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2007-02

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Erotik und Sexualität im Alter – ein Tabubruch – in der<br />

Generation meiner Eltern noch degoutant, abartig, verpönt,<br />

in der klassischen Literatur nicht der Stoff, aus dem die<br />

Träume sind. Dem Thema näherte man sich in den letzten<br />

Jahren zaghaft, so, als befürchte man, damit immer noch<br />

aus der Zeit zu fallen. Die Bücher flossen überwiegend aus<br />

den Federn weiblicher Autoren. Doch langsam hat auch<br />

die literarische Altherrenriege Geschmack gefunden an der<br />

Brisanz des Stoffes. Es ist wie<br />

ein Dammbruch. Vielleicht ist<br />

heute im alternden Menschen<br />

der Mut und die Kraft zur<br />

Wahrhaftigkeit stärker. Das<br />

allgemeine Interesse an der<br />

älteren Generation ist gewachsen,<br />

sowohl in positiver als<br />

auch in negativer Richtung. Sie<br />

hat sich aus ihrem Schattendasein<br />

herauskatapultiert und ist,<br />

neben den Kinderkrippen, auch<br />

vorherrschendes politisches<br />

Kalkül. Die Alten werden in<br />

so viele Nischen gepresst und<br />

bekommen so viele Etiketten<br />

verpasst, dass sie immer mehr<br />

zu Exoten mutieren.<br />

Das vorherrschende Klischee<br />

war immer: Ein Mann<br />

mit angegrauten Schläfen wird<br />

erst richtig interessant, aber eine<br />

Frau mit schütterem grauen<br />

Haar ... Doch liest man Martin<br />

Walser, Botho Strauß oder auch<br />

Hellmuth Karasek, ist es eine<br />

andere Melodie, die in ihren<br />

Bekenntnissen anklingt.<br />

Das Glücksangebot jagt<br />

den Menschen ein Leben lang<br />

durch das seelische Elend,<br />

welches in der stets von neuem<br />

verunglückenden Verständigung mit dem anderen<br />

sein Spiel treibt.<br />

Manchen Frauen tut das Altwerden Gewalt an. Schon<br />

sehr oft hat es mich schmerzhaft berührt, wenn ich auf<br />

Hochzeitsfotos strahlende Schönheiten gesehen habe und<br />

dann vergegenwärtigen musste, was davon übrig geblieben<br />

war. Viele ältere Frauen verweigern sich einer neuerlichen<br />

Liebesbeziehung, nicht nur lustige Witwen. Auf die Frage,<br />

warum, bekommt man oft die nichtssagende Antwort:<br />

Ich möchte nicht noch einmal die Socken eines anderen<br />

Buchbesprechung<br />

Die Klatschmohnfrau<br />

Das hohe Lied der Liebe<br />

„Die Klatschmohnfrau“ 174 Seiten. Erschienen bei<br />

Kiepenheuer und Witsch, Köln, 7,90 EUR<br />

waschen oder: Vielleicht wird er dann bald ein Pflegefall.<br />

Würde nur einmal die Ästhetik erwähnt, dann könnte ich<br />

es nachvollziehen, obwohl ich weiß, dass Ästhetik nicht<br />

gleich Erotik ist. Der körperliche Verfall – es braucht Mut,<br />

um weiterzumachen. Und wenn sich dann noch ein Mann<br />

für einen interessiert, multipliziert sich der Makel und<br />

verlängert den Schatten. Mich spaltet das Alter, ich muss<br />

immer wieder den Bezug zu mir selbst herstellen, zu der<br />

Frau, die ich einmal war.<br />

Und dann kommt so eine<br />

Geschichte daher, federleicht,<br />

anrührend, verführerisch.<br />

Aller Ballast abgeworfen.<br />

Geschrieben hat sie Noëlle<br />

Châtelet. Im Vorspann lese<br />

ich: in Deutschland würde<br />

man den Roman nicht als anspruchsvolle<br />

Literatur werten,<br />

in Frankreich sei das anders.<br />

Der Roman sei stilistisch sicher<br />

geschrieben und sehr<br />

genau durchkomponiert. Die<br />

weibliche Hauptfigur durchlebt<br />

eine Metamorphose. Ohne<br />

kritische Distanzierung werden<br />

Leidenschaft und gelebte<br />

Sexualität als reale und beglückende<br />

Anteile des Lebens<br />

alter Menschen akzeptiert<br />

und als berechtigter Anspruch<br />

gegenüber gesellschaftlichen<br />

Normen gesehen.<br />

Marthe gelingt , was ich einen<br />

Spagat nennen würde. Nun<br />

ist sie der Kindchentyp (nicht<br />

die Kindfrau Lolita), für meine<br />

Empfindungen sehr schlicht.<br />

Sie tritt aus einem Einband<br />

mit üppigem Klatschmohn<br />

hervor. Wir lernen sie kennen<br />

in ihrem Schlafzimmer aus verblichenem Beige. Die<br />

70-Jährige öffnet die Augen, sortiert ihre schmerzenden<br />

Gelenke, seufzt (sie nennt Seufzer Windstöße der Seele),<br />

schlüpft in ihren Morgenmantel aus rotem Satin und begibt<br />

sich in ihre Küche. Sie hat die Erfahrung einer lieblosen,<br />

unlebendigen Ehe mit Edmond hinter sich und ist<br />

seit zwanzig Jahren Witwe. Da gibt es einen Sohn und eine<br />

Tochter und Enkelkinder. Sie existiert eigentlich nur, es ist<br />

ein eintöniges Leben ohne jegliche Gelüste oder Ambivalenzen<br />

bis zu dem schicksalhaften Moment, in dem Felix,<br />

der Mann mit den 1000 Halstüchern, und sein Hund,<br />

22 durchblick 2/<strong>2007</strong>

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