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etcetera 66

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VENEDIG|Dezember2016<br />

39<br />

Michael Burgholzer<br />

Höchste Zeit<br />

Ich habe jetzt die Lösung für Venedig: Die ganze Stadt<br />

wird integriert als Zwi schen deck in ein noch zu bauendes<br />

Kreuz fahrtschiff von nie dagewesenen Ab mes sungen. Sie<br />

wird dann in der Lage sein, sich von der unseligen Lagune<br />

zu lösen und kann selbst auf Reisen gehen, sogar<br />

bis in den fernen Osten. Und ja, die Straße von Gibraltar<br />

ist breit genug für eine ge fahrlose Durchquerung, ich bin<br />

die Strecke mehrmals abge schwommen. Die Nutzung des<br />

Kraters nach dem Abgang der Stadt ist einem Pangasiuszüchter<br />

versprochen, auch eine Wasser nudel farm ist<br />

im Gespräch. Der Doge ist freilich in formiert. Feuer und<br />

Flamme ist er und übt schon Floskeln auf Chine sisch, aus<br />

Höflichkeit, für kommende Land gänge.<br />

San Michele<br />

Ich suche so gründlich nach der letzten Ruhe stätte des<br />

Physikers Doppler, dass ich das letz te Vaporetto versäume,<br />

das sanft tutend in der abendli chen La gu ne ver schwindet.<br />

Seufzend wärme ich mir nach Ein bruch der Dunkelheit<br />

inmitten der Grä ber auf meinem Camping kocher eine<br />

Dose Bohnen suppe. Aus der Deckung der Zypressen tritt<br />

eine hagere Ge stalt auf mich zu und fragt mich, ob ich<br />

ahn te, mit wem ich das Vergnügen hätte. Jetzt dämmere<br />

es mir, sage ich mit fes ter Stimme zu dem uralten Mann,<br />

warum meine Suche unter den Toten ver geblich gewesen<br />

sei. Er sei der be rühmte Physiker, bestätigt der Alte, durch<br />

sei ne Ent deckungen sei er leider unsterblich geworden, er<br />

hungere nach ewiger Ruhe. Wir löffeln gemeinsam meine<br />

Bohnensuppe aus.<br />

Auf der Quit tung steht meine Nummer. Ein Advokat nötigt<br />

mir aus seinem Bauch laden einen Flyer auf, in dem alles<br />

beschrieben ist. Ich blicke nach vorne über den Zaun. Von<br />

dort, wo die Hitze aufsteigt, dringt lautes Stöh nen herüber.<br />

Ich schä me mich nicht länger meiner Armut; als meine<br />

Nummer auf dem Display er scheint, durchquere ich<br />

mit festem Schritt das blaue Tor.<br />

Zahltag<br />

Der Nebel ist tückisch, ich habe mich verfahren, ohne<br />

see männisches Wissen hät te ich mich nicht auf den Brentakanal<br />

wagen sollen. Mein Polentalieferant hat mir sein<br />

Hausboot auf genötigt, unsere Geschäftsbeziehung ist<br />

seit Jahren frik ti ons frei. Ich bringe mein Wasserfahrzeug<br />

hinter einer Grup pe weiterer Boote, die mir den Weg versperren,<br />

zum Still stand. Ob wir denn mitten in Venedig<br />

gelan det seien, frage ich höflich die Besatzungsmitglieder<br />

auf den Booten vor mir, von der Brücke, die schemenhaft<br />

in der Ferne zu sehen sei, drängen nämlich starke Seufzer<br />

herüber. Wir seien am Schleu senhaus, klären mich die<br />

Ange sprochenen auf, die Seufzer entführen denen, die<br />

dort die Benutzungsge bühr für den Kanal ent richteten,<br />

bald sei die Reihe auch an uns.<br />

Murano<br />

Endlich ist meine Zeit gekommen, mein Leben lang habe<br />

ich, wie alle gläubigen Licht jünger, für das Ereignis gespart.<br />

Ich steige aus der Gondel und reihe mich ein in<br />

die Schlange der Wartenden. Für das Heißritual ist mein<br />

Vermö gen zu ge ring, ich werde mich kalt ver glasen lassen<br />

müssen. Das vor geschriebene Säck chen mit dem umgetauschten<br />

Si lizi um wer fe ich in eine durchsichtige Kassa.<br />

Michael Burgholzer<br />

Geb. 1963 in Linz, selbständiger IT-Dienstleister, 4 Kinder, wohnt<br />

und arbeitet in Bürmoos, mehrere Literaturpreise und -förderpreise,<br />

zahlreiche Veröffent li chun gen von Texten und Fotografien<br />

in Anthologien und Literaturzeitschriften („<strong>etcetera</strong>“, „Salz“, „Die<br />

Rampe“, „Krautgarten“, „Sterz“, „Landstrich“, „Am Erker“, „silbende_kunst“,<br />

„Off-the-Coast“)<br />

Prosa

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