GesteinsPerspektiven 01/19
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REIFEN & REIFENSCHUTZ<br />
INTERVIEW Im Zeichen des Löwenzahns<br />
Fortschritt im Verborgenen<br />
Reifen fristen meist ein Randdasein, wenn es um technische<br />
Entwicklungen im Fahrzeugbereich geht. Allerdings<br />
sind sie von eminenter Wichtigkeit für Fahrverhalten,<br />
Sicherheit und in der Summe die Effizienz eines<br />
Fahrzeugs. Da machen die Pneus im EM-/OTR-Segment<br />
keine Ausnahme. Die letzte revolutionäre Entwicklung<br />
war vor Jahrzehnten der Übergang vom Diagonalreifen<br />
zum Radialreifen nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg. Dennoch ist die Technik natürlich nicht<br />
stehen geblieben. So wird unter anderem kontinuierlich<br />
an Gummimischungen geforscht, die auch und<br />
gerade im EM-Segment wesentlichen Einfluss auf die<br />
Gesamtheit der Produktmerkmale haben.<br />
Beim Thema Gummi können bemerkenswerte Fortschritte<br />
vermeldet werden. So hat Continental kürzlich<br />
in Anklam (Mecklenburg-Vorpommern) nach vier Jahren<br />
Vorbereitung und Planung das Forschungs- und Versuchslabor<br />
„Taraxagum Lab Anklam“ eröffnet. Dessen<br />
Aufgabe klingt ebenso kurios wie verwegen: Es geht um<br />
die Herstellung von Reifen, bei denen wesentliche Bestandteile<br />
des Naturkautschuks durch gewöhnlichen<br />
Löwenzahn (Taraxacum) – also durch Pusteblumen –<br />
ersetzt werden sollen. Bereits seit 2006 arbeitet Continental<br />
zusammen mit dem Institut für Biotechnologie<br />
der Pflanzen an der Westfälischen Wilhelms-Universität<br />
Münster sowie dem Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie<br />
und Angewandte Ökologie IME in Münster und<br />
Aachen an der Idee, den benötigten Naturkautschuk in<br />
großen Mengen aus Löwenzahn zu gewinnen. Dass der<br />
Hersteller es damit durchaus ernst meint, zeigt die Tatsache,<br />
dass in der Forschungseinrichtung Anklam nicht<br />
weniger als 20 Agrarwissenschaftler, Chemiker und Produktionstechniker<br />
den Anbau der Pflanzen vor Ort begleiten<br />
sowie die Weiterverarbeitung entwickeln. Derzeit<br />
bauen fünf Landwirte nach Unternehmensangaben auf<br />
einer Fläche von 30 ha den besonders geeigneten Russischen<br />
Löwenzahn an. Langfristig soll die Anbaufläche<br />
auf 20.000 ha gesteigert werden. Insgesamt hat Continental<br />
nach eigenen Angaben etwa 35 Mio. Euro in das<br />
Projekt investiert. Die ersten Autoreifen könnten danach<br />
in fünf Jahren auf den Markt kommen. Der Hersteller<br />
sieht das Engagement als nachhaltigen Versuch, eine<br />
wichtige Alternative und Ergänzung zu Naturkautschuk<br />
aus den Tropen zu schaffen, um den global steigenden<br />
Bedarf auf umweltverträgliche und verlässliche Weise<br />
zu decken. Gleichzeitig stellt das Taraxacum-Projekt ein<br />
herausragendes Beispiel für das Zusammenspiel von<br />
Spitzenforschung und Industrie dar. Für GP ein Anlass,<br />
beim Projektträger Continental nachzufragen, wie sich<br />
Strategie und Zukunftsvorstellungen im Nutzfahrzeug-/<br />
EM-Segment auswirken könnten. <br />
(bwi)<br />
CHRISTIAN MEINERS leitet seit 2<strong>01</strong>4 die Forschung und Entwicklung<br />
für OTR mit einem Schwerpunkt auf dem EM-Segment.<br />
Foto: Continental<br />
GP: Welche Rolle spielen neue Reifenwerkstoffe in der<br />
derzeitigen Produktentwicklung?<br />
Christian Meiners: Heute fordern Anwender zunehmend eine<br />
nachweisbare Nachhaltigkeit von Produkten, die aber natürlich<br />
nicht auf Kosten der effizienten Einsatztauglichkeit gehen<br />
darf. Zudem müssen wir als Unternehmen auch wirtschaftlich<br />
wettbewerbsfähige Produkte auf den Markt bringen. Dieser<br />
komplexen Herausforderung stellt sich Continental schon<br />
aktuell mit der Verwendung recycelter Materialien. Derzeit<br />
sind das aus Altreifen gewonnene Komponenten, die bereits<br />
erfolgreich einsetzt werden. Das fließt ein in die Entwicklung<br />
neuer Materialien von Gummimischungen, weil sich die Eigenschaften<br />
von recyceltem Kautschuk meist stark von Naturkautschuk<br />
unterscheiden. Ähnliches gilt auch bei den<br />
Rußen.<br />
Wie werden recycelte Werkstoffe konkret eingesetzt und<br />
wird sich Kau tschuk aus Löwenzahn in absehbarer Zeit<br />
auch in Produkten im EM-Segment finden?<br />
Wir müssen natürlich die Merkmale des Gesamtproduktes<br />
erhalten. Da macht die Einbeziehung von recycelten<br />
Materialien keinen Unterschied zur potenziellen Verwendung<br />
von alternativem Kautschuk aus Löwenzahn. Daher<br />
finden sich Recyclingstoffe derzeit eher im Karkassenbereich<br />
und noch weniger in den Laufflächensegmenten.<br />
Hier sind die Zielkonflikte noch zu groß, um Dauerbelast<br />
GESTEINS PERSPEKTIVEN 1/2<strong>01</strong>9