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28 epd medien � <strong>Nr</strong>. <strong>40</strong>/<strong>41</strong> · 21.5.2008 DOKUMENTATION<br />

dienste begeben sollten. Aber die Berichterstattung<br />

vieler beteiligter Verlage über die PIN AG war so<br />

durchsichtig, dass sie selbst als Druckmittel für die<br />

handelnde Politik nicht taugte. Erkennbar von Eigeninteressen<br />

gesteuert ist die Kommentierung der Frage,<br />

wie sehr sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk im<br />

Internet engagieren darf und soll - ARD, ZDF und die<br />

Presseverlage liefern sich hier ein publizistisches<br />

Nullsummenspiel.<br />

Niemand kann etwas dagegen haben, wenn Medienunternehmen<br />

öffentlich ihre Interessen vertreten -<br />

nur sollte das dann nicht unter Journalismus, sondern<br />

eben als Unternehmensmitteilung laufen. Nichts ist<br />

unwürdiger und frustrierender, als wenn Journalisten<br />

als Pressesprecher ihrer Unternehmen herhalten müssen.<br />

Man kann hier nur Alfred Harmsworth alias Lord<br />

Northcliffe zitieren, der ja kein Kind von Traurigkeit<br />

war: Nachrichten sind für Lord Northcliffe „something<br />

which someone, somewhere wants to suppress, everything<br />

else is just advertising“.<br />

„Siegeszug der Kybernetik“<br />

Gewiss, die Veränderungen für den Journalismus, für<br />

die Medienhäuser, die sich seit den 1990er Jahren<br />

ergeben haben, sind drastisch und fundamental. Man<br />

kann dafür drei Ebenen benennen. Technologisch hat<br />

sich das Internet als Massenmedium durchgesetzt, es<br />

verschmilzt zunehmend alle anderen Massenmedien<br />

und die mobile Telekommunikation. Es bringt bislang<br />

getrennte Bereich von Produktion, Handel und Information<br />

zusammen. Das ist der praktische Siegeszug<br />

der Kybernetik.<br />

Mit dem Internet konnten sich Blogs, Wikis, Citizen<br />

Journalism als Gegenmodelle zur etablierten Publizistik<br />

herausbilden. Ökonomisch hat es zunächst die<br />

genannten Mitnahmeeffekte in Zeiten der New Economy<br />

gegeben, eine Art Scheinblüte, dann die „Zeitungskrise“,<br />

im Grunde eine Erscheinung publizistischer<br />

Überproduktion. Media-Agenturen und Werbeplaner<br />

entdeckten die Möglichkeiten der Internet-<br />

Werbung, angefeuert durch neue „Wissenskonzerne“<br />

wie Google, die nun deutlich als Konkurrenten der<br />

älteren Medienindustrie auftreten, aber dennoch von<br />

der publizistischen Produktion anderer leben. Wie<br />

substanziell Internet-Werbung wirklich ist, muss sich<br />

noch zeigen.<br />

Politisch-biografisch gingen mit Zusammenbruch der<br />

alten Ideologien nach 1989 neue Generationen einher,<br />

die ohne biografische Schrammen durch Krieg<br />

und politisch-dogmatische Konfrontationen aufwachsen<br />

konnten. Die gleichzeitig pragmatische und verunsicherte<br />

Weltsicht dieser Generationen stellt vor<br />

allem die hergebrachten Parameter des politischen<br />

Journalismus infrage.<br />

Rudolf Augstein hat schon Anfang der 1970er Jahre in<br />

einem Gespräch mit Joachim Fest formuliert: „Die<br />

Generation nach uns wird sich mit der Inhaltsleere<br />

abmühen müssen und am Ende an der Langeweile<br />

zugrunde gehen. Alles, was ich von ihr weiß und beobachte,<br />

nötigt mich zum Bedauern. Anders als Sie<br />

und ich hat sie kein Lebensthema! Sie wird sich eines<br />

erfinden müssen! Und wer weiß, was dabei herauskommt.“<br />

Was seine Vorhersage angehe, so Fest, habe<br />

er, „wie wir als Zeitgenossen der Spaßkultur und des<br />

Eventgetues wissen, mehr recht, als irgendjemand<br />

damals ahnte“. Nun gab es Spaßkultur und Events<br />

auch schon in den 1920er Jahren, sogar im später<br />

ernüchternden Übermaß, aber die Ereignisse von<br />

1989, schon gar nicht der punktuelle islamistische<br />

Terror, können dem tiefen Einfluss gleichgesetzt werden,<br />

den Nationalsozialismus und Kommunismus,<br />

Weltkriege und Kalter Krieg und der atomare Rüstungswettlauf<br />

auf die Zeitgenossen des 20. Jahrhunderts<br />

hatten.<br />

„Ungesunde Beschleunigungstendenzen“<br />

„Christ, how I miss the cold war“, sagt die Chefin des<br />

britischen Geheimdienstes im James-Bond-Film „Casino<br />

Royale“ aus dem Jahr 2006. Und so wie die James-Bond-Filme,<br />

so muss sich auch der Journalismus<br />

im 21. Jahrhundert neu erfinden - vielleicht pragmatischer,<br />

globaler, thematisch überraschender, aber<br />

dennoch mit ähnlicher Härte und Präzision wie der<br />

neue James Bond, der den Kalten Krieg überlebt hat.<br />

Wir sollten daher die Erweiterung der Themenspektren,<br />

die Auflösung alter Ressort-Hierarchien in den<br />

Blättern, die bunteren Titelgeschichten nicht beklagen.<br />

Allerdings kann man auch den Eindruck haben,<br />

dass aus dem anarchischen „anything goes“ heute<br />

vielfach ein „alles egal“ geworden ist. Die ungesunden<br />

Beschleunigungstendenzen im Online-Journalismus<br />

sind fühlbar, auch die verschärfte Konkurrenz um<br />

Pseudo-Nachrichten in der Hauptstadt, wo die wirklich<br />

entscheidenden politischen und legislativen Prozesse,<br />

die sich auf der Ebene von Ministeralbeamten<br />

und Lobbyisten abspielen, zu selten reportiert werden.<br />

Auf der anderen Seite kommt es im Netz zu verstärkter<br />

Gerüchtebildung und zu Verschwörungstheorien.<br />

Journalistische Texte und Reportagen sind nun in<br />

unmittelbarerer Nähe, in einem elektronischen Konkubinat<br />

mit Blogs und Leserkommentaren, die häufig<br />

rein emotionale Augenblicksreaktionen sind - so<br />

manch einer wünscht sich den eher elaborierten Leserbrief<br />

zurück.

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