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2007-02

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tieferen Sinn und dauerhaft festen Halt zu<br />

geben. Und er fand sie, diese Kraftquelle,<br />

mithilfe seiner geistigen Fähigkeiten,<br />

insbesondere aber durch die Möglichkeit,<br />

sich selbst zu transzendieren, d. h.<br />

die Grenze seiner sinnlichen Erfahrung<br />

überschreitende Gedanken entwickeln zu<br />

können. Mit dieser geistigen Ausstattung<br />

versehen, schuf sich der Mensch eine<br />

übersinnliche, jenseitige Welt, eine Welt,<br />

die frei ist von erdgebundenen Abhängigkeiten<br />

und endlicher Begrenztheit. Diese<br />

Hoffnung und das Vertrauen auf eine ausgleichende,<br />

überirdische Kraft (Gott) und<br />

eine heile Scheinwelt (Himmel) ohne Leid,<br />

Schmerz und Vergänglichkeit, waren ein<br />

wirksames, psychologisches Gegenmittel<br />

gegen die Folgen einer tiefsitzenden Urangst<br />

gegenüber übermächtigen Naturgewalten.<br />

Sie stärkten sein persönliches Selbstwertgefühl<br />

und, was besonders wichtig war, sie stabilisierten seine narzisstische<br />

Homöostase (sein psychisches Gleichgewicht)<br />

und sicherten ihm so seine Lebensfähigkeit, denn, wie uns<br />

die Psychologie lehrt, kann eine Destabilisierung der narzisstischen<br />

Homöostase lebensbedrohende Folgen für den<br />

Menschen haben. So gesehen, also psychologisch betrachtet,<br />

war die „Gottesidee“ für das Überleben des Menschen,<br />

als ein sich erkennendes Individuum, eine unabdingbare<br />

Notwendigkeit. Oder naturwissenschaftlich<br />

gefragt:<br />

Wären Glaube und<br />

Religion, wie auch immer<br />

geartet, nicht schon längst<br />

ausgestorben und in den<br />

Köpfen der Menschen<br />

wieder verschwunden, hätte<br />

die Spezies Mensch als „Homo religiosus“ nicht einen<br />

wirksamen, evolutionären Lebensvorteil davon? Und das<br />

bis heute?<br />

Philosophischer Kopfzeile Essay<br />

Christen schlagen das Kreuz auf die Stirn, wie hier das Aschenkreuz<br />

als Zeichen der Buße und Vergänglichkeit am Aschermittwoch.<br />

Diesem Gedanken zu folgen, würde aber bedeuten: Gott<br />

ist nur ein vom Menschen selbst „gedachter Gott“. Sozusagen<br />

sein selbst erzeugtes, geistiges Placebo, das ihm hilft,<br />

seine ihm bewusst gewordene hinfällige Existenz überhaupt<br />

ertragen zu können. Schon von Aristoteles ist zu hören:<br />

„Die Vorstellung der Menschen von Göttern entspringt einer<br />

doppelten Quelle: den Erlebnissen der Seele und der<br />

Anschauung der Gestirne.“ Demnach wäre die Frage zu<br />

stellen: Ist die über Jahrtausende hinweg entstandene Vielfalt<br />

schon vergangener und noch existierender Stammes<br />

und Weltreligionen, in den unterschiedlichsten Kulturen<br />

rund um den Globus, in Wirklichkeit nichts anderes, als<br />

eine inhaltlich flexible, der geistigen Entwicklung angepasste,<br />

psychologisch aber notwendige Überlebensstrategie<br />

der Evolution, um menschliches Leben wie das unsrige<br />

auf diesem Planeten überhaupt zu ermöglichen? Das wiederum<br />

hätte zur Folge, dass die biblische Aussage im Alten<br />

Testament „... und Gott erschuf den Menschen nach seinem<br />

Bild, ... Gen.1, 27) gewissermaßen auf den Kopf gestellt<br />

wird, denn es würde bedeuten, nicht Gott erschuf den Menschen<br />

und mit ihm Himmel und Erde, sondern der Mensch<br />

erschuf sich Gott und den Himmel, um mit dem Bild seiner<br />

Selbstreflexion, das ihm seine existenzielle Verworfenheit<br />

und Bedeutungslosigkeit im kosmischen Spiel von Raum<br />

und Zeit vor Augen führt, überhaupt leben zu können. Wie<br />

auch immer es in der Entwicklungsgeschichte<br />

des<br />

Menschen gewesen sein<br />

mag, beim Anblick dieser<br />

von Naturkatastrophen<br />

bedrohten Welt, in all<br />

ihrer Zerrissenheit, mit<br />

ihren Missständen, Ungerechtigkeiten,<br />

Kriegsgebieten und Flüchtlingselend, mit<br />

ihrem millionenfachen menschlichen und tierischen Leid,<br />

scheint mir eines sicher zu sein: „Es muss einen Himmel<br />

geben, damit die Erde keine Hölle wird“. Aber sehen wir<br />

weiter.<br />

Die Vorstellung der Menschen von Göttern<br />

entspringt einer doppelten Quelle:<br />

den Erlebnissen der Seele und der Anschauung<br />

der Gestirne. (Aristoteles)<br />

Die Frage nach Gott, ein zeitloses Streitthema<br />

Die Frage nach der Existenz Gottes ist sicherlich so<br />

alt wie die Menschheit selbst. Wenn man versucht ihr<br />

nachzugehen und etwas genauer fragt, wann eigentlich<br />

ist Religion in die Köpfe der Menschen gekommen und<br />

mit welcher Begründung, verlieren sich sehr schnell die<br />

Spuren im Nebel der über Jahrmillionen dauernden evolutiven<br />

Entwicklungsgeschichte. Mehr als Hypothesen und<br />

Vermutungen vonseiten der Paläonthropologie sind nicht<br />

zu haben. Die Rückschlüsse auf Religiosität unserer Vorfahren<br />

sind sehr dürftig und ihre Begründungen basieren,<br />

abgesehen von Ausgrabungen alter Kultstätten und Höhlenmalereien,<br />

überwiegend auf Funde an und in Begräbnisstätten.<br />

Die gefundenen Grabbeigaben lassen<br />

durchblick 2/<strong>2007</strong> 37

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