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Ich nehme heuer meine zweite Tour<br />
de France in Angriff und das gleich in<br />
einer sehr verantwortungsvollen Position.<br />
Mit meinem Kollegen und Freund<br />
Emanuel Buchmann teile ich mir bei<br />
unserem Team Bora-hansgrohe die Kapitänsrolle,<br />
wir sollen auf die Gesamtwertung<br />
fahren. Dabei ist mein persönliches<br />
Ziel, am Ende der drei Wochen unter<br />
den zehn besten Fahrern zu sein.<br />
Manchmal höre ich: Patrick, du warst<br />
beim Giro letztes Jahr Siebenter, willst<br />
du das bei der Tour nicht toppen? Ich<br />
sage dann: Nein! Man muss sich realistische<br />
Ziele setzen und wenn ich den Erfolg<br />
vom Vorjahr wiederholen könnte,<br />
wäre das eine riesige Sache. Zumal es ja<br />
auch immer darauf ankommt, unter<br />
welchen Bedingungen die Platzierung<br />
zustande kommt. Wenn ich zweimal<br />
stürze, eine Woche lang gegen das Aufgeben<br />
kämpfe und am Ende 15. werde,<br />
ist es trotzdem ein tolles Resultat – auch<br />
wenn ich mein Ziel damit verpasst habe.<br />
Bei der Tour kommen außerdem<br />
Komponenten dazu, die es bei anderen<br />
Rennen nicht gibt. Der Druck, die höhere<br />
Anspannung, vor allem aber: der<br />
Stress im Fahrerfeld. Weil der Druck so<br />
hoch ist, nimmt auch die Risikobereitschaft<br />
zu, was zu mehr Stürzen führt.<br />
Aus Sicht der Veranstalter muss ja immer<br />
auch alles noch spannender und<br />
noch spektakulärer werden, da werden<br />
zum Teil ganz bewusst Sachen eingebaut,<br />
die es gefährlich machen. Ein Beispiel:<br />
Beim Giro 2018 sind wir fünf Kilometer<br />
vor dem Ziel mit 80 km/h eine<br />
Abfahrt runtergefahren und plötzlich<br />
rasen wir von strahlendem Sonnenschein<br />
in einen unbeleuchteten Tunnel. Von einer<br />
Sekunde auf die andere ist es rabenschwarz.<br />
Da braucht nur ein kleines<br />
Steinderl rumliegen und es kommt zu<br />
einem Massensturz.<br />
Als ich vor meiner ersten Tour 2016 –<br />
es war meine erste Grand Tour überhaupt<br />
– unseren sportlichen Leiter<br />
Christian Pömer gefragt habe, wie ich<br />
diese Strapazen jetzt drei Wochen lang<br />
durchhalten soll, meinte er zu mir: Patrick,<br />
dafür hast du schließlich elf Jahre<br />
trainiert! Das trifft es ganz gut. Man beginnt<br />
im Nachwuchs mit Rennen, die<br />
eine halbe Stunde dauern, und kein<br />
Kind denkt jemals daran, eines Tages<br />
eine dreiwöchige Tour zu fahren. Man<br />
wächst da hinein, hat das nötige Talent<br />
und muss meiner Meinung nach auch<br />
dafür geboren sein, sich über einen so<br />
langen Zeitraum jeden Tag aufs Neue<br />
quälen zu können. Wobei es unmöglich<br />
ist, drei Wochen zu überstehen, ohne<br />
auch mal einen schlechten Tag zu haben.<br />
Da kommt es auch auf das Glück an,<br />
dass dieser Tag auf eine Etappe fällt, bei<br />
der es nicht so entscheidend ist. Beim<br />
Giro 2018 hatte ich meinen schlechten<br />
Tag beim Zeitfahren, da bin ich sogar<br />
aus den Top 10 gefallen. Mein sportlicher<br />
Leiter meinte nur: Gut so! Mit der<br />
Form hättest du bei einer schweren<br />
Berg etappe zehn Minuten Rückstand<br />
aufgerissen. Kurz darauf bin ich auf<br />
Platz sieben gefahren ...<br />
Es ist unglaublich, wie viel ich bei<br />
dreiwöchigen Rundfahrten über mich<br />
als Sportler lerne. Man muss sich ja permanent<br />
mit sich selbst beschäftigen, da<br />
merkt man plötzlich: Okay, diese Etappe<br />
war jetzt extrem schwer, aber nicht nur<br />
für mich selbst, sondern auch für alle<br />
anderen. Oder: Ich bin nicht der Einzige,<br />
der am Ende des Tages extrem ausgepowert<br />
ist. Ich mache dann mein eigenes<br />
Mental-Coaching, ziehe aus diesen Erkenntnissen<br />
Kraft und Motivation. Dieses<br />
Wissen hilft mir dann auch bei anderen<br />
Rennen. Und eines ist klar: Wenn<br />
man nicht krank wird oder sich mit gebrochenen<br />
Wirbeln ins Ziel schleppt,<br />
geht man brutal gestärkt – körperlich<br />
und mental – aus so einer Tour heraus.<br />
Wir Radfahrer nennen das „den Motor<br />
vergrößern“.<br />
Wenn mich jemand fragt, was die<br />
Frankreich-Rundfahrt noch einmal von<br />
den beiden anderen Grand Tours Vuelta<br />
und Giro unterscheidet, antworte ich<br />
gern mit einem Beispiel. Wenn du in<br />
Frankreich vom Bus zum Start fährst,<br />
siehst du niemanden mehr ohne Akkreditierung.<br />
In Italien kann es sein, dass<br />
MEIN PERSÖNLICHES ZIEL<br />
BEI DER TOUR DE FRANCE<br />
<strong>2019</strong>: ICH WILL ES IN DER<br />
GESAMTWERTUNG UNTER<br />
DIE TOP TEN SCHAFFEN!<br />
dir dort der eine oder andere Fan über<br />
den Weg geht, dort läuft alles viel familiärer<br />
ab. Und bei der Vuelta kommt es<br />
vor, dass man minutenlang im Kreis<br />
fährt und den Startplatz gar nicht findet.<br />
Was ich damit sagen will: Die Tour ist<br />
extrem gut organisiert, nichts wird dem<br />
Zufall überlassen, es ist immer wieder<br />
ein Wahnsinn, was für eine professionelle<br />
Logistik dahintersteckt.<br />
Sehnsuchtsort der Tour ist natürlich<br />
Paris. Wenn ich jemandem, der zum<br />
ersten Mal dabei ist, einen Tipp geben<br />
Patrick Konrad<br />
(27, hier bei der<br />
Polen-Rundfahrt)<br />
fährt seit<br />
2015 für das<br />
Team von Bora-hansgrohe,<br />
für das er heuer<br />
zum zweiten<br />
Mal bei der<br />
Tour de France<br />
(6. bis 28. Juli)<br />
starten wird.<br />
<strong>SPORTaktiv</strong><br />
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