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tieferen Sinn und dauerhaft festen Halt zu<br />
geben. Und er fand sie, diese Kraftquelle,<br />
mithilfe seiner geistigen Fähigkeiten,<br />
insbesondere aber durch die Möglichkeit,<br />
sich selbst zu transzendieren, d. h.<br />
die Grenze seiner sinnlichen Erfahrung<br />
überschreitende Gedanken entwickeln zu<br />
können. Mit dieser geistigen Ausstattung<br />
versehen, schuf sich der Mensch eine<br />
übersinnliche, jenseitige Welt, eine Welt,<br />
die frei ist von erdgebundenen Abhängigkeiten<br />
und endlicher Begrenztheit. Diese<br />
Hoffnung und das Vertrauen auf eine ausgleichende,<br />
überirdische Kraft (Gott) und<br />
eine heile Scheinwelt (Himmel) ohne Leid,<br />
Schmerz und Vergänglichkeit, waren ein<br />
wirksames, psychologisches Gegenmittel<br />
gegen die Folgen einer tiefsitzenden Urangst<br />
gegenüber übermächtigen Naturgewalten.<br />
Sie stärkten sein persönliches Selbstwertgefühl<br />
und, was besonders wichtig war, sie stabilisierten seine narzisstische<br />
Homöostase (sein psychisches Gleichgewicht)<br />
und sicherten ihm so seine Lebensfähigkeit, denn, wie uns<br />
die Psychologie lehrt, kann eine Destabilisierung der narzisstischen<br />
Homöostase lebensbedrohende Folgen für den<br />
Menschen haben. So gesehen, also psychologisch betrachtet,<br />
war die „Gottesidee“ für das Überleben des Menschen,<br />
als ein sich erkennendes Individuum, eine unabdingbare<br />
Notwendigkeit. Oder naturwissenschaftlich<br />
gefragt:<br />
Wären Glaube und<br />
Religion, wie auch immer<br />
geartet, nicht schon längst<br />
ausgestorben und in den<br />
Köpfen der Menschen<br />
wieder verschwunden, hätte<br />
die Spezies Mensch als „Homo religiosus“ nicht einen<br />
wirksamen, evolutionären Lebensvorteil davon? Und das<br />
bis heute?<br />
Philosophischer Kopfzeile Essay<br />
Christen schlagen das Kreuz auf die Stirn, wie hier das Aschenkreuz<br />
als Zeichen der Buße und Vergänglichkeit am Aschermittwoch.<br />
Diesem Gedanken zu folgen, würde aber bedeuten: Gott<br />
ist nur ein vom Menschen selbst „gedachter Gott“. Sozusagen<br />
sein selbst erzeugtes, geistiges Placebo, das ihm hilft,<br />
seine ihm bewusst gewordene hinfällige Existenz überhaupt<br />
ertragen zu können. Schon von Aristoteles ist zu hören:<br />
„Die Vorstellung der Menschen von Göttern entspringt einer<br />
doppelten Quelle: den Erlebnissen der Seele und der<br />
Anschauung der Gestirne.“ Demnach wäre die Frage zu<br />
stellen: Ist die über Jahrtausende hinweg entstandene Vielfalt<br />
schon vergangener und noch existierender Stammes<br />
und Weltreligionen, in den unterschiedlichsten Kulturen<br />
rund um den Globus, in Wirklichkeit nichts anderes, als<br />
eine inhaltlich flexible, der geistigen Entwicklung angepasste,<br />
psychologisch aber notwendige Überlebensstrategie<br />
der Evolution, um menschliches Leben wie das unsrige<br />
auf diesem Planeten überhaupt zu ermöglichen? Das wiederum<br />
hätte zur Folge, dass die biblische Aussage im Alten<br />
Testament „... und Gott erschuf den Menschen nach seinem<br />
Bild, ... Gen.1, 27) gewissermaßen auf den Kopf gestellt<br />
wird, denn es würde bedeuten, nicht Gott erschuf den Menschen<br />
und mit ihm Himmel und Erde, sondern der Mensch<br />
erschuf sich Gott und den Himmel, um mit dem Bild seiner<br />
Selbstreflexion, das ihm seine existenzielle Verworfenheit<br />
und Bedeutungslosigkeit im kosmischen Spiel von Raum<br />
und Zeit vor Augen führt, überhaupt leben zu können. Wie<br />
auch immer es in der Entwicklungsgeschichte<br />
des<br />
Menschen gewesen sein<br />
mag, beim Anblick dieser<br />
von Naturkatastrophen<br />
bedrohten Welt, in all<br />
ihrer Zerrissenheit, mit<br />
ihren Missständen, Ungerechtigkeiten,<br />
Kriegsgebieten und Flüchtlingselend, mit<br />
ihrem millionenfachen menschlichen und tierischen Leid,<br />
scheint mir eines sicher zu sein: „Es muss einen Himmel<br />
geben, damit die Erde keine Hölle wird“. Aber sehen wir<br />
weiter.<br />
Die Vorstellung der Menschen von Göttern<br />
entspringt einer doppelten Quelle:<br />
den Erlebnissen der Seele und der Anschauung<br />
der Gestirne. (Aristoteles)<br />
Die Frage nach Gott, ein zeitloses Streitthema<br />
Die Frage nach der Existenz Gottes ist sicherlich so<br />
alt wie die Menschheit selbst. Wenn man versucht ihr<br />
nachzugehen und etwas genauer fragt, wann eigentlich<br />
ist Religion in die Köpfe der Menschen gekommen und<br />
mit welcher Begründung, verlieren sich sehr schnell die<br />
Spuren im Nebel der über Jahrmillionen dauernden evolutiven<br />
Entwicklungsgeschichte. Mehr als Hypothesen und<br />
Vermutungen vonseiten der Paläonthropologie sind nicht<br />
zu haben. Die Rückschlüsse auf Religiosität unserer Vorfahren<br />
sind sehr dürftig und ihre Begründungen basieren,<br />
abgesehen von Ausgrabungen alter Kultstätten und Höhlenmalereien,<br />
überwiegend auf Funde an und in Begräbnisstätten.<br />
Die gefundenen Grabbeigaben lassen<br />
durchblick 2/<strong>2007</strong> 37