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Marias Krimi<br />
zentrum schnell erreicht und stand atemlos dem Juwelier<br />
gegenüber. Das schmale Gesicht mit den großen, ernsten<br />
Augen erinnerte sie an einen Schuljungen, den sie vor langer<br />
Zeit gekannt hatte.<br />
Ihre Worte entsprachen nicht den überlegten Sätzen,<br />
die sie unterwegs eingeübt hatte: „Ich war gerade bei dem<br />
Mann, der für Sie im Gefängnis sitzt. Meine Tante Else<br />
Bernsdorf muss gewusst haben, dass Sie Ihre Frau erschossen<br />
haben. Aber der Unschuldige will das Geld nicht. Er<br />
will sein Recht.“<br />
Für einen Moment schien Michael Brückner um Fassung<br />
zu ringen, aber dann wich der wirre Ausdruck in seinem<br />
Gesicht einem höflichen Lächeln. Sein Stimme klang<br />
ruhig und sachlich: „Sie irren sich, meine Frau ist von dem<br />
Einbrecher erschossen worden. Das wurde klar bewiesen.<br />
Warum Ihre Tante, der ich auch viel zu verdanken habe,<br />
sich um ihn gekümmert hat, begreife ich nicht. Aber bitte,<br />
es ist mir schmerzlich diese Dinge wieder aufzurollen. Wir<br />
haben uns nichts mehr zu sagen.“<br />
Abrupt wandte sich Irma zum Gehen. Für sie war der<br />
Fall klar, aber wie sollte sie jemals Beweise finden. Und<br />
warum hatte Michael Brückner seine Frau erschossen? Voller<br />
Unruhe fuhr Irma nach Hause. Der Wunsch, von dem<br />
Mann, der sie so hart abgewiesen hatte, die Wahrheit zu<br />
erfahren, trieb sie zurück ins Stadtzentrum. Seltsam, auch<br />
Doris war fortgegangen, obwohl sie nichts von solcher Absicht<br />
gesagt hatte. Pluto, der sanfte „Höllenhund“, blieb an<br />
Irmas Seite und nahm ihr etwas von ihrer Angst.<br />
Das Juweliergeschäft war jetzt geschlossen. Irma ging<br />
hinter das Haus, wo eine Treppe zu einer leicht angelehnten<br />
Tür führte. Deutlich hörte sie die Stimme Brückners und<br />
versuchte, den Sinn seiner Worte zu verstehen. „Sie war<br />
vorhin hier,“ stieß der Juwelier aufgeregt hervor. „Sie hält<br />
mich für den Mörder. Ich habe damals meine hinter der<br />
Kasse liegende Waffe verschwinden lassen und niemand<br />
gesagt, dass du<br />
geschossen hast.<br />
Dich hatte niemand<br />
gesehen,<br />
auch der Einbrecher<br />
nicht, der auf<br />
der Flucht festgenommen<br />
wurde<br />
und für die Polizei<br />
der Täter war.“<br />
Michael Brückner<br />
steigerte sich<br />
zu höchster Erregung,<br />
als er fortfuhr:<br />
„Als meine<br />
Frau damals plötzlich<br />
vor dir stand,<br />
weil sie Lärm gehört<br />
hatte, hast du<br />
die Gelegenheit<br />
genutzt und sie<br />
getötet.“ Bei den<br />
Warum vermachte Tante Else ihr<br />
Vermögen einem Strafgefangenen?<br />
folgenden Worten versagte die Männerstimme fast: „Auch<br />
meine Liebe zu dir ist tot. Ein Mann hat 15 Jahre für deine<br />
Schuld gebüßt. Du wirst dich der Polizei ...“ Die Stimme<br />
verstummte.<br />
Die vor Angst zitternde Irma hatte nur einen Gedanken.<br />
Jetzt musste sie etwas tun. Sie zog den Hund vor den Türspalt<br />
und rief: „Fass, Pluto, fass.“ Der Hund stürzte ins Zimmer.<br />
Dann hörte Irma ein lautes freudiges Winseln. Als sie<br />
Pluto folgte, sah sie, dass ihre Schwester Doris gerade eine<br />
kleine, silberne Pistole an ihre Schläfe drückte. Nun begriff<br />
sie das Geheimnis der Tante. Als die beiden Frauen zum<br />
Polizeirevier fuhren, wühlte Doris den Kopf schluchzend in<br />
das dichte Fell des treuen Bernhardiners. Maria Anspach<br />
durchblick 2/<strong>2007</strong> 21