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Nr. 40/41 - Netzwerk Recherche

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30 epd medien � <strong>Nr</strong>. <strong>40</strong>/<strong>41</strong> · 21.5.2008 DOKUMENTATION<br />

Produktion Einfluss haben. Und die Atmosphäre einer<br />

gediegenen Zeitungsredaktion bringt, im Ganzen<br />

gesehen, andere Texte hervor als der solitäre Blogger<br />

an seinem PC. Doch der Journalismus in der Spitze des<br />

beruflichen Wettbewerbs beruht auf den vier Parametern<br />

Zeit, Geld, <strong>Recherche</strong> und Stil, ganz medienunabhängig.<br />

Das eine ist ohne das jeweils andere nicht zu<br />

haben. Dies gilt für den Fernsehjournalismus genauso<br />

wie für Zeitungen und Magazine und den sich gerade<br />

erst entwickelnden Online-Journalismus.<br />

Die Frage ist, wer für stilistisch außergewöhnliche,<br />

intensiv recherchierte und zur rechten Zeit veröffentlichte<br />

journalistische Arbeiten in Zukunft bezahlt, als<br />

Auftraggeber wie als Kunde. Wer gibt also die institutionelle<br />

und materielle Garantie für professionellen<br />

Journalismus im 21. Jahrhundert ab? Wie kann der<br />

Journalismus in einer Zeit, in der es nur noch ein weit<br />

gespanntes digitales Netz und verschiedene Displays<br />

gibt, weiterhin markant und stilprägend bleiben?<br />

Dazu einige Hinweise in praktischer Absicht. Wir<br />

brauchen eine lebendigere Mischung aus Handlung<br />

und Reflexion, ein in der Branche akzeptiertes System<br />

des wirklichen Austausches zwischen praktischem<br />

Journalismus, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.<br />

Also: ungewöhnliche Einstiege und Ausstiege.<br />

„Liebeserklärung an den Journalismus“<br />

Nehmen wir die Karriere von David Halberstam, der<br />

im vergangenen Jahr bei einem Autounfall in Berkeley<br />

ums Leben kam. Halberstam hatte in Harvard Kunstgeschichte<br />

studiert, war dann Reporter bei der kleinsten<br />

Zeitung in Mississippi geworden, dann vier Jahre<br />

Redakteur beim „Nashville Tennessean“ und ging<br />

anschließend als Auslandskorrespondent für die „New<br />

York Times“ in den Kongo, nach Vietnam und Polen.<br />

1967 wechselte er zum Monatsblatt „Harper's“. 1972<br />

schrieb er mit „The Best and the Brightest“ eine monumentale<br />

Studie über die Kennedy-Ära. 1979 kam<br />

dann „The Powers That Be“ heraus, 750 Seiten über<br />

„Time“, „New York Times“ und „LA Times“, CBS und die<br />

„Washington Post“ - eine große historische Reportage<br />

über die US-Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts,<br />

eine Art Kollektivbiografie des führenden amerikanischen<br />

Journalismus. Halberstam schrieb über den<br />

Vietnamkrieg, über die 50er Jahre, die Kennedys, dann<br />

aber auch wieder über den Profisport und seine Idole.<br />

Mit dem Schreiben von „The Powers That Be“ verbrachte<br />

er fünf Jahre; sein Freund Gay Talese veröffentlichte<br />

ein ähnlich bahnbrechendes Buch mit „The<br />

Kingdom and the Power“ über die Akteure der „New<br />

York Times“.<br />

Halberstams mitunter enthusiastisch ausschweifendes<br />

Buch ist eine Liebeserklärung an den Journalismus und<br />

an seine ungewöhnlichen Beweger, wie den CBS-Chef<br />

Bill Paley, den Reporter Edward Murrow, Phil Graham,<br />

den Verleger der „New York Times“ und Henry Robinson<br />

Luce, den Mitbegründer von „Time“ und Verfechter des<br />

„amerikanischen Jahrhunderts“, von dem wir bei Halberstam<br />

erfahren, dass er Sartre für einen Wirrkopf hielt<br />

und noch mehr dessen Existenzialismus hasste und alles<br />

versuchte, um eine „Time“-Titelgeschichte über den<br />

französischen Philosophen und Kommunisten zu verhindern.<br />

Und Halberstam fragt auch, warum die amerikanischen<br />

Journalisten, Ed Murrow zum Beispiel, es erst<br />

1954 wagten, Joseph McCarthy anzugreifen, als klar<br />

wurde, dass es sich der Senator aus Wisconsin mit Präsident<br />

Eisenhower, der CIA und der Army verscherzt hatte.<br />

Halberstams „The Powers That Be“ ist nie ins Deutsche<br />

übersetzt worden.<br />

„Aufgeregter Elitejournalismus“<br />

Uns fehlen weiterhin Blätter wie „The New Yorker“,<br />

„Atlantic“, „Harper's“, auch „New York Review of<br />

Books“ oder das amerikanische „Vanity Fair“, also<br />

Leitmagazine für die große Reportage, die wir in<br />

Deutschland ab und an noch in den Nachrichtenmagazinen<br />

finden. Die Verlage waren hier nicht mutig<br />

genug, nehmen wir Ringiers „Cicero“ einmal aus, in<br />

neue Kombinationen von Magazinen und Online-<br />

Portalen zu investieren und auf kurzfristige Renditen<br />

zu verzichten.<br />

Es geht allerdings nicht nur um die Figur des großen<br />

Reporters, so gerne wir mehr Tom Wolfes, Gay Taleses,<br />

oder bleiben wir im eigenen Land, Dirk Kurbjuweits<br />

und Mathias Geyers hätten. 1972 wechselte Ed Goodpaster,<br />

den ich kürzlich bei Filmrecherchen in Baltimore<br />

traf, seinerzeit Leiter des Washingtoner Büros<br />

von „Time“, aus freien Stücken zu einer kleinen Zeitung<br />

in Wisconsin, zur „Whitehall Times“ mit einer<br />

Auflage von 2500 Exemplaren. Goodpaster wurde dort<br />

Eigentümer, Fotograf und Redakteur. Er hatte den<br />

aufgeregten Elitejournalismus in Washington satt und<br />

wollte wieder mehr mit den einfachen Leuten zusammen<br />

sein, über die er berichtete.<br />

Später hat Goodpaster, der schließlich wieder für die<br />

„Baltimore Sun“ arbeitete, als Dozent für Journalistik<br />

immer wieder darauf hingewiesen, dass der Redakteur,<br />

der gegenrecherchiert, Fakten überprüft und<br />

Artikel schlankt, in seiner Bedeutung dem Reporter<br />

gleichzusetzen ist. Und dass man das journalistische<br />

Handwerk am ehesten bei kleinen und mittleren Tageszeitungen<br />

lernen kann.

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