Mein/4 Stadtmagazin Berlin 3/2021
Mein/4 Stadtmagazin Berlin, Ausgabe Dezember 2020
Mein/4 Stadtmagazin Berlin, Ausgabe Dezember 2020
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Im Gespräch mit Franziska Giffey
Mein/4: Sie arbeiten in einem sehr schönen
Ministerium, wo man viel bewegen kann.
Aber dann kommt Corona. Betroffen sind
viele Bevölkerungsgruppen, auch Familien
oder Senioren. Wie erleben Sie diese Zeit?
Giffey: Auch wir in der Politik befinden uns in einer
Ausnahmesituation. Da geht es uns nicht anders als
allen anderen. Natürlich verlief das letzte und verläuft
auch dieses Jahr ganz anders als geplant und anders, als
wir uns alle das gewünscht haben. Einerseits verzichten
wir auf Dinge, die wir gerne gemacht hätten, andererseits
besteht die dringende Notwendigkeit, permanent
auf eine Akutsituation zu reagieren. Es ist eine große
Herausforderung. Wir befinden uns in einem ständigen
Abwägungsprozess zwischen dem Gesundheitsschutz
auf der einen Seite und dem Wohl der Menschen auf
der anderen: Kinderschutz und Kindeswohl oder die
Fragen, was wir für ältere Menschen tun können, damit
sie nicht vereinsamen, und wie wir Familien unterstützen
können, die jetzt nur sehr geringe Einkommen
oder große Schwierigkeiten dabei haben, Homeoffice,
Homeschooling und Kinderbetreuung zu vereinbaren.
Deswegen war das ganze letzte Jahr geprägt von Akutund
Nothilfemaßnahmen. Wir haben den Kinderbonus
und den Notfall-Kinderzuschlag umgesetzt. Wir haben
die Regeln für das Elterngeld verändert, damit Eltern
keine Nachteile entstehen, wenn sie in Kurzarbeit sind.
Wir haben ein Sonderprogramm aufgelegt, um die
Jugendherbergen und den internationalen Jugendaustausch
zu retten. Wir haben versucht, etwas für die
Seele zu tun, indem wir denen, die jetzt alleine sind
und Hilfe brauchen, die Möglichkeit geben, dass sie
jemanden anrufen können. Dafür haben wir unsere
kompletten Hilfetelefone aufgestockt: die Nummer
gegen Kummer für Jugendliche, das Hilfetelefon
gegen Gewalt an Frauen, das Pflegetelefon, das
Elterntelefon. Es geht also um finanzielle Hilfe,
aber auch um Rat, Tat und Unterstützung. Die
neueste Maßnahme ist die Ausweitung der
Kinderkrankentage, damit Eltern eine Möglichkeit
haben, Kinderkrankentage auch für
gesunde Kinder zu nehmen und ihre Kinder
zu betreuen, solange der Lockdown noch andauert
– dies eben auch aus der Erkenntnis
vom letzten Jahr heraus, dass Homeschooling
und Homeoffice nicht zusammengehen.
Mein/4: Die Politik muss sich ja oft dem
Vorwurf stellen, sie reagiere zu langsam.
Im Umkehrschluss heißt es, es würden ganz
schnell Entscheidungen im Kabinett oder auf
Ministerpräsidentenebene getroffen und wir
werden gar nicht gefragt. Woran liegt das?
Giffey: Die normalen parlamentarischen Abläufe brauchen
ihre Zeit. Demokratie braucht Zeit. Wir haben im
letzten Jahr in rasender Geschwindigkeit umfangreiche
Gesetze wie das ganze Nothilfepaket oder das Konjunktur-
und Krisenbewältigungspaket verabschiedet.
Das sind Milliardenbeträge, die in kürzester Zeit gängig
gemacht wurden. Oder auch die Überbrückungshilfen
für Unternehmen, die Regelungen zur Kurzarbeit,
auch jetzt die Kinderkrankentage. Das hat von der
Beschlussfassung in der Ministerpräsidentenkonferenz
bis zum Bundesrat anderthalb Wochen gedauert. So
schnell haben wir noch nie ein Gesetz durchgebracht!
Wenn man eine breite Parlamentsbeteiligung
möchte, dann kostet die Zeit.
Und das ist nur dann zu machen, wenn alle Fristen
für Beteiligung verkürzt werden, wenn man Prozesse
aussetzt und beschleunigt. Am Tag, nachdem die Ministerpräsidentenkonferenz
den Beschluss gefasst hatte,
wurde schon gefragt: „Warum dauert das so lange?“
Aber es ist klar, dass von der Beschlussfassung bis zur
Umsetzung einfach Zeit benötigt wird.
Viele Menschen aus den Regierungsverwaltungen arbeiten
nahezu Tag und Nacht, um das hinzubekommen.
Gleiches gilt für die Gesundheitsämter und alle anderen
Bereiche. Ich wünsche mir manchmal, dass das
auch gesehen wird.
Wenn man auf der anderen Seite allerdings eine breite
Parlamentsbeteiligung möchte, dann kostet diese
Zeit. Das Schwierige ist, dabei den Mittelweg zu finden.
Nach einer Ministerpräsidentenkonferenz werden jetzt
immer alle Fraktionsvorsitzenden und die Ausschüsse
mein/4
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