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Mein/4 Stadtmagazin Berlin 3/2021

Mein/4 Stadtmagazin Berlin, Ausgabe Dezember 2020

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Kultur im Kiez

Scheibenhochhaus von

Oscar Niemeyer

mein/4

war. Bereits während der Erschließung

wurde das Viadukt der Stadtbahn durch

das Wohngebiet gezogen, das dadurch

in zwei fast gleich große Hälften zerfiel,

jedoch durch zahlreiche Unterführungen

miteinander verbunden blieb. Zur

Jahrhundertwende hatte das Hansaviertel

knapp 18.000 Einwohner, hier

lebten überwiegend „anspruchsvolle

Leute“, neben Bankiers, Staatsbeamten

und Kaufleuten auch zahlreiche

Künstlerinnen und Künstler wie die

Schriftstellerinnen Alice Berend und

Else Lasker-Schüler, die Maler Lovis

Corinth und Walter Leistikow, der Bildhauer

Hugo Lederer, der Theatermacher

Max Reinhardt und der Kritiker Alfred

Kerr. Käthe Kollwitz hatte hier ihr Atelier,

Rosa Luxemburg nahm im Hansaviertel

für wenige Monate Quartier,

ebenso Wladimir Iljitsch Lenin.

Bemerkenswert war der Anteil der jüdischen

Bevölkerung. In den 1920er-

Jahren soll er mit acht Prozent doppelt

so hoch gewesen sein wie im Gesamtdurchschnitt

Berlins. Im Hansaviertel

entstanden neben einer evangelischen

und einer katholischen Kirche folgerichtig

auch zwei Synagogen. Diese wurden

in der Reichsprogromnacht am 9. November

1938 zerstört, mit der „Entjudung“

erlosch 1941 das jüdische Leben

hier vollständig. Heute erinnern knapp

150 Stolpersteine an die deportierten

und ermordeten Bewohnerinnen und Bewohner.

In der Nacht vom 22. auf den

23. November 1943 zerstörte die alliierte

Luftwache einen Großteil des Hansaviertels,

nur 70 der 343 Wohnbauten überstanden

den Krieg, die meisten davon

schwer beschädigt. Im nördlichen Teil des

Hansaviertels lässt sich heute noch das

Mondäne des einstigen Viertels erahnen,

zum Beispiel, wenn man am Holsteiner

Ufer entlang flaniert und die schmuckvoll

gestalteten Fassaden betrachtet. An

der Ecke zur Bartningallee findet man

in einem der wiedererrichteten Gebäude

die – nach eigenen Angaben – älteste

Konditorei Berlins, die in fünfter Generation

betrieben wird. 1852 hatte Gustav

Buchwald, der 1883 offiziell zum königlich-preußischen

Hoflieferanten ernannt

wurde, in Cottbus die nach ihm

benannte Baumkuchenfabrikation mit

Konditorei und Café eröffnet, sein Sohn

erwarb das Haus mit Spreeblick um die

Jahrhundertwende.

Während man nördlich der S-Bahn-Viadukte

also noch ein wenig dem kaiserlichen

Hansaviertel nachspüren kann, ist

dies im südlichen Teil unmöglich, lediglich

zwei Wohnhäuser sind in unmittelbarer

Nähe des S-Bahnhofs Tiergarten

erhalten. Das Hansaviertel galt in der

Nachkriegszeit als größtes innerstädtisches

Trümmergebiet. Als der Bezirk

Tiergarten 1951 mit Baumaßnahmen beginnen

wollte, verhängte der Senat einen

Baustopp, um Westberlin mit einer

großen deutschen Bauausstellung ins

Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit

zu rücken. Das Bauprojekt sollte

einen ideologischen Gegenentwurf zum

„falschen Prunk der Stalinallee“ darstellen,

deren repräsentative, an sowjetischer

Monumentalarchitektur orientierte

Bauten zu dieser Zeit in Ostberlin als

ästhetische und politische Versinnbildlichung

der Leistungsfähigkeit des sozialistischen

Systems entstanden.

1955 wurde nach langwierigen Verhandlungen

ein luftiger Bebauungsplan als

„klares Bekenntnis zur westlichen Welt“

verabschiedet. Die Interbau, die Internationale

Bauaustellung 1957, bildete den

organisatorischen Rahmen des Großbauprojekts,

das jeweils sechs Punkt- und

15

Eternithaus von

Paul Baumgarten

Scheibenhochhaus von

Egon Eiermann (links)

und Punkthochhaus von

Broek & Bakema

Skulptur ohne Titel

von Hans Uhlmann

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