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Kultur<br />
Selbst Max Schmeling liebte Sigis Küstenlandschaften<br />
Die Bilder Reich an der Stolpes zeichnen sich durch Surrealistisches und gewaltige Farbkluften aus.<br />
Sie sprechen Gewühlswelten an.<br />
Tochter und Schwiegersohn plaudern<br />
in Wehbach über ihren berühmten Vater:<br />
Siegfried Reich an der Stolpe<br />
Das Haus liegt am Hang in Wehbach. Ein bisschen<br />
zurück. Es ist ein altes Haus. Die Ziegel haben zig Jahre<br />
auf dem Buckel. Ein schönes Haus. Mit viel Geschichte<br />
im Mauerwerk. Winklig ist das Haus. Und drinnen gibt es<br />
viel zu sehen. Beispielsweise einen Flügel, ein Keyboard<br />
und viel erlesene Kunst. Es gibt auch viel zu hören. Zum<br />
Beispiel Geschichten. Eine ganze Menge sogar. Wie jene<br />
von Sigi …<br />
Sigi ist berühmt. Da müssen Alben herbei, Fotos, teilweise<br />
zerknittert, angegilbt. Herbei müssen auch Presseberichte,<br />
Kunstkataloge, Fachgazetten. Beatrice und Klaus<br />
Schneider zeigen alles und sie erzählen dazu die Geschichte<br />
von Sigi – dem Maler.<br />
Im November 2001 legte Sigi den Pinsel für immer<br />
aus der Hand. Er trat ab von dieser Welt. Einer der großen<br />
Gegenwartskünstler. Ein Stilpräger. Ein charismatischer<br />
Künstler ist gegangen. Die Erinnerungen, die bleiben.<br />
Bei dampfendem Kaffee, der die Lebensgeister zur<br />
abendlichen Stunde weckt, wird die Geschichte vom Sigi<br />
aufgeblättert. In Wort und Bild. Nicht ganz einfach. Sigis<br />
Geschichte ist kompliziert. Und lang. Die chronologische<br />
Ordnung schält sich langsam heraus. Nun, das ist meistens<br />
so, wenn es um große Persönlichkeiten mit eng geschriebenem<br />
Lebenslauf geht.<br />
Am Ende steht dann fest: Der Sigi heißt nicht einfach<br />
Sigi, sondern hat einen langen Namen, unter dem ihn die<br />
kunstinteressierte Welt kennt: Siegfried Reich an der Stolpe.<br />
Beatrice ist eine seiner Töchter. Sie gibt Ballettunterricht.<br />
Ihr Mann Klaus ist privater Klavierlehrer.<br />
Also, der Sigi heißt eigentlich nur Reich. 1912 kommt<br />
er in einem verschlafenen Nest zur Welt. Stolp heißt es, und<br />
in Pommern liegt es. Das Nest liegt direkt an einem kleinen<br />
Flüsschen, das den Namen Stolpe trägt.<br />
An der Wiege seines künstlerischen Schaffens stehen<br />
Georg Grosz und Max Pechstein. Auch Schmitt-Rottluff<br />
beeinflusst Reich, der relativ schnell zu einem eigenen Stil<br />
findet. Klaus Schneider über seinen Schwiegervater: „Er<br />
nannte seinen Stil Emotionalismus.“<br />
Für Furore sorgt Reich an der Stolpe schnell. Kritiker<br />
erwähnen ihn in einem Atemzug mit Pechstein und eben<br />
Schmitt-Rottluff.<br />
In den 30er-Jahren kauft ihm Deutschlands berühmtester<br />
Boxer, Max Schmeling, ein Konvolut von Grafiken ab.<br />
Bevorzugte Motive: Küstenlandschaften, Meereswogen,<br />
Brandungen.<br />
Beatrice und Klaus Schneider sind sich einig: „Wichtiger<br />
und prägender als alle akademischen Ausbildungen<br />
und Studien waren für Sigi die Freundschaften mit und zu<br />
anderen Künstlern, beispielsweise zu Käthe Kollwitz.“<br />
Unter dem Hitler-Schreckensregime gelten seine Werke<br />
als entartete Kunst. Siegfried Reich an der Stolpe lebt in der<br />
brodelnden Metropole Berlin. Er führt unter dem wahnwitzigen<br />
Hitler-Regime ein Nischendasein. Wie viele Künstler<br />
in diesen „entarteten“ Zeiten.<br />
Und dann kommt einer der schwärzesten Tage im Leben<br />
des begnadeten Künstlers: Im irrsinnigen Bombenhagel<br />
geht sein Berliner Atelier zu Bruch. Fassungslos steht<br />
Reich an der Stolpe vor den Trümmern seines Domizils<br />
und seines Schaffens.<br />
Unterkriegen lässt er sich nicht. Jahre später fasst der<br />
Kriegsheimkehrer in Frankfurt Fuß. Sein Bekanntheitsgrad<br />
wächst. Seine Werke werden z. B. neben denen von<br />
16 durchblick 2/<strong>2007</strong>