Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Reisen<br />
Himalaya nicht zu hoch für den Rollstuhl<br />
und öffentlichen Verkehrsmitteln. Nach weiteren sieben<br />
Jahren folgte dann die in drei Monaten erkämpfte Strecke<br />
auf 2700 Kilometern am Flusslauf bis hoch zum Himalaja<br />
von Kalkutta bis zur Quelle des heiligen Stroms.<br />
Der Plan, dem Ganges konsequent „mit Handbetrieb“<br />
zu folgen, brachte zwangsweise mit sich, dass der Rollstuhl<br />
auf dieser Route die öffentlichen Verkehrsmittel ersetzen<br />
musste. Dafür wurde er umfunktioniert in ein Allzweck-Reisemobil,<br />
extrem stabil, aber trotzdem leicht und faltbar. Mit<br />
dem roten, peppigen und schnittigen Flitzer will Pröve sich<br />
erkennbar distanzieren von Depression und Mutlosigkeit.<br />
Andreas Pröve mit dem Rollstuhl unterwegs,<br />
2700 km von der Mündung bis zur Quelle des Ganges.<br />
Andreas Pröve, Fotograf, Buchautor und Journalist, der<br />
sich den Traum erfüllte, Indien für sich zu entdecken und<br />
hoch im Himalaja Wasser aus der Quelle des Ganges zu<br />
schöpfen, ist querschnittsgelähmt. Er verunglückte 1981<br />
mit seiner Yamaha auf dem Nürburgring. Den Himalaja<br />
bezwang er mit seinem handbetriebenen Rollstuhl.<br />
Beim Kulturforum in Netphen startete der von Fernsehen<br />
und Presse bekannte Reporter im März seine Westfalentournee<br />
mit der faszinierenden Farb-Diaschau „Mein<br />
Traum von Indien“.<br />
In seinem gleichnamigen Buch schildert der Autor unsentimental<br />
und mit großer Erzählkunst neben dem Traum,<br />
den er sich erfüllte, den Albtraum, der vorangegangen war:<br />
„Ich lag hinter der Leitplanke auf dem Rücken und dachte:<br />
wie gut, du bist ja noch da“, beschreibt er sein Gefühl an<br />
dem Tag, der sein Leben grundlegend verändern sollte. „Die<br />
Beine waren weg, ich fühlte sie nicht mehr.“ Der Chefarzt<br />
im Krankenhaus teilte dem Patienten mit, was letzte Hoffnungen<br />
zerstören musste: „Gestern wurde ihr Rückgrat<br />
gestaucht, drei Wirbel sind gebrochen, die Nerven in der<br />
Wirbelsäule getrennt. Sie sind querschnittsgelähmt.“<br />
Ein „Handbike“, das vor den Rolli geschnallt wird, verwandelt<br />
das Gefährt zum Dreirad nach Maß, mit Frontantrieb<br />
und Gangschaltung, bewegt von einer Handkurbel.<br />
Auf engstem Raum, mit zehn Kilo Gepäck, ohne Bremse<br />
und Schutzblech, ist das Rollmobil ein einzigartiges in<br />
zahllosen Abenteuern und Gefahren bewährtes Zuhause,<br />
mit Reparaturwerkstatt, Miniküche und Plumpsklo.<br />
Die Reiseroute führt – im Fluge – über Belgrad und<br />
Istanbul, den Iran und Pakistan nach Kalkutta, der Stadt mit<br />
der größten Flussmündung der Welt. Mit dem akribischen<br />
Blick für das Wesentliche schöpft Pröve seine prallen Szenen<br />
aus dem vollen indischen Leben. Er beschreibt – oft mit<br />
hintergründigem Humor – ein indisches Stimmungsbild,<br />
das die Beschaffenheit des Landes und seiner Menschen,<br />
denen er ganz nahkommt, fast greifbar lebendig macht.<br />
Schockierende Armut wird immer wieder überglänzt von<br />
überschäumender Lebensfreude. Die Bewohner des mit<br />
kärglichen Lehm- und Holzhütten dicht besiedelten Umlands<br />
lieben und verehren den mit Umweltgiften verseuchten<br />
Fluss. Sie sind mit seinem Boden verwurzelt, und sie<br />
glauben zugleich an seine alles bezwingende Heilkraft.<br />
Das Gotteswort kommt da ins Gedächtnis. „Macht Euch<br />
die Erde untertan.“ Was Europäer in ihrer durch und durch<br />
zivilisierten Welt auf ihrem Teil der Erde mit ihren<br />
Ungebrochen bewies Andreas Pröve, dass er Rückgrat<br />
bewahrt hatte. „Es kommt im Leben nicht drauf an, ein<br />
gutes Blatt auf der Hand zu haben, sondern, mit schlechten<br />
Karten gut zu spielen“, sagte er im Gespräch mit dem<br />
durchblick. „Da war die Lähmung und der Rollstuhl, dagegengesetzt<br />
der ganz starke Wille, Barrieren zu überwinden<br />
und zu beweisen, es geht – jetzt gerade und trotz alledem.“<br />
Das ist der Appell des Überlebenskünstlers an Behinderte,<br />
die nicht aufgeben wollen: Träume noch verwirklichen,<br />
auch wenn alle Pläne durch Unfälle, Krankheiten, andere<br />
Schicksalsschläge – oder Nachlassen der Kräfte bei älteren<br />
Menschen – aus dem Gleichgewicht geraten sind. Die<br />
Quellen zur Kraft müssen dabei nicht unbedingt ganz oben<br />
im Himalaja entspringen. Drei Jahre nach dem Unfall brach<br />
Pröve zu seiner ersten Indienreise auf, mit dem Rollstuhl<br />
durchblick 2/<strong>2007</strong> 13