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SPORTaktiv Juni 2019

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Ich nehme heuer meine zweite Tour<br />

de France in Angriff und das gleich in<br />

einer sehr verantwortungsvollen Position.<br />

Mit meinem Kollegen und Freund<br />

Emanuel Buchmann teile ich mir bei<br />

unserem Team Bora-hansgrohe die Kapitänsrolle,<br />

wir sollen auf die Gesamtwertung<br />

fahren. Dabei ist mein persönliches<br />

Ziel, am Ende der drei Wochen unter<br />

den zehn besten Fahrern zu sein.<br />

Manchmal höre ich: Patrick, du warst<br />

beim Giro letztes Jahr Siebenter, willst<br />

du das bei der Tour nicht toppen? Ich<br />

sage dann: Nein! Man muss sich realistische<br />

Ziele setzen und wenn ich den Erfolg<br />

vom Vorjahr wiederholen könnte,<br />

wäre das eine riesige Sache. Zumal es ja<br />

auch immer darauf ankommt, unter<br />

welchen Bedingungen die Platzierung<br />

zustande kommt. Wenn ich zweimal<br />

stürze, eine Woche lang gegen das Aufgeben<br />

kämpfe und am Ende 15. werde,<br />

ist es trotzdem ein tolles Resultat – auch<br />

wenn ich mein Ziel damit verpasst habe.<br />

Bei der Tour kommen außerdem<br />

Komponenten dazu, die es bei anderen<br />

Rennen nicht gibt. Der Druck, die höhere<br />

Anspannung, vor allem aber: der<br />

Stress im Fahrerfeld. Weil der Druck so<br />

hoch ist, nimmt auch die Risikobereitschaft<br />

zu, was zu mehr Stürzen führt.<br />

Aus Sicht der Veranstalter muss ja immer<br />

auch alles noch spannender und<br />

noch spektakulärer werden, da werden<br />

zum Teil ganz bewusst Sachen eingebaut,<br />

die es gefährlich machen. Ein Beispiel:<br />

Beim Giro 2018 sind wir fünf Kilometer<br />

vor dem Ziel mit 80 km/h eine<br />

Abfahrt runtergefahren und plötzlich<br />

rasen wir von strahlendem Sonnenschein<br />

in einen unbeleuchteten Tunnel. Von einer<br />

Sekunde auf die andere ist es rabenschwarz.<br />

Da braucht nur ein kleines<br />

Steinderl rumliegen und es kommt zu<br />

einem Massensturz.<br />

Als ich vor meiner ersten Tour 2016 –<br />

es war meine erste Grand Tour überhaupt<br />

– unseren sportlichen Leiter<br />

Christian Pömer gefragt habe, wie ich<br />

diese Strapazen jetzt drei Wochen lang<br />

durchhalten soll, meinte er zu mir: Patrick,<br />

dafür hast du schließlich elf Jahre<br />

trainiert! Das trifft es ganz gut. Man beginnt<br />

im Nachwuchs mit Rennen, die<br />

eine halbe Stunde dauern, und kein<br />

Kind denkt jemals daran, eines Tages<br />

eine dreiwöchige Tour zu fahren. Man<br />

wächst da hinein, hat das nötige Talent<br />

und muss meiner Meinung nach auch<br />

dafür geboren sein, sich über einen so<br />

langen Zeitraum jeden Tag aufs Neue<br />

quälen zu können. Wobei es unmöglich<br />

ist, drei Wochen zu überstehen, ohne<br />

auch mal einen schlechten Tag zu haben.<br />

Da kommt es auch auf das Glück an,<br />

dass dieser Tag auf eine Etappe fällt, bei<br />

der es nicht so entscheidend ist. Beim<br />

Giro 2018 hatte ich meinen schlechten<br />

Tag beim Zeitfahren, da bin ich sogar<br />

aus den Top 10 gefallen. Mein sportlicher<br />

Leiter meinte nur: Gut so! Mit der<br />

Form hättest du bei einer schweren<br />

Berg etappe zehn Minuten Rückstand<br />

aufgerissen. Kurz darauf bin ich auf<br />

Platz sieben gefahren ...<br />

Es ist unglaublich, wie viel ich bei<br />

dreiwöchigen Rundfahrten über mich<br />

als Sportler lerne. Man muss sich ja permanent<br />

mit sich selbst beschäftigen, da<br />

merkt man plötzlich: Okay, diese Etappe<br />

war jetzt extrem schwer, aber nicht nur<br />

für mich selbst, sondern auch für alle<br />

anderen. Oder: Ich bin nicht der Einzige,<br />

der am Ende des Tages extrem ausgepowert<br />

ist. Ich mache dann mein eigenes<br />

Mental-Coaching, ziehe aus diesen Erkenntnissen<br />

Kraft und Motivation. Dieses<br />

Wissen hilft mir dann auch bei anderen<br />

Rennen. Und eines ist klar: Wenn<br />

man nicht krank wird oder sich mit gebrochenen<br />

Wirbeln ins Ziel schleppt,<br />

geht man brutal gestärkt – körperlich<br />

und mental – aus so einer Tour heraus.<br />

Wir Radfahrer nennen das „den Motor<br />

vergrößern“.<br />

Wenn mich jemand fragt, was die<br />

Frankreich-Rundfahrt noch einmal von<br />

den beiden anderen Grand Tours Vuelta<br />

und Giro unterscheidet, antworte ich<br />

gern mit einem Beispiel. Wenn du in<br />

Frankreich vom Bus zum Start fährst,<br />

siehst du niemanden mehr ohne Akkreditierung.<br />

In Italien kann es sein, dass<br />

MEIN PERSÖNLICHES ZIEL<br />

BEI DER TOUR DE FRANCE<br />

<strong>2019</strong>: ICH WILL ES IN DER<br />

GESAMTWERTUNG UNTER<br />

DIE TOP TEN SCHAFFEN!<br />

dir dort der eine oder andere Fan über<br />

den Weg geht, dort läuft alles viel familiärer<br />

ab. Und bei der Vuelta kommt es<br />

vor, dass man minutenlang im Kreis<br />

fährt und den Startplatz gar nicht findet.<br />

Was ich damit sagen will: Die Tour ist<br />

extrem gut organisiert, nichts wird dem<br />

Zufall überlassen, es ist immer wieder<br />

ein Wahnsinn, was für eine professionelle<br />

Logistik dahintersteckt.<br />

Sehnsuchtsort der Tour ist natürlich<br />

Paris. Wenn ich jemandem, der zum<br />

ersten Mal dabei ist, einen Tipp geben<br />

Patrick Konrad<br />

(27, hier bei der<br />

Polen-Rundfahrt)<br />

fährt seit<br />

2015 für das<br />

Team von Bora-hansgrohe,<br />

für das er heuer<br />

zum zweiten<br />

Mal bei der<br />

Tour de France<br />

(6. bis 28. Juli)<br />

starten wird.<br />

<strong>SPORTaktiv</strong><br />

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