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2007-02

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„Barbier von Sevilla“ wird gegeben. Er trägt den granatfarbenen<br />

Schal mit den Kaschmirmustern. Es ist ein überwältigendes<br />

Erlebnis für sie. Rosinas Hauch schürt eine Glut<br />

in Marthe, die seit ihrer Jugend in ihr schwelt und endlich<br />

zum Ausdruck gekommen ist. Er<br />

überhäuft sie mit Geschenken. Sie<br />

bekommt ihren ersten Liebesbrief.<br />

Es kündigt sich ein dreitägiges Zuneigungsfieber<br />

an. Während der<br />

Rekonvaleszenz schreitet sie über<br />

die Boulevards, erlebt Paris völlig<br />

neu. Sie trifft ihr Alter Ego, eine junge Frau, die eine Bluse<br />

in dem Rot des Klatschmohns trägt, ähnlich wie die eigene,<br />

die sie vor ihrer Verlobung so geliebt hat. Klatschmohn, so<br />

sagt man, sei die Blume des Begehrens.<br />

Diese Begegnung ermutigt sie, einer Einladung Felix in<br />

sein Atelier zu folgen. Der Hund will wieder einmal nicht<br />

fressen. Felix möchte sie malen. Sie sitzen sich schutzlos<br />

gegenüber in dieser späten Stunde des Abends, ja, des Lebens,<br />

er ohne Halstuch, sie ohne Hut. Marthe beschließt,<br />

ihr Schlafzimmer zu verändern. Beigetöne verschwinden<br />

irgendwann ganz und sie mit ihnen. Sie entscheidet sich<br />

für einen perlmutglänzenden Stoff, der mit leuchtend roten<br />

Blumen übersät ist.<br />

Marthe schlägt Felix vor, ihm ihr neues Schlafzimmer<br />

zu zeigen. Trotz ihrer Verliebtheit bereut Marthe nicht,<br />

Buchbesprechung<br />

Das Glücksangebot jagt den<br />

Menschen ein Leben lang<br />

durch das seelische Elend.<br />

eine alte Frau zu sein. Die Prüfungen des Alterns, die ein<br />

wenig schmerzhaft sind, hat sie hinter sich. Die Schlacht<br />

ihres Körpers – die Zeit hat mit unerbittlicher Hand gearbeitet<br />

– hat sie verloren, aber, sie wird begehrt. Ich habe<br />

die vielen Spiegel in meiner Wohnung<br />

geliebt. Nun möchte ich sie am liebsten<br />

alle verhängen. Auch käme mir<br />

der Brauch, Schleier tragen zu dürfen,<br />

sehr gelegen. Sie sitzt Model und stellt<br />

Felix ihrer Familie vor. Einmal erspäht<br />

sie aus einem Taxi heraus auf der anderen<br />

Straßenseite eine Frau, die sie an die Klatschmohnfrau<br />

erinnert. Sie hätte es beschwören können, wenn diese<br />

Frau nicht einen straffen Knoten und ein Kleid aus blauer<br />

Kreppseide getragen hätte, eines, wie Marthe es eben abgelegt<br />

hatte.<br />

Sie behalten etwas mehr Haltung in ihrem Klatschmohnzimmer.<br />

Doch es kommt die Nacht in Felix Atelier,<br />

wo alles nicht mehr zählt, weder die Beschwerden des<br />

Alters, noch die Medikamente, weder die schlafstörende<br />

Hüfte noch das aufgelöste Haar. Vorerst letzter Höhepunkt<br />

ist eine Reise nach Sevilla. Sie war nur einmal in ihrem Leben<br />

von zu Hause weg, in Boulogne-sur-mer. Marthe trägt<br />

ein neues Kleid, natürlich mit roten Motiven auf cremefarbenem<br />

Untergrund, eine dazu passende Handtasche, darauf<br />

abgestimmte Schuhe und einen Strohhut. Erika Krumm<br />

24 durchblick 2/<strong>2007</strong>

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