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Nr. 40/41 - Netzwerk Recherche

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Im Vergleich zur USA fehlen eigene journalistische<br />

Marken im Internet wie Huffington Post, slate.com<br />

oder salon.com (bei einigen Ansätzen in der Netzeitung),<br />

stattdessen finden wir Auftritte wie „Die Achse<br />

des Guten“ oder „Bildblog.de“. Die Auseinandersetzungen<br />

zwischen den Kollegen Henryk M. Broder und<br />

Stefan Niggemeier haben die Tonlage vieler aufgeregter<br />

Internet-Scharmützel - Broder schrieb über Niggemeiers<br />

Blog: „Es ist nicht Medienkritik, es ist gelebtes<br />

Junkietum. Niggemeier ist von Bild fasziniert, so<br />

wie die Volkswartbund-Rentner von Schweinkram<br />

fasziniert waren, dem sie täglich nachstellten“, Niggemeier<br />

antwortete mit „Gehirnfasten mit Henryk M.<br />

Broder“, und warf ihm vor, seine Artikel für „Spiegel<br />

Online“ zur angeblich fortschreitenden Islamisierung<br />

Westeuropas als „fröhliches Copy & Paste“ zu betreiben,<br />

es handele sich um „recyclete Textbausteine“.<br />

Nichts gegen erfrischende Polemik unter Kollegen,<br />

aber hier merkt man doch, wie sehr es um sekundäre<br />

Aufbereitungen und, mit Verlaub, eher kindische Abrechnungen<br />

geht.<br />

„Digitaler Kommunismus“<br />

Während Peter Glotz noch den digitalen Kapitalismus<br />

analysierte, begegnet uns heute eine Art digitaler<br />

Kommunismus: Die neue elektronische Umwelt, die<br />

Symbiose von Laptop, Mobiltelefon und World Wide<br />

Web ist das technologische 1968 der heutigen Jugend.<br />

Sie wehrt sich damit gegen die politischen<br />

Festlegungen und Kommentarsicherheiten ihrer Eltern<br />

und Großeltern. Dafür steht das hemmungslose Veröffentlichen<br />

privater Details in den sozialen <strong>Netzwerk</strong>en<br />

wie Facebook oder MySpace. Ich netzwerke, also bin<br />

ich. Volkszählungen werden gar nicht mehr gebraucht,<br />

weil das Internet mit allen relevanten Daten<br />

freiwillig gespeist wird, und Unternehmen oder Gemeindienste<br />

hier noch die Computer arbeiten lassen<br />

müssen: „data mining“, „tracking“, „pattern recognition“<br />

sind die Stichworte.<br />

Neulich war ich zur Gründungsveranstaltung einer<br />

„Nationalen Initiative Printmedien“ ins Kanzleramt<br />

geladen, mit Minister Neumann, zwei Referaten und<br />

elf Begrüßungsreden von Verbandsvertretern der<br />

Medienwirtschaft. „Spiegel-Online“ brachte anderntags<br />

eine Replik unter der Überschrift: „Wie Deutschlands<br />

Jugend dummgeredet wird“. Die Autoren von<br />

„Spiegel-Online“ verwiesen darauf, dass in den USA<br />

dank des Internets die politische Debatte belebt worden<br />

sei, dass zwischen dem Lesen am Bildschirm und<br />

dem Lesen eines gedruckten Blattes jedenfalls kein<br />

durchgreifender kognitiver Unterschied bestehe, und<br />

fragte: „Wie sollen sich die Jungen von einer Politik<br />

und einer Presse vertreten fühlen, die sie immer wieder<br />

für lesefaul und desinteressiert erklärt?“<br />

DOKUMENTATION<br />

21.5.2008 <strong>Nr</strong>. <strong>40</strong>/<strong>41</strong> � epd medien 29<br />

Tatsächlich finden wir hier die interessantere Scheidelinie:<br />

nicht zwischen Print, Fernsehen und Online -<br />

ohnehin eine Trennung aus dem vergangenen Jahrhundert<br />

- sondern zwischen Medien, die dem Establishment<br />

zugerechnet werden, und denjenigen, die<br />

eine Art technologischer Wildheit und ungewöhnliche<br />

Resonanzen im elektronischen Dschungel versprechen.<br />

Schon heute ist YouTube ästhetisch interessanter als<br />

das konventionelle Fernsehen.<br />

„Menschengemachte Evolution“<br />

Es gibt in der Internet-Ära weder ernsthafte Chancen,<br />

die Jugend zu schützen, wovor auch - ich bekenne<br />

hier, dass ich „Jugendschutz“ schon immer für eine<br />

sinnlose Beschäftigungstherapie älterer Semester und<br />

für ein simples Ablenkungsmanöver gehalten habe -,<br />

noch werden publizistische Romantik und Mediennostalgie<br />

den technologischen Lauf der Dinge, also die<br />

zweite, menschengemachte Evolution, verändern.<br />

Man kann die Segnungen und Belästigungen, die mit<br />

der Ausweitung der Kommunikationstechniken einhergehen,<br />

nur intelligent annehmen und an die Traditionen<br />

der Aufklärung, des Humanismus und des<br />

eleganten Stils koppeln.<br />

In Frankreich gilt manchen Journalisten das Internet<br />

sogar als Rettungsanker des Metiers: „Die französische<br />

Presse ist am Ende. Nur das Netz kann uns retten“,<br />

hat Sylvain Bourmeau, einst Chefredakteur des<br />

Blattes „Les Inrockuptibles“, einen Artikel überschrieben,<br />

den die FAS am 20. April 2008 in deutscher<br />

Übersetzung publizierte. Das Internet sei das einzige<br />

Medium, das den Qualitätsjournalismus in Frankreich<br />

retten könne, so Bourmeau, der mit 25 weiteren Kollegen<br />

das Online-Portal „Médiapart“ gegründet hat,<br />

um die „elementaren Prinzipien des Qualitätsjournalismus<br />

ins Internet zu übertragen und zugleich Möglichkeiten<br />

des multimedialen und partizipativen<br />

Schreibens zu öffnen“. In der französischen Presse<br />

und Politik ist die zentralistische Elitenverflechtung<br />

besonders ausgeprägt, es gibt keine ausgeprägte<br />

Tradition regional verankerter Qualitätsblätter.<br />

Ich möchte auch daran erinnern, dass es der prestigereiche<br />

US-amerikanische Printjournalismus war - in<br />

der Nixon-Ära gestählte Blätter wie die „New York<br />

Times“ und die „Washington Post“ - die vor der Irak-<br />

Politik des jüngeren Präsidenten Bush und vor dem<br />

Propaganda-Apparat seines PR-Chefs Karl Rove in die<br />

Knie gingen - jedenfalls über lange, quälende Monate<br />

und zu ihrer eigenen späteren Beschämung.<br />

Jeder Kommunikationsforscher weiß, dass die Materialitäten<br />

der Kommunikation, also die manifesten<br />

Medienformen, auf die Qualität der publizistischen

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