesen sein…<br />
- Und Ihre Toten begraben Sie auch senkrecht auf einer eigenen<br />
Lagune?<br />
- Sì! Auf San Michele.<br />
- Mit Gondel oder Vaporetto?<br />
- Scusi, aber nach dem Tod, welche Rolle sollte das noch spielen?<br />
- Ich kann mich an ein Pink Floyd Konzert am Markusplatz<br />
erinnern. Durch die Kraft der Verstärker fielen Marmortrümmer<br />
von einer Fassade, betroffen soll eine Statuen- Gruppe<br />
des aus Bergamo stammenden Bildhauers und Baumeisters<br />
Bartolomeo Bon gewesen sein. Auch wegen des Publikums,<br />
das bei 60.000 erlaubten Besuchern die 200.000 überschritten<br />
hatte. Diese verursachten den Hauptschaden: 300 Tonnen