Nr. 40/41 - Netzwerk Recherche
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Jahreskonferenz 2008 von <strong>Netzwerk</strong> <strong>Recherche</strong> – READER für Freitag, 13. Juni 2008<br />
Leitfragen und Antworten:<br />
Antworten von Paul-Josef Raue, Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung<br />
1) Welche drei Punkte sind für den Lokaljournalismus heute charakteristisch?<br />
Der Lokaljournalismus hält die Gemeinschaft zusammen in einem Quartier, in einer Stadt, in einer<br />
Region; er informiert über alles, was von Belang ist und schafft so Orientierung; er hat schon<br />
„Communities“ geschaffen, als das Internet noch nicht erfunden war. In diese Gemeinschaft holt er die<br />
jungen Leser hinein, indem er ihnen engagiert den Wert einer Zeitung klar macht - sowohl für den<br />
eigenen Lebensweg als auch für die Gesellschaft.<br />
Er übt sein Wächteramt aus und kontrolliert die Mächtigen, wo der Bürger die Kontrolle unmittelbar<br />
fordern; so hält er die Demokratie dort lebendig, wo sie mit ihren Institutionen den Menschen am<br />
nächsten ist und sich die Bürger einmischen können und sollen.<br />
Er pflegt den Dialog mit den Lesern, setzt das Selbstgespräch der Gesellschaft in Gang, stößt<br />
Debatten an und fördert sie; so gibt er den Bürgern Raum, mitzureden und zu entscheiden.<br />
2) Befindet sich der Lokaljournalismus in einer Krise?<br />
Nein, im Gegenteil. Die Menschen interessieren sich immer mehr für das Leben in ihrer<br />
Nachbarschaft, sie sehnen sich nach Heimat, Überschaubarkeit und Orientierung – aber verstehen<br />
dies nicht als Heimattümelei, sondern als bewusste Gestaltung der Welt, die sie überschauen können<br />
und die sie bewahren wollen.<br />
3) Was sind Anzeichen dieser Krise?<br />
Offenbar geht der Fragesteller davon aus, dass es fraglos eine Krise gibt. Er pflegt seine Vorurteile<br />
aus alten Zeiten, als sich die Lokalzeitung als Bürgermeister- und Elitenzeitung verstand und sich<br />
Leitartikler und Agentur-Bearbeiter in Zentralredaktionen als die besseren Journalisten feiern ließen.<br />
4) Findet <strong>Recherche</strong> im Lokaljournalismus ausreichend statt?<br />
Es wird deutlich mehr recherchiert als in der Vergangenheit, aber noch zu viele Lokaljournalisten (wie<br />
die meisten Journalisten) betrachten einen Anruf beim Pressesprecher oder einen Blick in Wikipedia<br />
als <strong>Recherche</strong>. Es gibt allerdings immer mehr Redakteure und Reporter, die in den Beziehungsnetzen<br />
lokaler Politik und Verwaltung hartnäckig recherchieren.<br />
Ein Blick in die Siegerliste des Wächterpreises oder des Deutschen Lokaljournalistenpreises zeigt,<br />
dass gerade kleine Lokalredaktionen mutig und kompetent recherchieren – wie zum Beispiel in<br />
diesem Jahr die mit dem Sonderpreis für investigativen Journalismus ausgezeichneten<br />
Lokalredaktionen in Bad Tölz, Friedberg und Ludwigsburg.<br />
5) Welche Rolle spielen Kritik und Kontrolle der wirtschaftlichen und politischen Eliten im<br />
Lokaljournalismus?<br />
Die entscheidende Rolle, denn der Redakteur versteht sich als Treuhänder des Bürgers. Von ihm<br />
erhält er den Auftrag, das Handeln (und Nicht-Handeln) der Mächtigen zu erkunden, zu analysieren,<br />
zu kritisieren und dies unverzüglich weiterzugeben.<br />
Ein Rathaus oder ein Unternehmen, auf das eine Lokalredaktion wachsam schaut, wird das<br />
Vertrauen der Bürger eher erreichen und somit besser werden als andere, die sich unkontrolliert in<br />
ihren Verlautbarungen sonnen.<br />
6) Wo liegen die Chancen für einen Lokaljournalismus der Zukunft?<br />
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