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2007-02

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Reisen<br />

Himalaya nicht zu hoch für den Rollstuhl<br />

und öffentlichen Verkehrsmitteln. Nach weiteren sieben<br />

Jahren folgte dann die in drei Monaten erkämpfte Strecke<br />

auf 2700 Kilometern am Flusslauf bis hoch zum Himalaja<br />

von Kalkutta bis zur Quelle des heiligen Stroms.<br />

Der Plan, dem Ganges konsequent „mit Handbetrieb“<br />

zu folgen, brachte zwangsweise mit sich, dass der Rollstuhl<br />

auf dieser Route die öffentlichen Verkehrsmittel ersetzen<br />

musste. Dafür wurde er umfunktioniert in ein Allzweck-Reisemobil,<br />

extrem stabil, aber trotzdem leicht und faltbar. Mit<br />

dem roten, peppigen und schnittigen Flitzer will Pröve sich<br />

erkennbar distanzieren von Depression und Mutlosigkeit.<br />

Andreas Pröve mit dem Rollstuhl unterwegs,<br />

2700 km von der Mündung bis zur Quelle des Ganges.<br />

Andreas Pröve, Fotograf, Buchautor und Journalist, der<br />

sich den Traum erfüllte, Indien für sich zu entdecken und<br />

hoch im Himalaja Wasser aus der Quelle des Ganges zu<br />

schöpfen, ist querschnittsgelähmt. Er verunglückte 1981<br />

mit seiner Yamaha auf dem Nürburgring. Den Himalaja<br />

bezwang er mit seinem handbetriebenen Rollstuhl.<br />

Beim Kulturforum in Netphen startete der von Fernsehen<br />

und Presse bekannte Reporter im März seine Westfalentournee<br />

mit der faszinierenden Farb-Diaschau „Mein<br />

Traum von Indien“.<br />

In seinem gleichnamigen Buch schildert der Autor unsentimental<br />

und mit großer Erzählkunst neben dem Traum,<br />

den er sich erfüllte, den Albtraum, der vorangegangen war:<br />

„Ich lag hinter der Leitplanke auf dem Rücken und dachte:<br />

wie gut, du bist ja noch da“, beschreibt er sein Gefühl an<br />

dem Tag, der sein Leben grundlegend verändern sollte. „Die<br />

Beine waren weg, ich fühlte sie nicht mehr.“ Der Chefarzt<br />

im Krankenhaus teilte dem Patienten mit, was letzte Hoffnungen<br />

zerstören musste: „Gestern wurde ihr Rückgrat<br />

gestaucht, drei Wirbel sind gebrochen, die Nerven in der<br />

Wirbelsäule getrennt. Sie sind querschnittsgelähmt.“<br />

Ein „Handbike“, das vor den Rolli geschnallt wird, verwandelt<br />

das Gefährt zum Dreirad nach Maß, mit Frontantrieb<br />

und Gangschaltung, bewegt von einer Handkurbel.<br />

Auf engstem Raum, mit zehn Kilo Gepäck, ohne Bremse<br />

und Schutzblech, ist das Rollmobil ein einzigartiges in<br />

zahllosen Abenteuern und Gefahren bewährtes Zuhause,<br />

mit Reparaturwerkstatt, Miniküche und Plumpsklo.<br />

Die Reiseroute führt – im Fluge – über Belgrad und<br />

Istanbul, den Iran und Pakistan nach Kalkutta, der Stadt mit<br />

der größten Flussmündung der Welt. Mit dem akribischen<br />

Blick für das Wesentliche schöpft Pröve seine prallen Szenen<br />

aus dem vollen indischen Leben. Er beschreibt – oft mit<br />

hintergründigem Humor – ein indisches Stimmungsbild,<br />

das die Beschaffenheit des Landes und seiner Menschen,<br />

denen er ganz nahkommt, fast greifbar lebendig macht.<br />

Schockierende Armut wird immer wieder überglänzt von<br />

überschäumender Lebensfreude. Die Bewohner des mit<br />

kärglichen Lehm- und Holzhütten dicht besiedelten Umlands<br />

lieben und verehren den mit Umweltgiften verseuchten<br />

Fluss. Sie sind mit seinem Boden verwurzelt, und sie<br />

glauben zugleich an seine alles bezwingende Heilkraft.<br />

Das Gotteswort kommt da ins Gedächtnis. „Macht Euch<br />

die Erde untertan.“ Was Europäer in ihrer durch und durch<br />

zivilisierten Welt auf ihrem Teil der Erde mit ihren<br />

Ungebrochen bewies Andreas Pröve, dass er Rückgrat<br />

bewahrt hatte. „Es kommt im Leben nicht drauf an, ein<br />

gutes Blatt auf der Hand zu haben, sondern, mit schlechten<br />

Karten gut zu spielen“, sagte er im Gespräch mit dem<br />

durchblick. „Da war die Lähmung und der Rollstuhl, dagegengesetzt<br />

der ganz starke Wille, Barrieren zu überwinden<br />

und zu beweisen, es geht – jetzt gerade und trotz alledem.“<br />

Das ist der Appell des Überlebenskünstlers an Behinderte,<br />

die nicht aufgeben wollen: Träume noch verwirklichen,<br />

auch wenn alle Pläne durch Unfälle, Krankheiten, andere<br />

Schicksalsschläge – oder Nachlassen der Kräfte bei älteren<br />

Menschen – aus dem Gleichgewicht geraten sind. Die<br />

Quellen zur Kraft müssen dabei nicht unbedingt ganz oben<br />

im Himalaja entspringen. Drei Jahre nach dem Unfall brach<br />

Pröve zu seiner ersten Indienreise auf, mit dem Rollstuhl<br />

durchblick 2/<strong>2007</strong> 13

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