Nr. 69 - Winter 2018-2019
Weihnachten im Jura: vom Rosenkranz zum Spielzeugland Provence: Tanzende Flamingos in der Camargue Elsass: Kaysersberg: eines der Lieblingsdörfer der Franzosen Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp: eine Rechenaufgabe für Le Corbusier Chantals Rezept: les encornets à la Sétoise
Weihnachten im Jura: vom Rosenkranz zum Spielzeugland
Provence: Tanzende Flamingos in der Camargue
Elsass: Kaysersberg: eines der Lieblingsdörfer der Franzosen
Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp: eine Rechenaufgabe für Le Corbusier
Chantals Rezept: les encornets à la Sétoise
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Handwerker über den Tellerrand ihrer Region hinauszuschauen,<br />
um sich zu informieren, was anderswo<br />
produziert wurde, und auf dieser Basis ihre eigenen<br />
Erzeugnisse weiterzuentwickeln. Man berichtete ihnen<br />
beispielsweise, dass es in Deutschland Spielzeuge gab,<br />
die nicht nur zum Spielen gedacht waren, sondern<br />
auch die Kreativität förderten. Also begann man in<br />
Moirans, Würfel- und Konstruktionsspiele herzustellen,<br />
später sogar Gesellschaftsspiele. Für die<br />
Franzosen war dies eine echte Neuheit! Die Produkte<br />
waren darüber hinaus mehrheitlich sehr farbig<br />
gestaltet, ein Merkmal, das sich schnell zu ihrem<br />
Markenzeichen entwickelte. Der Erfolg stellte sich<br />
unverzüglich ein und hielt bis in die 80er-Jahre an, da<br />
sich die Produzenten den Entwicklungen des Marktes –<br />
vor allem der Ausbreitung des Materials Kunststoff – anzupassen<br />
wussten. Anfang der 60er-Jahre lag Frankreich<br />
auf Platz fünf der weltweiten Spielzeugproduktion. Um<br />
ihre Kräfte zu bündeln, schlossen sich die größten Hersteller<br />
von Kunststoffspielzeugen im Jura 1967 zusammen<br />
und gründeten den Verbund « Superjouet », der zehn Jahre<br />
später der größte Spielzeugexporteur des Landes war. Ein<br />
schöner Erfolg!<br />
Doch einige Hersteller in Moirans blieben nach wie<br />
vor dem natürlichen Material Holz verbunden. Firmen<br />
wie Educalux, Vilac, Jeujura<br />
und Lorge haben ihr Knowhow<br />
in Sachen Holzspielzeug<br />
stets weiterentwickelt. Und sie<br />
taten gut daran, denn angesichts<br />
der ab den 80er-Jahren<br />
durch die Globalisierung<br />
entstandenen Konkurrenz –<br />
vor allem der unglaubliche<br />
Druck aus China – und des<br />
Aufkommens von elektronischen<br />
Spielen gerieten die<br />
Hersteller, die ausschließlich<br />
auf Kunststoff gesetzt hatten,<br />
in große Bedrängnis. Diejenigen,<br />
die dagegen die Tradition<br />
des Holzes gepflegt hatten,<br />
konnten sich auf dem Markt<br />
behaupten und deutlich von<br />
der Masse abheben. So wurde<br />
Moirans erneut eine Hochburg<br />
des Spielzeugs, wobei es<br />
sich dabei um Produkte handelt,<br />
die mehr denn je einen<br />
echten Sinn ergeben, da sie<br />
handwerklich und 100 % lokal gefertigt sind.<br />
Kennen Sie die Datenbank<br />
« Joconde »?<br />
Ende der 80er-Jahre schlossen sich rund 30 Unternehmen<br />
aus Moirans zusammen, um auf der Basis dieser<br />
altüberlieferten Handwerkskunst ein gemeinsames Projekt<br />
umzusetzen: Der Gedanke war, « das Gestern wieder<br />
aufleben zu lassen, um heute das Spielzeug von morgen zu<br />
Die Mona Lisa, das berühmte Gemälde von Leonardo da<br />
Vinci im Louvre, heißt in Frankreich La Joconde. In diesem<br />
Fall geht es jedoch nicht um das Gemälde als solches,<br />
sondern vielmehr um eine Initiative des französischen<br />
Kulturministeriums, welches 1995 eine Datenbank dieses<br />
Namens initiierte, in der die Sammlungen wichtiger Museen<br />
in Frankreich erfasst und per Internet einsehbar sind.<br />
Der riesige Katalog mit den Beschreibungen vieler Werke<br />
und Objekte, meist inklusive Abbildungen, ist kostenlos<br />
zugänglich. Inzwischen sind etwas mehr als 500 000<br />
Objektbeschreibungen erfasst, darunter gut 300 Spiele<br />
und Spielzeuge aus der Sammlung des Musée du Jouet in<br />
Moirans-en-Montagne, von denen die meisten gar nicht<br />
ausgestellt, sondern in den Depots aufbewahrt werden.<br />
Mit dem Link http://www2.culture.gouv.fr/documentation/<br />
joconde/fr/recherche/rech_libre.htm gelangen Sie zur<br />
Datenbank. Geben Sie anschließend « musee du jouet »<br />
(ohne Accent) in das Suchfenster « Recherche simple » ein.<br />
kreieren ». Dazu wurde das Maison du Jouet gegründet, das<br />
neben seiner Funktion als Museum ein Zentrum zur Aufwertung<br />
von Spielzeug sein soll und sich sowohl an Fachleute<br />
als auch an die breite Öffentlichkeit wendet. Das<br />
architektonisch bewusst modern und in kräftigen Farben<br />
gestaltete Gebäude – eine Reminiszenz an die traditionell<br />
bunten Spielzeuge der Region – wurde 1989 eingeweiht.<br />
Seitdem hat sich das Museum zu einer internationalen<br />
Referenz entwickelt, und die<br />
Fachwelt ist sich darin einig,<br />
dass es eine der schönsten<br />
Spiele- und Spielzeugsammlungen<br />
Europas besitzt. Das<br />
Gebäude wurde inzwischen<br />
sogar erweitert und modernisiert,<br />
um einen zeitgemäßen<br />
Ort mit einer gut durchdachten<br />
Museografie daraus zu<br />
machen. Es hat in der Tat alles<br />
von einem großen Museum.<br />
In einer derart abgelegenen<br />
Gegend ist man auf so etwas<br />
gar nicht gefasst.<br />
Die Sammlungen präsentieren<br />
sowohl die Geschichte<br />
von Moirans und das klassische<br />
Drechselhandwerk der<br />
Region als auch das Aufkommen<br />
des Materials Kunststoff<br />
und die Umbrüche, zu denen<br />
dies führte. Am eindrucksvollsten<br />
aber ist die unglaubliche<br />
Anzahl von Spielen und<br />
Spielzeugen aus der ganzen Welt: Im Bestand des Museums<br />
befinden sich mehr als 20 000 Objekte, von denen<br />
jeweils 2000 abwechselnd ausgestellt werden. Und man<br />
muss absolut kein Experte in diesem Bereich sein, um sich<br />
unweigerlich in seine Kindheit zurückversetzt zu fühlen,<br />
sobald man die Schwelle des Museums übertritt.<br />
Frankreich erleben · <strong>Winter</strong> <strong>2018</strong>/<strong>2019</strong> · 33