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„Barbier von Sevilla“ wird gegeben. Er trägt den granatfarbenen<br />
Schal mit den Kaschmirmustern. Es ist ein überwältigendes<br />
Erlebnis für sie. Rosinas Hauch schürt eine Glut<br />
in Marthe, die seit ihrer Jugend in ihr schwelt und endlich<br />
zum Ausdruck gekommen ist. Er<br />
überhäuft sie mit Geschenken. Sie<br />
bekommt ihren ersten Liebesbrief.<br />
Es kündigt sich ein dreitägiges Zuneigungsfieber<br />
an. Während der<br />
Rekonvaleszenz schreitet sie über<br />
die Boulevards, erlebt Paris völlig<br />
neu. Sie trifft ihr Alter Ego, eine junge Frau, die eine Bluse<br />
in dem Rot des Klatschmohns trägt, ähnlich wie die eigene,<br />
die sie vor ihrer Verlobung so geliebt hat. Klatschmohn, so<br />
sagt man, sei die Blume des Begehrens.<br />
Diese Begegnung ermutigt sie, einer Einladung Felix in<br />
sein Atelier zu folgen. Der Hund will wieder einmal nicht<br />
fressen. Felix möchte sie malen. Sie sitzen sich schutzlos<br />
gegenüber in dieser späten Stunde des Abends, ja, des Lebens,<br />
er ohne Halstuch, sie ohne Hut. Marthe beschließt,<br />
ihr Schlafzimmer zu verändern. Beigetöne verschwinden<br />
irgendwann ganz und sie mit ihnen. Sie entscheidet sich<br />
für einen perlmutglänzenden Stoff, der mit leuchtend roten<br />
Blumen übersät ist.<br />
Marthe schlägt Felix vor, ihm ihr neues Schlafzimmer<br />
zu zeigen. Trotz ihrer Verliebtheit bereut Marthe nicht,<br />
Buchbesprechung<br />
Das Glücksangebot jagt den<br />
Menschen ein Leben lang<br />
durch das seelische Elend.<br />
eine alte Frau zu sein. Die Prüfungen des Alterns, die ein<br />
wenig schmerzhaft sind, hat sie hinter sich. Die Schlacht<br />
ihres Körpers – die Zeit hat mit unerbittlicher Hand gearbeitet<br />
– hat sie verloren, aber, sie wird begehrt. Ich habe<br />
die vielen Spiegel in meiner Wohnung<br />
geliebt. Nun möchte ich sie am liebsten<br />
alle verhängen. Auch käme mir<br />
der Brauch, Schleier tragen zu dürfen,<br />
sehr gelegen. Sie sitzt Model und stellt<br />
Felix ihrer Familie vor. Einmal erspäht<br />
sie aus einem Taxi heraus auf der anderen<br />
Straßenseite eine Frau, die sie an die Klatschmohnfrau<br />
erinnert. Sie hätte es beschwören können, wenn diese<br />
Frau nicht einen straffen Knoten und ein Kleid aus blauer<br />
Kreppseide getragen hätte, eines, wie Marthe es eben abgelegt<br />
hatte.<br />
Sie behalten etwas mehr Haltung in ihrem Klatschmohnzimmer.<br />
Doch es kommt die Nacht in Felix Atelier,<br />
wo alles nicht mehr zählt, weder die Beschwerden des<br />
Alters, noch die Medikamente, weder die schlafstörende<br />
Hüfte noch das aufgelöste Haar. Vorerst letzter Höhepunkt<br />
ist eine Reise nach Sevilla. Sie war nur einmal in ihrem Leben<br />
von zu Hause weg, in Boulogne-sur-mer. Marthe trägt<br />
ein neues Kleid, natürlich mit roten Motiven auf cremefarbenem<br />
Untergrund, eine dazu passende Handtasche, darauf<br />
abgestimmte Schuhe und einen Strohhut. Erika Krumm<br />
24 durchblick 2/<strong>2007</strong>