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Erotik und Sexualität im Alter – ein Tabubruch – in der<br />
Generation meiner Eltern noch degoutant, abartig, verpönt,<br />
in der klassischen Literatur nicht der Stoff, aus dem die<br />
Träume sind. Dem Thema näherte man sich in den letzten<br />
Jahren zaghaft, so, als befürchte man, damit immer noch<br />
aus der Zeit zu fallen. Die Bücher flossen überwiegend aus<br />
den Federn weiblicher Autoren. Doch langsam hat auch<br />
die literarische Altherrenriege Geschmack gefunden an der<br />
Brisanz des Stoffes. Es ist wie<br />
ein Dammbruch. Vielleicht ist<br />
heute im alternden Menschen<br />
der Mut und die Kraft zur<br />
Wahrhaftigkeit stärker. Das<br />
allgemeine Interesse an der<br />
älteren Generation ist gewachsen,<br />
sowohl in positiver als<br />
auch in negativer Richtung. Sie<br />
hat sich aus ihrem Schattendasein<br />
herauskatapultiert und ist,<br />
neben den Kinderkrippen, auch<br />
vorherrschendes politisches<br />
Kalkül. Die Alten werden in<br />
so viele Nischen gepresst und<br />
bekommen so viele Etiketten<br />
verpasst, dass sie immer mehr<br />
zu Exoten mutieren.<br />
Das vorherrschende Klischee<br />
war immer: Ein Mann<br />
mit angegrauten Schläfen wird<br />
erst richtig interessant, aber eine<br />
Frau mit schütterem grauen<br />
Haar ... Doch liest man Martin<br />
Walser, Botho Strauß oder auch<br />
Hellmuth Karasek, ist es eine<br />
andere Melodie, die in ihren<br />
Bekenntnissen anklingt.<br />
Das Glücksangebot jagt<br />
den Menschen ein Leben lang<br />
durch das seelische Elend,<br />
welches in der stets von neuem<br />
verunglückenden Verständigung mit dem anderen<br />
sein Spiel treibt.<br />
Manchen Frauen tut das Altwerden Gewalt an. Schon<br />
sehr oft hat es mich schmerzhaft berührt, wenn ich auf<br />
Hochzeitsfotos strahlende Schönheiten gesehen habe und<br />
dann vergegenwärtigen musste, was davon übrig geblieben<br />
war. Viele ältere Frauen verweigern sich einer neuerlichen<br />
Liebesbeziehung, nicht nur lustige Witwen. Auf die Frage,<br />
warum, bekommt man oft die nichtssagende Antwort:<br />
Ich möchte nicht noch einmal die Socken eines anderen<br />
Buchbesprechung<br />
Die Klatschmohnfrau<br />
Das hohe Lied der Liebe<br />
„Die Klatschmohnfrau“ 174 Seiten. Erschienen bei<br />
Kiepenheuer und Witsch, Köln, 7,90 EUR<br />
waschen oder: Vielleicht wird er dann bald ein Pflegefall.<br />
Würde nur einmal die Ästhetik erwähnt, dann könnte ich<br />
es nachvollziehen, obwohl ich weiß, dass Ästhetik nicht<br />
gleich Erotik ist. Der körperliche Verfall – es braucht Mut,<br />
um weiterzumachen. Und wenn sich dann noch ein Mann<br />
für einen interessiert, multipliziert sich der Makel und<br />
verlängert den Schatten. Mich spaltet das Alter, ich muss<br />
immer wieder den Bezug zu mir selbst herstellen, zu der<br />
Frau, die ich einmal war.<br />
Und dann kommt so eine<br />
Geschichte daher, federleicht,<br />
anrührend, verführerisch.<br />
Aller Ballast abgeworfen.<br />
Geschrieben hat sie Noëlle<br />
Châtelet. Im Vorspann lese<br />
ich: in Deutschland würde<br />
man den Roman nicht als anspruchsvolle<br />
Literatur werten,<br />
in Frankreich sei das anders.<br />
Der Roman sei stilistisch sicher<br />
geschrieben und sehr<br />
genau durchkomponiert. Die<br />
weibliche Hauptfigur durchlebt<br />
eine Metamorphose. Ohne<br />
kritische Distanzierung werden<br />
Leidenschaft und gelebte<br />
Sexualität als reale und beglückende<br />
Anteile des Lebens<br />
alter Menschen akzeptiert<br />
und als berechtigter Anspruch<br />
gegenüber gesellschaftlichen<br />
Normen gesehen.<br />
Marthe gelingt , was ich einen<br />
Spagat nennen würde. Nun<br />
ist sie der Kindchentyp (nicht<br />
die Kindfrau Lolita), für meine<br />
Empfindungen sehr schlicht.<br />
Sie tritt aus einem Einband<br />
mit üppigem Klatschmohn<br />
hervor. Wir lernen sie kennen<br />
in ihrem Schlafzimmer aus verblichenem Beige. Die<br />
70-Jährige öffnet die Augen, sortiert ihre schmerzenden<br />
Gelenke, seufzt (sie nennt Seufzer Windstöße der Seele),<br />
schlüpft in ihren Morgenmantel aus rotem Satin und begibt<br />
sich in ihre Küche. Sie hat die Erfahrung einer lieblosen,<br />
unlebendigen Ehe mit Edmond hinter sich und ist<br />
seit zwanzig Jahren Witwe. Da gibt es einen Sohn und eine<br />
Tochter und Enkelkinder. Sie existiert eigentlich nur, es ist<br />
ein eintöniges Leben ohne jegliche Gelüste oder Ambivalenzen<br />
bis zu dem schicksalhaften Moment, in dem Felix,<br />
der Mann mit den 1000 Halstüchern, und sein Hund,<br />
22 durchblick 2/<strong>2007</strong>