44 VENEDIG|Dezember2016 Prosa Andrea Zöhrer Die zeitlos Lächelnde Kein Photoshop, kein Filter. Gnadenlos zeigt das weiße Mittagslicht alle Falten und Risse, alles, was du hinter deiner Eitelkeit verbergen möchtest, wird bloßgestellt. Tausende und Abertausende betrachten, fotografieren und kommentieren deine Zahnlücken, deine zahllosen Augen, die halb geschlossen den Blick in dein Innerstes verwehren. Deine hängenden Augen, deine schiefen Münder sind es, die ein Schmunzeln hervorrufen und ein Feuerwerk an Träumen explodieren lassen, Gedankenblitze, Erinnerungen an eine Zeit, als alles frisch, strahlend und so gerade gewesen sein muss, wie geplant oder zumindest so senkrecht wie möglich. Dein vorsichtiges Lächeln, das dir an den schrillen Tagen von Mal zu Mal schwerer fällt und deinen ruinösen Zustand kaschieren soll, hat nichts von seinem verführerischen Charme verloren. Du flirtest, dennoch wirkt dein Strahlen angestrengt. Du bist müde geworden. Die einsame Träne, einst dekorativ kitschiges Detail deiner Maske, ist nun ein ständiger Begleiter deiner rückwärts gerichteten Zuversicht. Der nagende Zahn der Jahrhunderte attackiert zusehends aggressiver deine fauligen Holzbeine, deine Basis. Zuversichtliche Helfer tauschen sie unermüdlich gegen neue aus. Immer mehr und mehr Gaffer dringen in dich ein, quetschen sich durch deine Schläuche, über deine Brücken, drängeln, quengeln und porträtieren deinen Verfall. Sie zwängen sich in kitschige Fetzen, setzen sich Masken auf – made in Taiwan – und drehen sich affig imitierend grad so, als wären die Errichter deiner prachtvollen Vergangenheit Kreisel gewesen. Picture please? Five Euros...and keep smiling. Kraftlos und gelangweilt schließt du deine Augen komplett mit grünen, blauen oder braunen Klappen, unfähig und unwillig mit architektonischem Botox und hyperästhetischen Eingriffen der ewigen Jugend nachzujagen, chancenlos, sie vorzugaukeln, so zu tun, als ob. Werbewirksam behängen dich finanzkräftige Freunde, legen Schleier über dich, die deine zerstörte, hässliche Seite verbergen sollen. Darauf im Fotoprint ein Versprechen, dass du mit millionenschwerer Zauberei wieder wie neu erscheinen wirst, nur ein bisschen verändert, eine russische, amerikanische oder arabische Ergänzung. B2B. Business as usual. Das ist dir alles egal. Im grellen Licht lässt du alle zappeln und trappeln, du lässt an dir arbeiten, hämmern, gestalten, du lässt die Augen geschlossen, lächelst und wartest. Im orangeroten Abendschein beginnst du ein bisschen zu blinzeln, nimmst nach und nach die Klappen weg und gestattest einen Blick ins Innere. Vier Jahrhunderte haben sich in deinen Kanälen aufgelöst. Gold, Stuckmarmor, Fresken, Kristallluster, Gobelins, überschwänglicher Barock bringt die Massen zum Staunen, zu Fratzen erstarren. Picture please? You can take me now. In Booten dürfen sie glotzen, aus Booten dürfen sie dich anhimmeln, dir huldigen, dein Gepränge fotografieren und kommentieren - but please – don‘t touch. Nein, wirklich berühren darf man dich nicht. Nach und nach begreifen deine Bewunderer, dass du nichts von deiner jahrhundertealten Energie verloren hast, im Gegenteil, du speicherst und potenzierst sie in dir, tagsüber, hinter den undurchdringlichen Fassaden. Generationen über Generationen haben diese Kraft im Innersten bewahrt, kultiviert, akkumuliert, du lächelst und wartest. Abends spuckst du sie nach und nach aus, deine Bewahrer, deine Lebensgeister. Auf Plätzen oder in Palästen, je nach sozialer Größe, treffen sie sich, tauschen sich aus, loben, lieben, rügen dich. Ihr Leben ist dein Leben, ihr klammert euch aneinander und sinniert vom prachtvoll verglasten Früher, das auf jeden Fall besser war, als das verplastikte Heute, ganz gewiss, schließlich haben es die Alten erfolgreich hinter sich, ihr steckt noch mitten drin und müsst weitermachen. Mosé soll euch dabei helfen, für die Zukunft scheinst du gerüstet. Deine nächste Generation steht schon bereit diese heitere Aufmachung zu erhalten. Und die Gaffer? Sie besteigen von Vivaldi begleitet das Boot, das sie zum Bahnhof bringt, bewundern deine reife Schönheit neidisch, drücken noch einmal ab und planen, vom serenen Virus infiziert, ihre Rückkehr mit einem Lächeln auf den Lippen. A presto.
VENEDIG|Dezember2016 45 Andrea Zöhrer Ist eine Gern-, aber keine Vielschreiberin. Aufgewachsen und wohnhaft im Westen Österreichs kämpft sie im beruflichen Alltag mit den regionalen und nationalen sprachlichen Phänomenen. Wenn sie nicht arbeitet, klebt die passionierte Papierleserin ihre Nase zwischen zwei Buchseiten. Prosa