Nr. 69 - Winter 2018-2019
Weihnachten im Jura: vom Rosenkranz zum Spielzeugland Provence: Tanzende Flamingos in der Camargue Elsass: Kaysersberg: eines der Lieblingsdörfer der Franzosen Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp: eine Rechenaufgabe für Le Corbusier Chantals Rezept: les encornets à la Sétoise
Weihnachten im Jura: vom Rosenkranz zum Spielzeugland
Provence: Tanzende Flamingos in der Camargue
Elsass: Kaysersberg: eines der Lieblingsdörfer der Franzosen
Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp: eine Rechenaufgabe für Le Corbusier
Chantals Rezept: les encornets à la Sétoise
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ART DE VIVRE Genuss<br />
Das Ernten der Muscheln ist ein Wettlauf gegen die einsetzende Flut. Sylvain überprüft bei jedem Bouchot, ob die Muscheln ausgewachsen sind; ist<br />
dies der Fall, bringt er den mechanischen Arm in die richtige Position. Dieser schabt dann die Muscheln vom Pfahl ab und legt sie in die Boxen.<br />
Zeit damit, Nahrung zu suchen. Dazu rammte er Pfosten<br />
im Wasser in den Boden und befestigte daran Fischernetze,<br />
um auf diese Weise Vögel zu fangen. Als er bemerkte, dass<br />
sich an den Pfosten im Laufe der Zeit Muscheln festsetzten,<br />
kam er auf die Idee, mehr Pfosten einzuschlagen und<br />
hatte damit die Technik der Pfahlmuschelzucht erfunden,<br />
die sich seit dieser Zeit quasi nicht geändert hat.<br />
Sylvain hält seinen Schlepper nun vor den Muschelpfählen<br />
an, die inzwischen ganz aus dem Wasser ragen,<br />
sodass man die schönen Muscheln, die an ihnen hängen,<br />
sehen kann. Er fährt einen mechanischen Arm an der Seite<br />
seines Fahrzeugs aus, mit dem sie eingesammelt werden.<br />
Währenddessen erzählt er uns, dass sich der Prozess zwar<br />
im Laufe der Zeit nicht sehr verändert hat, dass er jedoch<br />
auf einer regionalen Kooperation basiert: « Hier in der Normandie<br />
ist das Wasser zu kalt und die Strömung zu stark,<br />
als dass die weiblichen Muscheln das von den männlichen<br />
Muscheln abgegebene Sperma auf natürlichem Weg auffangen<br />
könnten. Da die Bedingungen dafür in der Charente<br />
viel besser sind, kaufen wir dort Muschellarven ein.<br />
Diese werden im April im Meer mit 50 Meter langen, horizontal<br />
gespannten Seilen « gefangen », im Mai erhalten wir<br />
die Seile, die mit « Muschelbabys » – mit bloßem Auge betrachtet,<br />
sehen sie wie Sandkörner aus – übersät sind. Diese<br />
Seile werden so schnell wie möglich horizontal auf Gestelle<br />
gehängt, nach und nach in Abschnitte geschnitten, spiralförmig<br />
um die Pfähle gewickelt und mit Netzen umgeben,<br />
damit die Muscheln beim Wachsen nicht abfallen. Ich benötige<br />
ungefähr 12 Kilometer solcher Seile, um meine drei<br />
Laufkilometer an Pfählen zu bestücken. Geerntet wird im<br />
Folgejahr, ab Juni/Juli; gegessen werden die Muscheln von<br />
Juli bis Januar.<br />
Plötzlich wird Sylvain schweigsam. Er konzentriert sich<br />
auf die Hebel, mit denen er den mechanischen Greifarm<br />
steuert und ihn mit einer einstudierten Bewegung über dem<br />
Muschelpfahl positioniert. Der Arm öffnet sich – dabei<br />
werden drei Klingen sichtbar –, wird über den Pfahl nach<br />
unten gefahren und dort so positioniert, dass die Klingen<br />
den Pfahl umschließen. Der Arm fährt dann wieder<br />
nach oben, streift dabei die Bouchot-Muscheln vom Holz<br />
und erntet sie so. Anschließend werden die Muscheln auf<br />
dem Anhänger abgeladen, und schon geht es zum nächsten<br />
Pfahl. Im Grunde genommen geht das Ernten relativ<br />
schnell. Die Bewegungen sind präzise und gleichmäßig.<br />
Von Zeit zu Zeit verliert der Arm eine Muschel und diese<br />
fällt ins Wasser. Auf diese Weise bleibt sie vom Verzehr<br />
verschont und überlebt. Sylvain schmunzelt: « … sofern<br />
sie einen Untergrund findet, an dem sie sich festklammern<br />
kann … »<br />
Nach gut 20 abgeernteten Pfählen schaut Sylvain immer<br />
häufiger auf die Uhr und beobachtet den Wasserstand.<br />
« Es wird Zeit, dass wir zurückfahren, die Flut kommt. Wir<br />
müssen uns beeilen. » Das sollte man nicht auf die leichte<br />
Schulter nehmen, denn, « wenn das Wasser erst einmal<br />
steigt, ist es selbst mit einem Schlepper unmöglich, jemanden<br />
herauszuholen. Das Ertrinken ist dann so gut wie<br />
vorprogrammiert … Damit ist wirklich nicht zu spaßen! »<br />
Insofern sind wir eher erleichtert, dass wir uns nun vom<br />
Meer entfernen und den Dünen nähern. Erneut sind wieder<br />
alle in Bewegung: Von überallher kommen Schlepper<br />
und fahren in die entgegengesetzte Richtung als zuvor, die<br />
letzten Angler vom Strand machen sich ebenfalls in aller<br />
Eile auf den Rückweg. Bevor er vom Strand in den kleinen<br />
Feldweg einbiegt, dreht sich Sylvain wie alle seine Kollegen<br />
noch einmal um und wirft einen letzten Blick in Richtung<br />
Meer: « Alles in Ordnung, es ist niemand mehr zu sehen,<br />
wir können zurückfahren … » Er gibt Gas, und wir haben<br />
nun richtig Appetit auf Bouchot-Muscheln bekommen,<br />
nachdem wir so viel über sie erfahren haben!<br />
Sylvain Legourgeois verkauft seine Bouchot-Muscheln nach<br />
<br />
Terminvereinbarung direkt vor Ort: 106 bis, route de la Vanlée, Bricquevillesur-Mer.<br />
Telefon: +33 (0)6 42 24 05 93<br />
84 · Frankreich erleben · <strong>Winter</strong> <strong>2018</strong>/<strong>2019</strong>