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Rezensionen VENEDIG|Dezember2016<br />
71<br />
Lilly Lindner:<br />
Die Autobiographie der Zeit.<br />
Roman, Mü:Droemer: 2016,<br />
236 S.<br />
ISBN 978-3-426-30540-9<br />
Dine Petrik:<br />
Funken.Klagen. gedichte<br />
weitra, Bibliothek der<br />
Provinz.<br />
2016, 86 S.<br />
ISBN 978-3-99028-542-8<br />
Friederike Gösweiner:<br />
Traurige Freiheit. Roman.<br />
Graz: Droschl.<br />
2016, 148 Seiten.<br />
ISBN: 978-3-85420-976-8<br />
Zwei Welten überschneiden sich. Das Leben spricht<br />
mit dem Tod! Wieso auch nicht – beinhaltet doch ab der<br />
Geburt jedes Lebewesen bereits sein Ablaufdatum.<br />
Wie in ihren vorigen Romanen ist es wieder ein ungeheuerlicher<br />
Inhalt, der dem Leser Denkstoff bietet. In<br />
Winterwassertief, 2015 und Splitterfasernackt, 2011<br />
war es das „Aus dem Körper treten“ und nicht wieder<br />
in diesen geschundenen hineinzufinden, diesen, seinen<br />
einzigen Leib akzeptieren zu können sowie das „Aus den<br />
Schlaglöchern treten“, die einem das Leben zugefügt hat.<br />
In diesem Band sind die Gedanken der Autorin gereift, es<br />
gibt auch angesichts des Fehlverhaltens der Menschheit<br />
keine Vorwürfe. Es gibt nur eine zeitlose Zirkusarena, in<br />
der alle Zeit der Welt und aller Raum vergehen. Das Hinterfragen<br />
und Wissen wird wie die Angst unnötig, da es<br />
keine Dauer gibt.<br />
Der symbolische Aufbau zeigt vier Jugendliche, die die<br />
Zeit/Ewigkeit (Ich-Erzähler), den unermesslichen Raum<br />
(Kevin), die Beständigkeit, zu der auch Liebe zählt (David)<br />
und den zerstörerischen, tötenden, zerfleischenden<br />
Abgrund (Shay) darstellen. Diese vier Mächte regeln<br />
allumfassend die Welt. Verzauberung tritt in diese durch<br />
die bedingungslose Liebe zweier Menschen. Das brutale<br />
Töten von Menschen durch Shay bekommt angesichts<br />
der sonst herrschenden Überbevölkerung Sinn und erst<br />
als diese Vier nicht mehr regieren, bricht die Welt zusammen.<br />
Allerdings lässt die Autorin den positiven Gedanken<br />
einer sich entwickelnden „neuen Zeit“ in ihrem Epilog zu.<br />
Falls der Leser dies und anderes nicht versteht, glt das<br />
tröstende Motto: Im Universum gibt es nur eine Grenze –<br />
die im Gehirn eines Menschen. Und somit kann der Leser<br />
ungestört genießen.<br />
Wie alle Bücher von Lilly Lindner ein Muss! Diesmal<br />
inhaltlich weniger breit im Alltag verankert, sondern<br />
fragmentarisch in knappen komprimierten Abläufen<br />
und Gedankenführungen poetisch weise aufbereitet.<br />
Äußerst reich an Lebens- und Todesphilosophie!<br />
Eva Riebler-Übleis<br />
Motive für ein Andante. Zum Heftthema Venedig<br />
passend vereint dieser Lyrikband der im Burgenland<br />
geborenen, in Wien lebenden Autorin Gedichte mit mal<br />
bedächtig vorwärts schreitendem und dann wieder<br />
übermütig springendem, überspringendem Inhalt.<br />
Das Vorwort von Flaubert weist schon darauf hin, dass<br />
der Dichter nie genau angeben kann, was ihn schmerzt,<br />
und die Überfülle der Seele manchmal in die leersten<br />
Bilder überfließt. Dies charakterisiert wahrlich ihre lyrischen<br />
Ausarbeitungen. Weit ausholend, großflächig<br />
und von innen wie von außen besehen, trägt sie doch<br />
immer wieder zum Thema etwas bei und findet zurück<br />
zur Überschrift und nagt mit spitzer Feder an den Gedanken.<br />
Nebel durchziehen ihre Schauplätze – S. 13 (annebeln)<br />
schon wird der tag/ mit spitzer feder abgenagt/ der abend<br />
schwelt im kochtopf/ nebel hängt im fenster wie gardinen/<br />
geifernd nach emotionen - …<br />
Oft weiß die Autorin ein Thema mit Augenzwinkern zu<br />
behandeln oder zu beenden, wie z.b. Themen über das<br />
Alter (über ich), das Schamgefühl (logen fassen) oder<br />
den Verlust der Jungfräulichkeit (hymenlos) usw.,. und<br />
zeigt auch Witz bei ihren Fudschijama-Gedichten, bei<br />
denen man förmlich in der Gondel sich sitzend fühlt und<br />
die vorbei pendelnde Landschaft samt heißen Quellen<br />
und Dampf so sichtbar bzw. unsichtbar wird, wie das<br />
eigene Spiegelbild im Kratersee.<br />
Ein tolles Werk in der Komposition und sorgfältig in der<br />
Ausarbeitung!<br />
Eigenständig und höchsteigenwillig und meist angenehm<br />
skurril in der Sprache und Wortwahl. Ideenreich<br />
und intelligent in der Wahl und Verarbeitung von Inhalten<br />
und nie provozierend oder mit pädagogisch wertvollem<br />
Zeigefinger die Hand erhebend!<br />
Den Gedankenblitzen geht weder das Feuer noch die<br />
Luft aus.<br />
Fazit: Ein außergewöhnlicher Gedichtband mit starker<br />
Anziehungskraft!<br />
Eva Riebler-Übleis<br />
Wo bitte geht's hier zum Glück? Hannah wird<br />
das Gefühl nicht los, irgendetwas verpasst zu haben in<br />
ihrem Leben. Trotz erfolgreich abgeschlossenem Studium,<br />
einer erfüllten Partnerschaft, einer gemeinsamen<br />
Wohnung fehlt das für sie entscheidende Puzzleteil:<br />
der perfekte Job! Damit wäre ihr Leben komplett. Sie<br />
schreibt sich die Finger wund, strengt sich an, um bei<br />
Castings einen guten Eindruck zu hinterlassen. Doch<br />
alles scheint vergebens. Bis eines Tages die Zusage für's<br />
Volontariat in Berlin eintrifft. Perfekt! Doch der Hakren<br />
daran: die Entfernung zwischen beiden Städten, die Distanz<br />
schafft und am Lack der bereits angeschlagenen<br />
Beziehung kratzt. Hannah hält fest an ihrer Chance,<br />
springt ins kalte Wasser und zieht zu Miriam nach Berlin.<br />
Klingt wunderbar. Der Leser ahnt bereits, dass es<br />
anders kommen wird, als die Protagonistin plant.<br />
Auf das Volontariat folgt kein Automatismus, kein<br />
Stellenangebot, wie Hannah erhofft. Not macht erfinderisch!<br />
Also greift Hannah auf ihren Studentenjob als<br />
Kellnerin zurück. Vorübergehende Selbstzweifel verfliegen,<br />
jedoch schmecken Übergangslösungen irgendwann<br />
bitter.<br />
Eigentlich wäre sie jetzt lieber bei Jacob, den sie verlassen<br />
hatte, wegen des erhofften Aufstiegs in Berlin, aber<br />
Schwäche zeigen, wäre jetzt fehl am Platz. Ängste und<br />
Atemnot plagen zunehmend Hannahs Alltag. Auswegslosigkeit<br />
macht sich breit. Kommt für sie ein Rückzug ins<br />
Kinderzimmer infrage?<br />
Friederike Gösweiner skizziert eindringlich die Isolation<br />
eines Menschen in einer karriereorientierten Zeit. Protagonistin<br />
Hannah hat sich bemüht, jedoch vergebens. Sie<br />
erlebt sich als Verliererin im Kampf um Arbeit und Erfolg,<br />
im Vergleich mit Gleichaltrigen, die es „geschafft“<br />
haben einen Traumjob zu ergattern.<br />
Ein Debüt, das den Klassiker „Haben und Sein“ (Erich<br />
Fromm) erneut ins Spiel bringt.<br />
Unbedingt lesen !<br />
Cornelia Stahl