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2007-02

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Philosophischer Kopfzeile Essay<br />

Gott in der Falle der Hirnforscher? 1<br />

Gedanken über die Erkenntnisse der modernen Hirnforschung (Teil 2)<br />

gleichnamigen Buch vermutet, oder ein „Gottes-Modul“<br />

im Gehirn, ein Begriff, den der amerikanische Neuropsychologe<br />

Vilaynur Ramachandran geprägt hat?<br />

Wie entsteht<br />

Glaube in<br />

unserem Gehirn?<br />

Sie erinnern sich? Im letzten durchblick (1/<strong>2007</strong>) bin<br />

ich in meinem Beitrag der beachtenswerten Frage nachgegangen,<br />

sind das ICH und der freie Wille des Menschen,<br />

wie von Naturwissenschaftlern aufgrund der Erkenntnisse<br />

der modernen Hirnforschung behauptet wird, nur eine<br />

Illusion?<br />

Heute nun möchte ich mich, wie angekündigt, der noch<br />

offenen und nicht weniger bedenkenswerten zweiten Frage<br />

zuwenden, die ebenfalls durch die Hirnforschung neu aufgeworfen<br />

wird: Ist Gott nur ein Hirngespinst in den Köpfen<br />

der Menschen? Bevor ich diesem Gedanken jedoch etwas<br />

nachgehe, erscheint es mir sinnvoll zu sein, zunächst einmal<br />

die Frage selbst ein wenig zu betrachten, denn mit ihr<br />

schwingt eine zusätzliche spannende Frage mit: Warum<br />

eigentlich ist der Mensch religiös? Bietet religiöser Glaube<br />

der Spezies Mensch Lebensvorteile und wenn ja, welche<br />

sind das? Immerhin bezeichnen sich über 90 % aller<br />

Menschen auf unserer Erde, und das sind in der Minute,<br />

in der ich diese Zeilen schreibe und einen Blick auf die<br />

Weltbevölkerungsuhr im Internet werfe, insgesamt stattliche<br />

6.607.284.700 menschliche Wesen, die in irgendeiner<br />

Form religiös sind. Dafür muss es Gründe geben. Aber was<br />

sind die Ursachen und wo liegen die Wurzeln für die Religiosität<br />

des Menschen? Tiere kennen (und brauchen) keine<br />

Religion. Gibt es im Menschen eine biologische Veranlagung<br />

für Religion? So etwas wie ein „Gottes-Gen“, wie der<br />

amerikanische Molekularbiologe Dean Hamer in seinem<br />

Warum ist der Mensch religiös?<br />

(ein völlig unprofessioneller Erklärungsversuch)<br />

Der Mensch ist ein „Mängelwesen, ein Begriff, den der<br />

Philosoph und Soziologe Arnold Gehlen (1904–1976) im<br />

organischen Vergleich mit den Tieren geprägt hat. Sein<br />

Überleben verdankt er nicht seiner biologischen Organund<br />

Instinktausstattung, da sind ihm die Tiere in vielen Belangen<br />

haushoch überlegen, sondern in erster Linie seinen<br />

geistigen Fähigkeiten. Zu ihnen zählen neben der Sprachfähigkeit<br />

u. a. die Befähigung, abstrakt und in Begriffen denken<br />

zu können, eine Leistung, die es ihm ermöglicht, sich<br />

an veränderte Lebensbedingungen anzupassen. Darüber<br />

hinaus ist er in der Lage, Selbstbewusstsein zu entwickeln<br />

und mit ihm das Potenzial zur Selbstreflexion. Zu diesem<br />

geistigen Vermögen, das sich im Evolutionsprozess über<br />

Jahrtausende hinweg entwickelt hat, sind, nach heutigem<br />

Wissen, nur der Mensch und in schwächerer Form höher<br />

entwickelte Primaten fähig. Aber genau diese besondere<br />

„Begabung“ zur Selbstreflexion, im Zusammenspiel mit<br />

seinem „Talent“, abstrakte Gedanken zu entfalten, könnte<br />

der Auslöser für die Entwicklung religiöser Gedanken gewesen<br />

sein. Warum? Weil diese „Sonderausstattung“ im<br />

Menschen „geistige Nebenwirkungen“ hervorriefen.<br />

Durch diese neue Fähigkeit, sich selbst und seine Existenz<br />

zum Gegenstand seiner Gedanken machen zu können,<br />

sah und erfuhr sich der Mensch plötzlich als ein unvollkommenes<br />

und in seiner Existenz bedrohtes, endliches Wesen.<br />

Dieses Selbstbildnis seiner körperlichen Bedürftigkeit und<br />

geistigen Verlorenheit löste in ihm tiefe Unruhe und existenzielle<br />

Ängste aus und ließ ihn nach dem „Warum“ seiner<br />

persönlichen Existenz fragen. Eine sehr treffende, symbolische<br />

Aussage über diese erkannte eigene Zerbrechlichkeit<br />

finden wir im Alten Testament in Gen. 3, 7 wo es heißt:<br />

„... da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten, dass<br />

sie nackt waren ...“. Unabhängig von jeglicher theologischer<br />

Interpretation dieses Textes, diese gespürte, psychologische<br />

Nacktheit, diese bewusst gewordene archaische Todesangst<br />

war es, die den Menschen Ausschau halten ließ nach einer<br />

Lösung, das Bewusstsein seiner vergänglichen Existenz<br />

überhaupt ertragen zu können. Er suchte nach einer wärmenden<br />

Kraftquelle für seine erkrankte, nackte Seele, um<br />

durch sie gespeist, seinem mühseligen Dasein einen<br />

Allgemeine Bilderläuterung<br />

Die Fragen nach Glaube und Religion werden von uns Menschen unmittelbar hinter der Stirn gestellt.<br />

Dort im Stirnhirn (Präfrontale Cortex) befinden sich die sogenannten „Neuronen der Moral“. Ist das der<br />

Grund, warum wir in den fünf großen Weltreligionen symbolische Zeichen auf der Stirn finden?<br />

36 durchblick 2/<strong>2007</strong>

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