ART DE VIVRE Genuss Das Ernten der Muscheln ist ein Wettlauf gegen die einsetzende Flut. Sylvain überprüft bei jedem Bouchot, ob die Muscheln ausgewachsen sind; ist dies der Fall, bringt er den mechanischen Arm in die richtige Position. Dieser schabt dann die Muscheln vom Pfahl ab und legt sie in die Boxen. Zeit damit, Nahrung zu suchen. Dazu rammte er Pfosten im Wasser in den Boden und befestigte daran Fischernetze, um auf diese Weise Vögel zu fangen. Als er bemerkte, dass sich an den Pfosten im Laufe der Zeit Muscheln festsetzten, kam er auf die Idee, mehr Pfosten einzuschlagen und hatte damit die Technik der Pfahlmuschelzucht erfunden, die sich seit dieser Zeit quasi nicht geändert hat. Sylvain hält seinen Schlepper nun vor den Muschelpfählen an, die inzwischen ganz aus dem Wasser ragen, sodass man die schönen Muscheln, die an ihnen hängen, sehen kann. Er fährt einen mechanischen Arm an der Seite seines Fahrzeugs aus, mit dem sie eingesammelt werden. Währenddessen erzählt er uns, dass sich der Prozess zwar im Laufe der Zeit nicht sehr verändert hat, dass er jedoch auf einer regionalen Kooperation basiert: « Hier in der Normandie ist das Wasser zu kalt und die Strömung zu stark, als dass die weiblichen Muscheln das von den männlichen Muscheln abgegebene Sperma auf natürlichem Weg auffangen könnten. Da die Bedingungen dafür in der Charente viel besser sind, kaufen wir dort Muschellarven ein. Diese werden im April im Meer mit 50 Meter langen, horizontal gespannten Seilen « gefangen », im Mai erhalten wir die Seile, die mit « Muschelbabys » – mit bloßem Auge betrachtet, sehen sie wie Sandkörner aus – übersät sind. Diese Seile werden so schnell wie möglich horizontal auf Gestelle gehängt, nach und nach in Abschnitte geschnitten, spiralförmig um die Pfähle gewickelt und mit Netzen umgeben, damit die Muscheln beim Wachsen nicht abfallen. Ich benötige ungefähr 12 Kilometer solcher Seile, um meine drei Laufkilometer an Pfählen zu bestücken. Geerntet wird im Folgejahr, ab Juni/Juli; gegessen werden die Muscheln von Juli bis Januar. Plötzlich wird Sylvain schweigsam. Er konzentriert sich auf die Hebel, mit denen er den mechanischen Greifarm steuert und ihn mit einer einstudierten Bewegung über dem Muschelpfahl positioniert. Der Arm öffnet sich – dabei werden drei Klingen sichtbar –, wird über den Pfahl nach unten gefahren und dort so positioniert, dass die Klingen den Pfahl umschließen. Der Arm fährt dann wieder nach oben, streift dabei die Bouchot-Muscheln vom Holz und erntet sie so. Anschließend werden die Muscheln auf dem Anhänger abgeladen, und schon geht es zum nächsten Pfahl. Im Grunde genommen geht das Ernten relativ schnell. Die Bewegungen sind präzise und gleichmäßig. Von Zeit zu Zeit verliert der Arm eine Muschel und diese fällt ins Wasser. Auf diese Weise bleibt sie vom Verzehr verschont und überlebt. Sylvain schmunzelt: « … sofern sie einen Untergrund findet, an dem sie sich festklammern kann … » Nach gut 20 abgeernteten Pfählen schaut Sylvain immer häufiger auf die Uhr und beobachtet den Wasserstand. « Es wird Zeit, dass wir zurückfahren, die Flut kommt. Wir müssen uns beeilen. » Das sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen, denn, « wenn das Wasser erst einmal steigt, ist es selbst mit einem Schlepper unmöglich, jemanden herauszuholen. Das Ertrinken ist dann so gut wie vorprogrammiert … Damit ist wirklich nicht zu spaßen! » Insofern sind wir eher erleichtert, dass wir uns nun vom Meer entfernen und den Dünen nähern. Erneut sind wieder alle in Bewegung: Von überallher kommen Schlepper und fahren in die entgegengesetzte Richtung als zuvor, die letzten Angler vom Strand machen sich ebenfalls in aller Eile auf den Rückweg. Bevor er vom Strand in den kleinen Feldweg einbiegt, dreht sich Sylvain wie alle seine Kollegen noch einmal um und wirft einen letzten Blick in Richtung Meer: « Alles in Ordnung, es ist niemand mehr zu sehen, wir können zurückfahren … » Er gibt Gas, und wir haben nun richtig Appetit auf Bouchot-Muscheln bekommen, nachdem wir so viel über sie erfahren haben! Sylvain Legourgeois verkauft seine Bouchot-Muscheln nach Terminvereinbarung direkt vor Ort: 106 bis, route de la Vanlée, Bricquevillesur-Mer. Telefon: +33 (0)6 42 24 05 93 84 · Frankreich erleben · <strong>Winter</strong> <strong>2018</strong>/<strong>2019</strong>
Frankreich erleben · <strong>Winter</strong> <strong>2018</strong>/<strong>2019</strong> · 85