Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
28 VENEDIG|Dezember2016<br />
Prosa<br />
Er streckte mir seine knochige Hand offen entgegen, sagte<br />
jedoch nichts. Kurz stand ich verdutzt da, bis ich begriff, dass<br />
er die Bezahlung im Vorhinein verlangte; ich zögerte kurz, da<br />
mir das Ganze nun plötzlich nicht mehr geheuer war. Dieser<br />
Kerl sagte kein Wort – vielleicht war er stumm, ich wusste<br />
es nicht – und einfach so die Hand nach Geld auszustrecken<br />
war doch nicht unbedingt die höflichste Art und Weise, den<br />
Obolus zu erbitten.<br />
Doch irgendetwas sagte mir, dass ich bei diesem Gondoliere<br />
vielleicht auf Informationen stoßen könnte, die mir endlich<br />
weiterhelfen würden, also überwand ich meinen Widerwillen<br />
und kramte ein paar Geldscheine heraus. Ich reichte sie ihm<br />
hin, doch er zog seine Hand zurück, ohne das Geld entgegenzunehmen.<br />
Ich blickte ihm verwirrt in die Augen, bis er in<br />
seine Hosentasche griff, ein paar Münzen herauszog und sie<br />
klimpern ließ. Er wollte Kleingeld.<br />
Etwas enerviert ob dieser Unverschämtheit, die mich meine<br />
anfängliche Skepsis diesem Kerl gegenüber kurz vergessen<br />
ließ, kramte ich selbst in meiner Hose nach Kleingeld und ließ<br />
es in die nun wieder ausgestreckte Hand dieses Halunken fallen,<br />
sodass es abermals leise klirrte. Der Gondoliere neigte<br />
daraufhin erneut sein Haupt und bedeutete mir mit einer einladenden<br />
Armbewegung, ich dürfe mich nun in sein Gefährt<br />
setzen, was ich auch tat. Und dann fuhren wir los, langsam<br />
und schaukelnd, während das Wasser um uns herum leise<br />
plätscherte. Der Abend war schon vorangeschritten und das<br />
tägliche Treiben der Stadt beruhigte sich allmählich.<br />
Wir fuhren gemächlich durch kleinere Kanäle, nur vereinzelt<br />
begegneten wir Gegenverkehr und es waren fast keine Menschen<br />
mehr auf den Straßen; eine angenehme Ruhe umgab<br />
mich, es wurde mit der Zeit sogar richtig still. Doch anstatt<br />
mich darüber zu wundern, versank ich zu Beginn der Fahrt<br />
in eine wohlige Zufriedenheit, die mich beinah‘ schläfrig<br />
machte und mich wünschen ließ, in dieser Gondel einfach<br />
dahin zu dösen, während sie mich durch die engen Wassergässchen<br />
schaukelte.<br />
Bald senkte sich die Nacht über Venedig, ich hatte jegliches<br />
Zeitgefühl verloren und wir fuhren gerade in einer der<br />
verwinkelten Wasserstraßen entlang, die von teilweise brüchigen<br />
Hausmauern umsäumt sind. Der Mond war aufgegangen<br />
und schien direkt auf unseren kleinen Wasserweg;<br />
er beleuchtete silbrig glänzend den Gondoliere, der mir mit<br />
einem Mal noch blasser vorkam als zuvor.<br />
Und auch etwas anderes fiel mir auf: eine Stille und eine<br />
Leichtigkeit, die gleichzeitig das Gegenteil ihrer selbst waren.<br />
Ich runzelte die Stirn und versuchte mir Klarheit darüber<br />
zu verschaffen, was diese Diskrepanz in meiner Wahrnehmung<br />
verursacht hatte. Schleichend schälten sich dann<br />
einzelne Eindrücke heraus, die mich aufhorchen und um<br />
mich blicken ließen: Die Stille war eine vollkommene Stille,<br />
doch durchbrochen von einem unhörbaren Ruf, ein Ziehen<br />
gleichsam, der und das direkt aus meinem Inneren zu kommen,<br />
oder in mein Inneres von irgendwoher einzudringen<br />
schienen; ich weiß bis heute nicht, was zutreffend ist. Und<br />
die Leichtigkeit war zwar eine Leichtigkeit meiner Seele,<br />
fast ein Losgelöstsein von meinem Körper, doch ich merkte<br />
nun, dass wir Schwierigkeiten hatten, vorwärtszukommen;<br />
wir fuhren plötzlich sehr langsam und schaukelten auch fast<br />
gar nicht mehr.<br />
Der Gondoliere schien von alledem keine Notiz zu nehmen,<br />
also beugte ich mich etwas hinaus aus der Gondel, um aufs<br />
Wasser zu schauen. Es war schwarz, unheimlich düster, und<br />
spiegelte den Mondschein nicht so glänzend, wie es dies<br />
hätte tun sollen. Und mit diesem Anblick, gleichsam einer<br />
latenten Erkenntnis, erwachte ich nach und nach aus einer<br />
Trance, die mich in dem Moment erfasst hatte, als ich<br />
in diese Gondel eingestiegen war. Ich begann wieder klar<br />
zu sehen und zu denken, bemerkte meine immer düsterer<br />
werdende Umgebung, fühlte die Enge der Wasserstraße<br />
und musste plötzlich fest an mich halten, da irgendetwas<br />
an meinem Innersten zu zerren schien, etwas Ungreifbares,<br />
doch Starkes.<br />
Ich erinnerte mich, dass ich doch vorgehabt hatte, dem<br />
Gondoliere Fragen zu stellen über das unerklärbare Verschwinden<br />
von Touristen in den letzten Wochen, und wunderte<br />
mich, warum ich es vergessen hatte. Ich war verwirrt<br />
und versuchte, meine seltsamen Eindrücke abzuschütteln,<br />
die ich einer zu großen Erschöpfung zu Lasten legte, der ich<br />
ja zweifellos in den Wochen in Venedig ausgesetzt gewesen<br />
war. Doch es gelang mir nicht so ganz, mich von meiner<br />
aufkeimenden Angst und dem Eindruck zu befreien, an mir<br />
würde innerlich gezerrt werden.<br />
Ich fühlte mich nicht mehr wohl und beschloss, dem Gondoliere<br />
Bescheid zu geben, dass ich nun aussteigen wolle. Ich<br />
wandte mich zu ihm, öffnete bereits meinen Mund, um zu<br />
sprechen, doch die Worte blieben mir ungeformt in meinem<br />
Halse stecken. Plötzlich dachte ich nichts mehr, wollte auch<br />
nichts mehr sagen, denn ich sah nur mehr: Vor mir stand<br />
die hagere Gestalt des Gondolieres mit mir zugewandtem<br />
Rücken. Auf seinem rot-weiß gestreiftem Leibchen, das in<br />
diesem seltsamen Licht mehr grau als bunt erschien, zeichneten<br />
sich seine Schulterblätter deutlich ab, standen fast